Eckartsberga (31. Mai)
Hallo,
Ihr täglichen Streß befangenen, hier spricht der angehende Pilger!
Heut bin ich, nach einem sehr besinnlichen Ruhetag bei strahlender Sonne in Richtung Bad Kösen aufgebrochen, bin also an der Saale entlang nach Westen gewandert, auf einem gepflasterten Radweg. Es ist ein breites Tal, das sich, je näher man Kösen kommt, immer mehr verengt die eingrenzenden Hänge dafür immer höher werden.
Hoch über einem Ort zwischen Naumburg und Bad Kösen sieht man den Bismarckturm, näher bei Bad Kösen siieht man von Ferne das Kloster Hohenpforten. Und näher sieht man die Radfahrer, die einen auf diesem Saale-Radwanderweg überholen, und da hab ich heut ein besoders eindrucksvolles Ensemble vorüberziehen sehen. Tandem: Vorne der Mann, gewaltig, breitschultrig, massig, dahinter die Frau, klein, zierlich, im schwarzen Höschen und BH.
In Bad Kösen habe ich die Saale überschritten. Auf der Brücke gibt es eine Gedenktafel für einen mutigen Bürger, der am Ende des Krieges deren Sprengug verhindert hat. Drüben gings nun steil hoch, aber schneller als ich gedacht hatte, war ich in Fränkenau, wie mir zwei kleine Mädchen versicherten. Ihre Mutti zeigte mir dann den unbefestigten Weg, mitten durch Rapsfelder, zum nächsten Ort.
Wie ich so auf dem Weg um eine Ecke biege, hinter der ich eine Pause einlegen wollte um zu trinken – ich setze mir da immer Wegmarken um ein Gefühl für die Strecke zu bekommen – sehe ich 50 Meter vor mir ein kleines Geschöpf mit schwarzen, langen Haaren und schwarzem Rucksack, großen Schuhen mit schlenkernden dicken Schuhbändern aufspringen, um mit entschlossenen Schritten fortzuwandern. Erst juckt mich der Jagdeifer, dann siegen Altersweisheit und Gelenke. Ich mache meine Pause. Das kleine Wesen ist in der Zwischenzeit verschwunden.
Es geht weiter durch Punschau, Richtung Spielberg. Einmal meine ich, ganz in der Ferne was zu sehen, dann wieder meine ich, es war eine Täuschung. Dann bin ich plötzlich wieder 50 Meter nah dran, wieder das gleiche, auf und davon. Ich bin nun wieder in meinem Trott. Mir kommt das kleine Wesen wie ein Vögelchen vor, das mich necken will, oder wie Fliegen, die oft am Wegesrand vor einem schrittweise voanfliegen, sich setzen, wenn man da ist wieder auffliegen. Sie bleiben auf der Spur und fliegen nicht seitlich weg. Manchmal wie eine Fata-Morgana vom Aussehen her aber eher wie ein Kobold.
Aber da, plötzlich, nach einer Biegung bin ich ganz nah dran, ich sehe: Es ist eine junge Frau, sie grüßt mit der Hand, ich zurück, und wir gehen gemeinsam weiter.
Sie ist eine Journalistin aus Hamburg und geht abschnittsweise den Pilgerpfad. Heute ist der letzte Tag dieses Abscnittes und sie will noch bis R..., das ist noch ca 10km weiter als mein Ziel. Mit vielem Erzählen geht sichs leichter und bald sind wir vor Lissdorf, wo's den bekannten Mann geben soll, der, wenn man rechtzeitig anruft, ein Stück des Weges erzählend mitgehen soll. Ich wollte, habe aber nicht angerufen, weil ich meiner Streckenplanung/-realisation noch nicht ganz vertraue. Aber sie hat angerufen, aber es war nur der Anrufbeantworter dran. Es kam auch kein Rückruf.
Wir gingen also nach Lissdorf rein. Da öffnet sich plötzlich ein Hoftor, und eine freundliche Frau bittet uns herein. Sie sagt, sie erkenne am Bellen des Hundes, wenn Pilger vorbeikämen. Wir dürfen uns aufs Bankerl setzen und werden mit Wasser, Kaffee und hervorragendem Selbstgebackenem bewirtet. Es stellt sich heraus, dass das die Familie Röder ist: die Familie des Mannes, der den Pilgern entgegen geht. Heute war er leider verhindert.
Es geht uns also sehr gut! Dazu muss ich sagen, dass meine Gefährtin im Ort vorher großen Appetit auf Kuchen und Kaffee hatte, es aber nur Saft, für mich allerdings ein Radler gab. Es ist mir die Bewirtung bei Röders wie ein kleines, allerdings sehr profanes, vorgekommen. Herr Röder erzählte von der Geschichte des Ortes, von der früher vorbeiführenden Via Regia, und dass der Ort als eines der Kastelle, die zum Schutz dieser Strasse angelegt wurden, seinen Anfang nahm.
Schließlich führte uns Herr Röder noch in die Kirche, die einen Wehrturm aus dem 12ten Jahrhundert hat, und führte uns das Geläute vor. Die große 500 Jahre alte Bronzeglocke, die im Krieg nicht eingeschmolzen wurde wegen ihres Alters: Sie war schon nach Hamburg abtransportiert worden und kam wieder zurück, und die beiden neuen Stahlgglocken. Ja! Für uns beide läuteten die Glocken von Lissdorf.
Nun bestens gestärkt und noch gesprächiger waren wir schnell in Eckartsberga, meinem Reiseziel. Leider war im Pfarrhaus, dem Quartier, niemand da, und so gingen wir zusammen noch eine Abschieds-Thüringer-Bratwurst essen. Wir sind ja hier nicht viel mehr als 500 Meter von der Grenze entfernt, und die Wirtin sagte, sie seien hier mehr thüringerisch als die Thüringer.
Das Wetter hatte sich geändert, der Himmel trübe, aber die Wirtin versicherte, dass die Wettervorhersage kein Gewitter angesagt habe. Meine Gefährtin brach, nachdem wir uns noch bekannt gemacht hatten, optimistisch zum nächsten Ort auf, ich wieder Richtung Pfarrhaus. Die Wirtin hatte noch eine alternatve Adresse recherchiert, wo ich den zweiten Schlüssel bekommen könnte.
(Fortsetzung folgt (hoffentlich), Anm. d. Red.)