15
Juni
2008

Hoheneiche (12. Juni), Berghofen (13. Juni)

Hi, Ihr Lieben,

ich bin natürlich schon wieder einen Tag zu spät dran, aber heute läßt's sich gut an: Ich sitze jetzt in einem Hotel (HOTEL!) in Berghofen. Noch nie gehört? Ich auch nicht, aber der Ort hat das Hotel, und das steht als "Gasthof zum Stern" im Pilgerführer und gibt "Pilgern" Pilgerrabatt. Das ist das Richtige nach der echten Pilgertour durch den Ringgau.

Hatte mich zwei Tage nur katzenartig am Waschbecken und nur mit kaltem Wasser und ohne Waschlappen (nicht dabei wegen Gewichtsersparnis), gestern nur knieend in einer Badewanne unterm Dachjuhe gewaschen, wobei trotzdem das ganze Bad auch so mit nass wurde, dass die Handtücher schon feucht waren bevor ich sie benutzte.

Heute war ich schon nach einer leichten (so schien es mir) Wanderung so gegen 14 Uhr im Hotel. Ich hatte mich vorher angemeldet. Und auf meine Frage nach Kaffee, sagte die nette Dame an der Rezeption: Ja, haben sie, aber ich solle doch erst meine Füße ein wenig hoch legen.

Nun bezog ich mein Zimmer, machte die Türe zu und fühlte mich wie zuhause. Nach den Herren beim Bier in meinem Schlafzimmer in Creuzburg, der Jugendheimstimmung in meinem Schlafzimmer in Netra, dem Schlafen auf Klappbett oder Matratzen im Schlafsack, dann dem allerdings schon recht schönen Zimmer mit echtem Bett und Bettwäsche in Hoheneichen, aber mit dem Schräguntermdachohneduschvorhangdafürmitschiebetürbadwc.

Und dann wird mir liebevoll gesagt, ich solle die Füße hochlegen! Ich aß im Zimmer, irgendwie war ich nun auch hungrig. Ich packte meine beiden, vorgestern abend frustriert in Netra gekauften Brötchen, die ich nicht mehr auf dem Anger-Bankerl essen konnte, weil ich ja beim Ortsvorsteher und seiner Frau zu abend dinieren durfte, aus, dann meine vorgestern Abend in Hoheneiche gekaufte Quarkkäsezubereitung mit Kräutern und genaß, bei einem Schluck aus meiner Wanderpulle mit Wasser aus Hoheneiche das Leben.

Anschließend gab's Joghurt mit Müsli von "Ja". War alles fürs gestrige Abendessen vorgesehen, aber da war ich ja bei meiner Hauswirtin im Regen in der Laube bei Grillwürstchen und Kartoffelsalat zum Fernsehen eingeladen! Deutschland gegen Kroatien!

Der Grill stand etwa 20 Meter entfernt im Regen und qualmte, und sie davor mit Regenschirm. Wir, ihr Mann, eine junge mollige Frau, die ihr sechswöchiges Kind stillte, ein kleiner Junge (für Bayern: Bub) und der dazu gehörige Vater.

Die Polin und ihr Mann haben keine Kinder und schließen offenbar dafür ganze junge Familien in ihr Herz. Ich hatte mit der Polin kurz darüber gesprochen.

Sie rannte nun immer vom Grill weg zu uns unters Dach zum Fernseher und regte sich lautstark auf über das Spiel der Deutschen auf, gab den einzelnen Spielern Anweisungen (sie hatte ja schließlich die Laube "schwarzrotgold" beflaggt) und kommentierte lautstark, während die Männer mehr oder weniger unbeteiligt bei ihrem Bier saßen. Und sie erkannte schon frühzeitig, dass die "Ärsche" heute verlieren würden.

So verging der Abend stimmungsvoll, etwas kühl, mit Grillwürsten und Bier, dann Wein, den ich gestiftet hatte, aber nur der Hausherr mittrank und einer saueren Hausherrin mit viel Temperament, die auf die deutsche Mannschaft "sauer" war, aber ihre herzhafte "kracherte Art" trotzdem nicht verloren hatte.

Sie war vor 30 Jahren nach Deutschland gekommen, wegen ihres Mannes, und noch heute verabschieden sie sich nach dem Früstück mit einem hörbaren Kuss! (Allein das war mein Frühstück um halb sieben Uhr wert!)

