13
Juni
2008

Netra (11. Juni)

Freunde!

Ich glaub's nicht, was ich heute wieder alles erlebt habe.

DAZWISCHEN NACHT, ICH KONNT NICHT MEHR SCHREIBEN!

Jetzt ist aber schon der nächste Tag, also der 12. Und schon wieder sechs Uhr, und ich muss jetzt gleich mit meinen Herbergseltern Fernsehen schauen: Deutschland gegen Kroatien oder so.

Und ich muss schnellstens den gestrigen Tag dokumentieren, bevor ich die Details vergesse. Den Tag allerdings werde ich nie vergessen!

Also, wie ich am Vorabend (das ist der Abend vor dem gestrigen Tag) so um dreiviertel zehn Uhr abends vom Essen und E-Mail-Schreiben im Gasthof in mein "Pfarrheim-Nachtquartier" zurück kam, saß da noch eine gestandene Männerrunde beim Bier in meinem Schlafzimmer in spe. Die dazugehörigen Damen waren schon heim gegangen.

Da ich sie nicht gut auffordern konnte, mein Schlafzimmer zu verlassen, setzte ich mich zu einem Bier dazu. Und nun wurde diskutiert: über Fußball, über Autos – hier gab es die Version, dass BMW vor EMW da gewesen wäre – und über die Vor- und Nachteile der DDR-Autos. Es war auch ein russisches Modell "Zwrtorschtow" oder so ähnlich in Eisenach gebaut worden, das einer der Herren einst besessen hatte, weil die Lieferzeit kürzer als bei den deutschen Modellen war. Herausragendes Merkmal dieses PKWs: Von außen klang es wie ein Panzer, von innen war es ruhig wie ein BMW.

Schließlich verließen mich die Herren, und ich richtete mein Klappbett her. Es hätte auch Matratzen gegegeben, aber die sind für einen älteren Herrn unbequemer von wegen des Aufstehens.

Als ich mich, gut ausgeruht (ich hatte ja am Abend zwei Weißbier und ein Pils getrunken) am Pfarrhaus zum Abschied meldete, öffnete mir die nette Pfarrerin mit einer brennenden Kerze in der Hand, überreichte mir die Kerze und gratulierte mir zum Geburtstag. Die Herren hätten ihr das noch zugetragen. Ich hatte das offenbar bei der Ratscherei verraten!

Die Kerze ist rot und in Form einer Rosenblüte, hier wird sie Elisabethkerze genannt. Dazu gab sie mir noch eine Karte mit guten Wünschen und zum Tag passenden Bibelsprüchen. Ja und ein kleines Tonfischchen, das der Töpfer von der Creuzburg gemacht hat. Sie machte extra ein Bändchen dran, so kann ich es jetzt am Hosenbund tragen. Habe mir vorgenommen, sollte ich es bis nach Santiago tragen können, würde ich es Ihr wieder bringen. So schön ging mein Aufenthalt in Creuzburg zu Ende. Nach einem kleinen Frühstück in der Bäckerei ging's weiter Richtung Netra, das mein heutiges Tagesziel sein sollte.

Laut Führer rechnete ich dort einen Gasthof zum Übernachten und zum geburtstäglichen Festschmaus vorzufinden.

Aber zunächst verlief ich mich mal hinter Ifta. Ich hatte mir ausgiebig die Kirche angesehen, die 1740 erbaut und farbenfroh im Bauernbarock ausgemalt worden ist, wie der Führer erzählt.

Als Bayer tauchen da im Hinterstübchen all die Barockkirchen auf, die in der Welt (für den Bayern ist Bayern DIE Welt) rumstehen: die Wies, s' Asamkircherl, Niederding oder auch das Kircherl in dem Geneviève und Torsten geheiratet haben.

Und jetzt komme ich in eine Kirche mit einer Holztonne als Gewölbe, ziemlich dunkel gestrichen, mit Spruchbändern und Bildern in Kasetten. Besser lässt sich die Lebenslust der Bayern und die Ernsthaftigkeit der Mitteldeutschen, aber auch das Verhältnis dieser Menschen zu Religion, Jenseits und Lebensverständnis, nicht dokumentieren.

Nun auch geistig frisch gestärkt ging ich wieder auf den Weg und fand die Markierungen nicht mehr. Anstatt zurückzugehen, fragte ich und bekam erschöpfende Auskunft, trotzdem stand ich plötzlich an einer Stelle, wo selbst ich erkennen mußte, dass es nicht die richtige war. Aus dem Führer konnte ich vage meine Position bestimmen, aber eben nur vage. Um mich herum relativ kleine, niedrige Hügel mit heideartigem Bewuchs. Erst dachte ich, es seien Hochmoore, stellte dann aber fest, dass es Sandhügel aus einem grauen, feinsplittartigem Material waren.

