04
Juni
2008

Kerspleben / Erfurt (3. Juni)

Hallo,

Einerseits habe ich es fast bis Erfurt geschafft, andererseits aber nur fast. Aber ich fange lieber heute Morgen an, sonst komme ich wieder durcheinander.

Nun fuhr ich mit dem Bus wieder zurück zum gestrigen Ausgangspunkt. Der Ausflug nach Weimar war wunderschön und ich habe ihn nicht bereut. Nun stand ich allerdings nicht oben im Lager, wo ich gestern abgefahren war, sondern wieder am Fuße des Etterberges. Und so ging ich wieder querfeldein den Berg hinauf und kam schließlich an den Anfang des Gedenkweges für die Buchenwald-Bahn, die '43 von den Häftlingen innerhalb drei Monaten gebaut werden musste.

Und nun lief ich diesen alten Bahndamm hinauf. Schienen gibt's nicht mehr, aber der Schotter und ab und zu alte Streckenkennzeichen. Auf dieser Strecke wurden die Häftlinge in offenen Viehwaggons angefahren, zu den Außenlagern forttransportiert und schließlich auch zum Vernichtungslager Ausschwitz gebracht. Auf angehefteten Zetteln las ich, dass immer noch Leute nach ihren – damaligen – Kindern suchen. Sie mussten für den Transport nach Ausschwitz – dem Ort ihrer Venichtung – selbst noch zwei Pfennige pro Kilometer bezahlen.

Es hielten zwei Autos mit holländischem Kennzeichen. Ein wenig schämte ich mich, einem Volk anzugehören, das zu solchen Taten fähig war, und das jetzt einzelne große Männer und Frauen adoptiert und zu Aushängeschildern macht: Goethe, Schiller, Bach.... Das waren alles Einzelpersonen! Die Nazis und die, die mitgemacht haben, waren viel mehr. Mit welchem Recht schmücken wir uns mit den Verdiensten dieser Männer, die sich, so hoffe ich, von diesen Vorkommnissen distanziert hätten.

Ich ging wieder am Lager vorbei und den Pfad der Wachmannschaften östlich Richtung Hottelstett weiter und versäumte tatsächlich die Abzweigung nach B.. vorm Walde.

So ging ich im Bewusstsein,mal wieder einen Umweg zu machen – was ist schon ein Umweg von ein paar Kilometern, wenn man 3000 vor sich hat! Ihr merkt schon ich bin ein wenig weggetreten was Entfernungen betrifft, es wird wirklich alles relativ, was Zeit und Entfernungen betrifft, und ich fühle mich wohl dabei.

Leichtfüßig wandere ich an der Grenze zwischen einem Roggenfeld und einer Wiese einen Kilometer weit um wieder annähernd in die richtige Richtung zu kommen. In Hottelstedt, das ich eigentlich entfernungssparend umgehen wollte, sagten mir Leute, dass sie mich schon Mal gesehen hätten. Wir klären das: irgedwo im Bereich Buchenwald.

Schließlich (nicht so schnell wie es Euch hier scheint) kam ich hier gegen sechs in Kerbsleben an. Die Füße schmerzen, ich gebe auf, es hat keinen Sinn mehr weiterzuwandern.

Erfurt werde ich morgen beim Durchwandern erleben. Jetzt (es ist 21 Uhr) sitze ich im "Hohenzollern" nach Weizenbier und hervorragendem "in Köstritzer Bier Geschnetzeltem", nach einem knackigem Salat und einem heißen Pfirsichragout, bei Donnergrollen und Regen, der mich nichts angeht und denke an Euch und schreibe Euch!!!

Euer Wanderer
Siegfried

PS: Die Wirtin hat mich beim Einchecken gefragt,ob ich Pilger sei. Ich bin ein Wanderer auf den Spuren der Pilger. Ich fühle mich nicht als Pilger, dafür erlebe ich zu viel Schönes! Aber ich denke oft an Euch, an jeden Einzelnen, und ich hoffe, ich kann ein wenig von Euren Ängsten, Sorgen, Wünschen mitnehmen dorthin, wohin ich wünsche zu kommen.

PS 2: Heiko habe ich offenbar verloren, Auch er wollte ja nach Buchenwald. Nachdem er erfahren hat, dass es da keine Übernachtungsmöglichkeit gibt, ist er sicher Richtung Huttelstedt und Ollendorf weiter gewandert und dort untergekommen.

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