Naumburg: Besichtigungs- und Ruhetag (30. Mai)
Hola,
so heißt's in Spanien. Muss das manchmal einflechten, dass ich das große Ziel nicht aus den Augen verliere.
Kurz nach neun bin ich zum Dom gegangen, der ja gleich um die Ecke meiner Pension liegt. Schon die Zeit war Ruhetags-mäßig aber der Dom wird erst um 9 Uhr aufgemacht. Da die erste Führung um 10h ist ging ich erst zum Domschatzgewölbe, wo zur Einführung ein kleiner Film über den Dom und den Schatz gezeigt wird.
Das Domschatzgewölbe ist einer der ältesten Teile des Domes und auch in Bezug auf Alter und Größe einmalig in Deutschland. Es ist ein sehr flaches Gewölbe, der Bogen beginnt praktisch am Boden. Alle paar Meter gibt es ein Band, dazwischen wilder Natursteinverband. Es wird darauf hingewiesen, dass im Mauerwerk noch Holzreste der Verschalung sichtbar sind. Das Gewölbe ist also ein langer, niedriger und dezent beleuchteter Raum.
Hier sind Tafeln der alten Altäre des Domes ausgestellt (im Dom gab es in alter Zeit 14 Altäre, die zum Teil bei den Bränden schon im 15. Jahrhundert zerstört wurden), darunter zwei Retabeln vun Lukas Cranach dem Älteren.
Wenn man sich Zeit nimmt und Gesicht und Bewegungen der dargestellten Personen studiert, kann man besser als im täglichen Leben Schmerz, Sorge, Leid, Güte, Zorn, Hass, Liebe usw. aus Gesichtern und Haltung lesen. Das war das Neue, das Lukas Cranach geschaffen und bis zur Meisterschaft vollendet hat. Das kann man nicht sehen an kleinen Reproduktinen, das konnte ich jetzt wirklich nur am Original mit Zeit und Ruhe erkennen und empfinden. Ich muss gestehen, auch ich nahm mir nicht genügend Zeit. Vielleicht sind wir heute nicht mehr in der Lage dazu? Es ist ja auch viel zu viel zu sehen und schon beim benachbarten Exponat verliert das vorangegangene etwas von seiner Wirkung. Was mich auch noch tief beeindruckt hat, ist das abgeschlagene Haupt des Johannes. Ihr wisst natürlich: Salome war schuld! Eine der ersten Bildhauerarbeiten in Holz in dieser Art, lebensgroß und sehr realistisch! Beachtenswert die Zunge!
Berühmt ist auch die Pieta von Naumburg, Maria mit dem Leichnam Christi auf dem Schoß. Christus, hager, der Bauch eingefallen, so dass Brust und Becken im Bauchbereich ein ausgeprägtes "V" bilden. Dies hat mich mehr beeindruckt, weil es so maßloses Elend ausdrückt – nur das Knochengerüst ist noch da –, als das was an Besonderheit an Marias Antlitz beschrieben wird: Der Schmerz den die Augen ausdrücken und das zarte Lächeln mit den Lippen, das die Gewissheit des Weiterlebens zeigt.
Es gibt auch noch eine romanische, lebensgroße "Madonna mit dem Strahlenkranz". Es ist eine holzgeschnitzte typisch romanische Figur, bei denen man fast immer den Eindruck hat, der Kopf sei zu groß. Auch diese Madonna hat eine Geschichte, und sie heißt deshalb die "Wundertätige Madonna": Beim letzten, großen Brand vor etwa 500 Jahren stoppte das Feuer genau an der Madonna. Nur der Strahlenkranz verbrannte, den hat sie seitdem nicht mehr!
Jetzt seht Ihr, wie aufregend das hier ist, und ich war noch nicht einmal bei meiner UTA!
Die Domführungen beginnen um 10h und ich bemühte mich bei der ersten dabei zu sein. Ich hab nicht geschwindelt, ich durfte den Besuch des Domschatzmuseums dafür unterbrechen.
Nach der Ruhe im Museum, wo ich fast allein war, und die wenigen anderen Leute sich ruhig verhielten, der Schock: Ich betrete den gewaltigen Raum. Lautes Gerede und Gelächter aus dem Eingangsbereich und dann kommt eine "fröhliche" Gruppe zum Abhaken ihrer Sight-Seeing-Tour, die der Führer nur mühsam zur Ruhe bringen kann.
