18
Okt.
2008

Cacabelos (14. Oktober)

Die Herberge in Molinaseca habe ich nach dem südländischen Frühstück bestehend aus Milchkaffee, Brot, Butter und Marmelade, ziemlich als letzter verlassen.

Wenige Kilometer hinter Molinaseca, noch vor Ponferrada, mußte ich, weil wie immer die Nase lief, schneuzen und weil grade auch ein sehr schönes Motiv für eine Fotoaufnahme – herbstliche Farben der Weingärten – da war, zückte ich meinen Fotoapparat. Und da hatte ich schon die erste Sternminute: da kam auch schon ein Winzer, um in Körbe Weintrauben zu sammeln. Ich vermute, das sind Weintrauben zum Essen, denn auf diese Weise könnte er sich als Winzer – "Weinmacher" – sein Brot nicht verdienen.
Er kam im Feld auf mich zu, der ich auf dem Fußweg stand, und bot mir eine Traube an. So fing der Tag schon gut an.

Die süßen Weintrauben essend, die Stöcke unterm Arm, schlenderte ich weiter, nicht so, als hätte ich noch 20km vor mir. Da tauchte eine Frau mit Rucksack vor mir auf, wir kamen ins Gespräch, sie war Schweizerin und ging den Weg zurück. Ich bot ihr von meinen Trauben an. Sie fragte mich nach dem, was mir als erstes zum Weg einfiele. Ich erzählte ihr von meinen "Engel"-Erlebnissen. Sie hatte eine ähnliche Geschichte auf dem Weg vor einigen Jahren, als sie den Weg schon einmal gegangen war, schon gehört. Ein Mann, der sich mit Selbstmordgedanken trug, traf auf eine junge Frau. Und sein Leben bekam dadurch wieder einen Sinn. Die beiden verbindet heute noch eine herzliche Freundschaft, obwohl sie weit von einander leben.
Sie selbst erzählte mir, dass die Begegnungen beim Zurückgehen intensiver wären, als beim Hingehen. Es ist das Bewustsein, dass man sich niemals mehr sehen wird. Ich frage mich nur, warum sonst Menschen nicht in der Lage sind, intensiven Kontakt aufzunehmen, wenn sie sich begegnen und wenn sie wissen, dass sie sich nie mehr treffen werden. Es ist wohl doch die besondere Stimmung auf dem Camino und eine doch gemeinsame Grundstimmung.
Ich gab ihr ein wenig von meinen süßen Trauben und wir verabschiedeten uns, uns umarmend. Sie zog in die Richtung, aus der ich kam, ich zog, die Stöcke unter dem Arm, nach Westen, eine Weintraube nach der anderen in den Mund steckend.

Der Weg ging weiter und die Landschaft änderte sich. Es geht einen Berg hinauf, es gibt wieder Weinberge und Weingärten die Landschaft ist sehr bunt und sehr hügelig.

Vor Ponferrada traf ich auf das Paar, ein hagerer großer Mann mit Bart, eine etwas kleinere Frau, die ihr Gepäck auf einer Art Schubkarren zieht, das mir schon seit Fagen immer mal wieder begegnet ist.
Sie sind schneller als ich, aber durch unterschiedliche Pausengewohnheiten läuft man sich immer mal wieder über den Weg. Bis jetzt haben wir immer französisch gesprochen, sie sind Schweizer, natürlich sprechen wir jetzt deutsch.

Der Ziehkarren war ihnen empfohlen worden, weil das Gewicht auf den Hüften so nur ein Drittel beträgt, die Frau zeigt mir so eine Art Hüftgurt, wie ich ihn am Rucksack habe, an dem hängt der Wagen, sie kann ihn also auch ohne die Hände zu benutzen, ziehen. Über die steinigen Wege ist das aber sehr mühsam und das geht dann nur wenn der Mann mithilft. Auch bergauf hilft der Mann, er schiebt mit seinem Stock. Vor Ponferrada trennen wir uns wieder, ich fotografiere, von hinten kommt Penelope aus Australien, mit der ich nach Ponferrada einziehe. Sie spricht ein ganz anderes Englisch als ich es kenne, breitgezogen und sehr helle Vokale, da hat ein Englischexperte wie ich schon seine Schwierigkeiten, vor allem, wenn er dabei noch laufen muß!

In einem kleinen Ort nach Ponferrada stehe ich fotografierend in der kleinen Strasse, da hält ein Auto neben mir und der Mann will mich, fotografierend, fotografieren. Ich stelle mich also hin als täte ich und er schießt eine Anzahl Bilder. Bin mir wie ein Mannequin vorgekommen.

Gemütlich bin ich, von Francis auch noch mit einer Weintraube versorgt, mit vier vollreifen Feigen, die ich mir selbst gepflückt hatte, gesättigt, in Cacabelos eingezogen, dem Ziel unserer heutigen Etappe.

Die Herberge besteht aus ca. 70 Kojen, die im Kirchhof rund um die Kirchenmauer angeordnet sind. Originell. Ich schlafe mit dem Holländer Mark, den ich schon seit Tagen kenne, in einer Koje, die Franzosen laden mich ein, mit ihnen zum Essen zu gehen.

Siegfried

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