Für was hat der Mann GPS!

Also endlich die Gelegenheit.

Nach einigem Hin und Her (einer von uns zweien stellt sich immer erst ein bisschen an) zeigte mir das Gerät mit einem Pfeil eine Richtung an (diese hatte ich auch schon anvisiert, war aber nur ein Pfad) und bemerkte dazu: 300 Meter Feldstraße.

Also ich ging weisungsgemäß, kam über ein Fußgängerbrückchen aus Holz und war wieder auf einer Straße (ein besserer geteerter Radweg, also keine Straße für Autofahrer).

Nun fragte ich wieder meinen schlauen Begleiter: und nun wurde er gesprächig. Ich solle genau in die von mir als richtig erkannte entgegengesetzte Richtung gehen dann B-soundso, Landstrasse-soundso usw. Frage mich nur, wie ich mein Auto – davon ging er ja wohl aus – durch den Pfad und über das Brückerl...

Ich kam schließlich in Netra an! Und freute mich auf einen Kaffee und einen Geburtstagskuchen.

Café sah ich, Gasthof, einer wenig vertrauen erweckend, der andere gepflegt sah ich. "Alles geritzt", dachte ich. Und um den Ort kennen zu lernen ging ich auch noch zur Kirche, die einen sehr eindrucksvollen Turm mit einer großen Spitze und daran angesetzten vier kleinen Türmen hat, und das alles auf einem gewaltigen quatratischen Mauerwerkskörper.

Seitentür verschlossen. Hintere Tür, man muss ein paar Stufen hochgehen, ein Zettel: Schlüssel gegenüber. Während ich so rumsehe und überlege (hab ja noch alles auf dem Buckel), spricht mich eine Frau an und sagt, die Türe wäre offen. Und ob ich ein Quartier brauche. Nein, sage ich, heute nicht, ich gehe in den Gasthof. Und nun erklärt mir die nette Frau (es stellt sich heraus, es ist die Pfarrerin), dass es keine Zimmer zum Übernachten im Gasthof mehr gäbe. Also deponiere ich meinen Rucksack wieder im Pfarrheim und mache mich auf zum Festschmaus.

Café: Mittwoch Ruhetag! Haben wir heute!

Wirtschaft: Der alte Wirt steht einsam in seiner düsteren Schankstube vor dem Fernseher und schaut mich wie den Mann vom Mond an. Auf meine Frage – Essen? – nur ein verständnisloses "hom mo nöt".

Es war ein wunderbarer, sonniger, lauer Sommerabend, da zog der gerade erst 70 gewordene Siegfried mit einer Plastiktüte auf den kleinen Dorfplatz, auf dem ein Tisch mit zwei Bänken unter einer Linde stand.

Er aß zwei Frikadellen (von der Metzgerin angepriesen und wirklich gut), ein Brötchen und entkorkte eine Flasche Rosé. Dazwischen las er all die lieben Emails, die er sich gerade runtergeladen hatte und telefonierte mit seinen Lieben. Der Wein wurde weniger, die Stimmung gelöster. Er versuchte nun auch mit der Nachbarin im an "seinen" Dorfplatz angrenzenden Grundstück, ins Gespräch zu kommen und zu erklären, dass er....

Die Stimmung stieg, die Telefonate wurden angeregter, plötzlich stand ein Mann in besten Jahren – von meinen mal abgesehen – am Tisch und sagte, er wäre der Ortsvorsteher. "Auweh!", dachte ich mir. Aber dann lud er mich zu einem Bierchen ein – aber nicht in besagte Wirtschaft: Ich fuhr mit dem Auto mit zu seinem Haus hoch über Netra, und siehe da, meine Nachbarin von vorher war seine Frau. Und einen Sohn von eineinhalb Jahren haben s' auch. Und der Schwiegerpapa war auch da, und es gab Nizzasalat wie zu Hause und frisch aufgebackene Baguettes und Rotwein und ausgiebige Gespräche auf der Terrasse.

Müde und mich wohlfühlend ging ich in mein heutiges Zuhause, das Martin-Luther-Haus von Netra, in der Jacke des Hausherrn zurück.

Hecktisch suchte ich mein Messer, das ich bei Aufräumen vermisste, und fand es nicht, wusch meine Unterhose und legte mich im Schlafsack auf die Matratze.

WAR DAS NICHT EIN SCHÖNER GEBURTSTAG?

Kommentare

1. Fathma
That's a smart answer to a tricky quostien

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