Heute früh, nach dem frühen Frühstück und einem herzhaften Abschied (ohne Kuss!) ging's für mich dann um acht Uhr weiter.

Das Ziel – das hiesige Hotel – hatte ich schon frühzeitig in meinen Plänen vorgesehen.

Zunächst hatte ich, wegen der Kälte, unter mein Trikot ein Unterhemd angezogen aber bald merkte ich, dass mir trotzdem nicht warm wurde. So zog ich nun zum ersten Mal meine dritte Schicht, die Regenjacke, an.

In Bischofen, eigentlich ein ganz kleiner Ort, war ich überrascht über die reichen und sehr gut restaurierten Fachwerkhäuser. Darunter fiel mir besonders ein Haus mit herausgezogenen Ecken auf.

Das müsst Ihr Euch so vorstellen: Den Hausherr haben immer gerade die Dinge vor seinem Haus am meisten interessiert, die genau übereck vor seinem Haus passierten. Und da hat er am meisten rausgeschaut und hat sich an die Wand gelehnt und da ist das Eck immer mehr nach aussen gewandert, so dass die Ecken nun ganz ausgebuchet sind nach außen. Und weil das die einfachen Leute natürlich nicht so gemacht haben, sondern nur die "besseren" ist das das Junkerhaus.

Es könnte natürlich sein, dass er nur nach einer Seite so intensiv rausgeschaut hat, und um die Richtung zu vertuschen die anderen Seiten.....

Das sind so Gedanken, wenn man vorüberzieht.

Da in der Kirche Festbeleuchtug zu erkennen war, ging ich hinein. Die Küsterin staubsaugte, und ich unterhielt mich gut mit ihr und trug etwas Weises ins Gästebuch ein, in der Hoffnung, dass das nur Gott, der mich – hoffentlich – liebt, liest und sonst keiner.

Die Wolken zogen sich immer mehr zusammen und ein Unterstand mit Tisch und Bänken kam in Sicht: für Biker las ich an einer Informationstafel, und da standen auch Übernachtungsmöglichkeiten im hinter mir gelassenen Ort drauf. Sind Biker noch besser organisiert als die Walkers, wie ich einer bin?

Ich entschloss mich, das erste Mal die "mittlere Regenausrüstung" anzulegen, also zur Regenjacke auch noch die Regenhülle für den Rucksack. Beim um die Ecke gehen, was ja auch mal sein muß, sah ich eine große Ansammlung von wohlgenährten Weinbergschnecken am Wegrand. Da läuft einem glatt das Wasser im Munde zusammen. Aber da muss ich wohl erst noch ein paar hundert Kilometer laufen, damit diese Vision Wahrheit wird. So in Knoblauchöl zu frischen, knusprigen Baguettes...

Regenausrüstung perfekt, ich bin fertig zum Weitergehen. Was seh ich da? Über mir blauer Himmel! Aber kurz darauf fing's an – und zwar heftig. Und meine Hose natürlich gleich pitschnass! Ich hatte ja, um noch eine Steigerung zu haben, meine Regenhose nicht angezogen.

Kapuze auf dem Kopf, Kopf tief gebeugt gegen den Gegenwind und die großen Tropfen (manchmal kamen sie mir wie Hagel vor) kämpfend, an den Kobold von Eckardsberga denkend, der einsam gegen abend in so ein Gewitter geraten war und von dem ich seit ein paar Stunden wusste, dass er das Unwetter heil und angstfrei überstanden hatte. Sie hatte das auf ihre Erfahrungen beim Alleine-Gehen auf dem ökumenischen Pilgerweg zurückgeführt. Wie sollte da ich – Mann – jammern können?

Der Regen war auch gleich wieder vorbei, die Hose trocknete wieder, dann regnete es wieder und die Hose wurde wieder nass. So kam ich schließlich nach Waldkappel, lief durch den Ort und besuchte die Kirche und auch einen Superkleinensupermarkt und fragte nach einem Löffel. Ein Mann mit Bart, einem Rucksack und einer nassen Hose.

Leider hatten sie keinen einzelnen Löffel in Metall, wie ich mir das vorstellte, sondern nur 20er-Packungen, die größeren zu 1,19 €. Die Dame meinte, die wären wohl für mich die geeigneteren, weil ich ja vielleicht auch Suppe essen wolle... Ich nahm dann doch die kleineren, weil ich ja noch einen Joghurt im Rucksack hatte, ja und wegen der Gewichtsersparnis. 20 Löffel wollen ja auch getragen werden!