Ja, dies hab ich jetzt auf einem Bankerl am Marktplatz – die Naumburger nennen ihn den schönsten Marktplatz Deutschlands (warum immer diese Superlative?) – geschrieben. Eine ältere Frau hat sich dazu gesetzt. Ich hab dann das Tippen aufgegeben, schaut ja wirklich ein wenig schäg aus, und hab mich mit ihr unterhalten. Ihr Mann ist vor zwei Jahren an Lymphdrüsenkrebs gestorben. Die letzten sechs Wochen hielt er es nur noch mit Morphium aus! Sie sagt, sie sei jetzt noch nicht darüber weggekommen. Sie ist Naumburgerin, stammt aber aus Pommern. Im Dom war sie erst ein Mal und da hat sie's furchtbar gefrohren. Es stimmt also, was der Führer sagte, die Naumburger hätten ein gespanntes Verhältnis zum Dom.
Den Akku musste ich auch laden, darum ging ich gleich noch zum Abendessen. Und da war ich interessehalber doch etwas ausgefallen unterwegs. Das "Lokal" heißt "Taverne zum 11. Gebot" und liegt in einem Hof unmittelbar unterhalb des Domes. Kein Mensch da, der "Wirt" streicht seine Tische. Ich frage ob ich was bekommen könne, er meint, es käme ganz darauf an was ich wolle. Wir einigen uns auf einen Burgunder von Saale-Unstrut, also von hier, Wasser und einen UTA-Zopf, ein Hefegebäck mit Tomatenfüllung, creiert zum großen Treffen der Utas Deutschlands. Im Dom erfuhr ich dass es das wirklich gibt! Und dass es wegen der grossen Nachfrage jährlich wiederholt werden soll! Sie sind schon ausgebucht bis 2012! (Wenn's stimmt.) Wir haben uns dann gut unterhalten. Es ist auch noch ein Freund des Wirts dazu gekommen, der sich über den regen Betrieb wunderte. Also, Fazit, der Wirt ist ein Aussteiger und hat sich so schon zwei Winter durchgebracht. Ich wünschte ihm viel Glück.
Zwischen den Besuchen im Domschatzgewölbe nahm ich also an einer Führung im Dom teil.
Der Dom besteht aus einem Sammelsurium von Stilen. Zuletzt baute Kaiser Willhelm den vierten Turm dazu. Es geht von alter Romanik (die Zeit mit den runden Bögen und den großen Köpfen) bis in die Hochgotik (als die Spitzbögen und die ebenmäßigen Menschen in Mode waren).
Der Dom hat zwei Lettner, also sowas wie wir in Wechselburg haben. Der östliche liegt über der Krypta (auch noch ein Teil des Vorgängerdomes). Der Teil hinter dem Lettner ist erhöht, und die Brüstung ist so hoch, dass das gemeine Volk in der Kirche die Priester nicht sehen, sondern nur hören konnte,
Der Lettner im Westschiff – also da, wo heute der Chor ist – ist ebenerdig. Hier ist der Klerus und der Adel aus des Volkes Mitte in den vom Lettner begrenzten Teil gegangen. Und hier gibt es eine der Erneuerungen des Naumburger Meisters, das Kreuz steht nicht über den Gläubigen, sondern in Augenhöhe, was eine gewaltige emotionale Wirkung auf die damaligen Leute gehabt haben muss. Man geht praktisch unter den ausgebreiteten Armen Christi durch den Lettner.
Und nun bin ich in dem Raum, in dem sich Uta seit mehr als 500 Jahren aufhält. Sie ist schön.
Aber die deutschnationalen und dann die Nazis haben sie zum Vorbild der Deutschen Frau hochstilisiert und zu dem gemacht, was sie nun ist, "die Berühmtheit" des Naumburger Domes. Jetzt könnte ich noch von den anderen Stifterfiguren erzählen, aber das kann jeder nachlesen, der's wissen will. Aber eins noch: Nachdem die Nazis Uta so hochstilisiert hatten, hatte Walt Disney Uta als Vorlage für die böse Königin in seinem "Schneewittchen" verwendet. Und das stimmt, deshalb ist mir die immer so bekannt vorgekommen.
So, es ist jetzt 22.30 Uhr, morgen warten 20km auf mich!
Euer gesprächiger
Siegfried