27
Juni
2008

Runkel (26. Juni)

Es ist sieben Uhr, ich bin frisch geduscht und sitz jetzt "beim Thomas im Goethehof" hier in Runkel. Das ist ein Ort etwa vier Kilometer lahnabwärts von Villmar. Nach Limburg sind's noch um die zwölf Kilometer. Da hab ich einen leichten Tag morgen und viel Muße, die Stadt anzusehen.

Und möglicherweise bekomme ich auch noch eine günstige Unterkunft bei den Pallotinerinnen! Meine neue Freundin aus Bonn, Elke, hat nämlich auf der Mailbox angerufen und mir diesen Tipp gegeben. Sie ist mit ihrer Gruppe heute im Limburger Dom gewesen und hat sich kundig gemacht! – Da schaugt's, gell! (Für Nichtbayern: Das ist bayrisch!) Aber von Vorne.

Die wepsige Fliege von gestern Abend hab ich nicht erwischt, in der Nacht hat sie mich in Ruhe gelassen, oder ich hab's nicht gemerkt, aber in der Früh war sie wieder da. Einmal an der Nase, dann am Arm und bei der kleinsten Bewegung war sie weg. Sogar im Bad war sie dabei und hat mir vom Spiegel aus ins Auge geschaut. Mein Schlag mit dem Handtuch traf sie und sie lag mausetot am Boden. Da ich ein ordentlicher Mensch bin, wollte ich sie aufheben und genußvoll runterspülen, doch kaum bin ich mit den Fingern in ihre Nähe gekommen, war sie wieder weg. So erfolgsbeladen begann nun mein Tag.

Ich ging zum Frühstücksbüffet, und wen traf ich da? ELKE! Da wusste ich natürlich noch nicht, dass das Elke ist. Erst dachte ich, das wäre die etwas legere Dame vom Büffet, weil außer uns beiden niemand da war und sie sich auch am Büffet zu schaffen machte. Wir kamen ins Gespräch und nachher setzte sie sich und noch ein Herr zu mir an den Tisch.

Sie hat eine sehr ruhige und besinnliche Art, und als ich ihren Namen "Elke" hörte, fiel mir sofort ihre charaktermäßige Ähnlichkeit mit unserer Münchner Elke, der Freundin von Geneviève, auf: Sie ist auch zierlich aber etwas größer als die Münchnerin, und sie spricht den Köln-Bonnschen Singsang-Dialekt! Ein Genuss!

Sie hat in Erwägung gezogen, mich vielleich nächste Woche ein Stück über den Moselhöhenweg zu begleiten. Und sie wollte mir als Sonnenschutz eine fesche Mütze der Bäckerinnung mitgeben. Als ich das ablehnte, hätte sie mir auch gerne eine Botzeitdose geschenkt. Da ich unertags nichts esse, und auch der Rucksack schon voll ist, war's auch damit nichts, schließlich, das erste Mal in meiner Pilgerlaufbahn! Ein Fünf-Euro-Schein. Auch darauf musste ich natürlich verzichten, aber ich trage ein Andenken an Elke an meiner Hose: Einen Kugelschreiber aus Holz!

So schön also hatte der Tag begonnen, was konnte da noch schiefgehen!

Zunächst war aber heute ein Tag, an dem mir der Beginn des Laufens besonders schwer fiel. Die rechte Ferse schmerzt, obwohl ich gestern Abend noch mit der Sicherheitsnadel und unter großen Verrenkungen die vermuteten und erfühlten Wasserblasen zu perforieren versuchte. Und vorsichtshalber hatte ich auch noch ein gestern erworbenes Blasenpflaster draufgeklebt. Aber da gibt's offenbar noch eine, die ich nicht erwischt habe, und die jetzt schmerzt. Da ich unter Beobachtung von Elke stand, bemühte ich mich, das Hotel trotzdem elegant zu verlassen.

Und was erwartet mich unten beim großen klassizistischen Landtor? Eine Person winkt von Weitem. Jean-Pierre, er hatte in "la nature" übernachtet und war jetzt auch zum Radweg nach Villmar unterwegs. In der Freude der Wiederbegegnung tranken wir noch einen Espresso beim Italiener und runter gings zur Lahn.

Ich hatte mich ja schon entschlossen gehabt, den Radweg zu gehen statt den ausgewiesenen, mühsamen Pilgerweg über die Lahnhöhen. Er sowieso. Er hat mir später verraten, dass er immer abwägt zwischen Entfernung und Begehbarkeit und im Zweifel immer die kürzere Strecke – das ist in der Regel die Strasse – geht.

So sahen wir auch noch den Schiffstunnel, der die Lahnschleife abkürzt und an der schmalsten Stelle unter dem Berg durchführt. Ist schon Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut worden, verlor aber an Bedeutung, als die Schifffahrt auf der Lahn von der Eisenbahn abgelöst wurde.

Jean-Philipp musste schon kurz, nachdem wir uns warmgelaufen hatten, eine "Operation" durchführen, das heißt seine Zehen verarzten, die durch Reibung und Druck recht mitgenommen aussehen. Aber er macht das sehr fachmännisch mit Schere, Deinfektionsmittel und Pflaster. Vor dem Überziehen der Socken wird noch an einer Stelle des Fußes ein Schaumstoffstück sorgfältig eingelegt.

So, jetzt geht's wirklich los. Der Weg ist grade so breit, dass zwei nebeneinander gehen können, aber bei jedem Radler heißt's hintereinander, ist ziemlich anstrengend. Auch Jean-Philipp fällt auf, dass hier die Leute wieder mehr grüßen als in der Gegend, aus der wir kommen. Ihm fällt auch auf, dass es hier in Deutschland viele extrem dicke Menschen gibt.

In Aumenau machen wir ein wenig Pause, trinken ein gepflegtes Weißbier, Jean-Philipp isst dazu einen großen Teller Pommes-Frites, und weiter geht's.

Da ist der Radweg gesperrt. Auf der Karte sehen wir, dass das einen Umweg von mehreren Kilometern in bergiges Gelände bedeutet. Also gehen wir natürlich weiter. Und tatsächlich: Der Weg ist unpassierbar, er ist überschwemmt und voller Morast. Links geht steil der Hang hoch, rechts ist das Schotterbett der Bahn. Grade kommt auch noch ein Zug. Aber nun wissen wir: So schnell kommt keiner mehr, hoch auf die Schienen.

Vor Villmar trennen wir uns wieder. Ich suche eine Unterkunft, aber nach Auskunft einer Gruppe von Leuten gibt's hier nichts außer der Pension "Bär" im Gewerbegebiet, wo ich vor zehn Minuten vorbeigelaufen war. Und Gewerbegebiet ist nicht so mein Fall, wenn ich in einer schönen fremden Stadt bin. Also nahm ich den Rat an, in den nächsten Ort hierher (ca. vier Kilometer) weiterzugehen, und bin hier in der als gut und preisgünstig empfohlenen Gastsätte "Zum Thomas" gelandet, wo die italienische Mama mir sehr feine "Spaghetti bolognese" zubereitete.

Zehn Meter von der Terasse entfernt führt die Bahntrasse vorbei, und gerade fuhr ein mit Langholz beladener Güterzug vorbei. Ein Erlebnis! Öfter kommen rote Regionalzüge. Da alle sehr langsam fahren, ist nur wenig zu hören. Mehr hört man von einzelnen Motorrädern, deren Fahrer am gegenüber liegenden Berg mal so richtig "aufdrehen".

Ich denke fast immer – eigentlich jeden Tag mindestens einmal – an Euch! Wenn ich nicht gerade an was anderes denken muss!

Siegfried

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