Auf meine Frage nach Papiertaschentüchern kam der Geschäftsinhaber zur Beratung. Er stellte fest, dass sie nur diese Riesenpackung Tempos haben. Was soll ich mit der Packung in meinem Rucksack, und da ich zur Zeit recht wenig schneuze, dauert das ja ewig!

"Kommen Sie mit", sagte er, und gab mir eine Einzelpackung, "die schenke ich Ihnen". Ich sagte, das sei wieder zu wenig, er solle mir ein paar mehr geben, ich würde sie gerne zahlen. Da gab er mir eine zweite Packung: "Ich schenk Ihnen beide!"

Das war Waldkappel. Als ich aus dem Ort rauskam, lief ich in der Nähe des Campingplatzes vorbei, und da war ein Treffen von Pferdeliebhabern: also Reitern, Kutschern usw. mit allem Drum und Dran...

Da dachte ich mir, was doch die Leute so alles brauchen, um glücklich zu sein: Ein dickes Auto mit Hänger fürs Pferd und auch noch für die Kutsche, ein Motorrad oder einen Smart für die kleinen Strecken zum Bäcker und so, wenn das große Auto wo steht, ein opulentes Zelt, eine fesche Reiterausrüstung usw.

Aber es ist gut so. Wie langweilig wäre es, wenn alle bloß so rumlaufen würden wie ich und Schnecken betrachten, die die Radwege kreuzen. Muss dann immer aufpassen, dass ich keine erwische und zertrete oder aufspieße, bin ja schließlich 4-füßig unterwegs. Am Morgen laufen die Schnecken besonders gern über die Radwege – wenn ich komme auch Pilgerpfade genannt.

Unklar ist mir, warum die einen von Nord nach Süd, die anderen aber genau umgekehrt laufen. Aus den Schulbüchern (mein ich jedenfalls), weiß ich, dass sie nur von Ost nach West laufen. Und dann gibt es noch ganz schlaue: Die laufen tatsächlich nach Westen, so wie ich, aber die Straße verläuft nach Westen und ist wohl für eine Schnecke fast unendlich, es sei denn, es kommt eine Kurve.

Es gibt auch Schnecken, denen Essen über alles geht, und die tun sich dann gütlich an den Kadavern ihrer bei einer Kollision mit einem Fahrrad oder einem Pilger unterlegenen Artgenossen. Nicht bedenkend, hierbei das Schicksal geradezu herauszufordern.

Heute habe ich das erste Mal seit meiner Jugendzeit wieder ein Getreidefeld gesehen, "verunkrautet" mit Korn- und Mohnblumen! Ich bin stehengeblieben und habe mich einfach glücklich und froh gefühlt.

Gestern auf der Wanderung von Netra her sah ich von weitem eine Person, die vom Boden aufstand und sich mit etwas beschäftigte, was noch am Boden lag, das war blau. Aha, dachte ich mir, jetzt triffst du auf einen Wanderer. Es war nicht zu erkennen, ob Frau oder Mann. Schließlich war das, was am Boden war, aufgehoben, und ich sah, auch das war ein Mensch. Beide kamen mir entgegen: Ein Mädchen mit vielleicht 15 Jahren, mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht, freundlich grüßend, und ein zweites Mädchen, etwas jünger, die Zunge bis unters Kinn unbeweglich herausgestreckt, mit stierem Blick mich ansehend, aber auf meinen Gruß auch mit einem Laut reagierend. Was gibt es alles für Glück und Unglück in der Welt, und wie wenig ist Glück mit dem verbunden, was wir Haben und Erfolg nennen.

So glückliche Augen habe ich bei kaum einem Menschen gesehen, dem ich die letzten Tage begegnet bin. Am wenigsten bei denen, die hochtechnisiert durch die Welt autofahren oder radeln und verbissen ein Ziel ansteuern, das sie auch nicht glücklicher macht. Oder bei jenen, die durch die schönsten und würdigsten, jahrhundertealten Kirchen gehen und demonstrativ, die Hände in den Taschen, gelangweilt, eventuell auch eifrig fotografierend oder diskutierend, ihr Desinteresse am Sinn des Ganzen dokumentieren. Wie selbstsicher oder dumm müssen Menschen sein, wenn sie den Glauben, die Weisheit, das Wissen, die Erfahrung all unserer vorangegangen Generationen nur noch als Episode abtun.

Manchmal auch nachdenklich
Euer Siegfried

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