28
Juni
2008

Limburg (27. Juni)

Hallo, Ihr Lieben,

heute habe ich mir einen leichten Tag gemacht, ich bin nun ungefähr zwölf Kilometer gelaufen. Die letzten Tage waren doch wieder ganz schön anstrengend gewesen. Gestern waren es sicher so um die 24 Kilometer, und ich war außer während ein paar kurzen Pausen doch von neun Uhr morgens bis sechs Uhr nachmittags auf den Beinen. Und da schmerzt dann die rechte Ferse sogar im Bett, wenn sie hinten aufliegt. Besser ist es, wenn ich den rechten Fuß über den linken lege, so dass die Ferse frei liegt. Ja Leute, das sind halt so Details. Und die rechte Hüfte schmerzt dann auch ein bisschen.

Heute also bin ich in Limburg und bin schon kurz nach zwölf Uhr hier angekommen.

Natürlich hatte ich beim Weggehen aus Runkel auch wieder eine Ehrenrunde gedreht und ich regte mich wieder einmal unpilgermäßig über den Führer auf. Obwohl ich auch die Wirtin gefragt hatte, und sie das als einfach beschrieben hatte, lief ich schließlich einen ganz kleinen, unmarkierten Saumpfad an der Lahn entlang, der wunderschön unter Felswänden durch Mischwald führte und meine einzige Hoffnung war, dass er nicht irgendwo im Nichts enden wolle. Einige Male entdeckte ich frische, so meinte ich, Stockspuren eines Wanderers, ich dachte an meinen französischen Kollegen, dann veränderten sich diese "Stockspuren" zu kleinen Hufspuren, vielleicht eines Rehes, und dann waren sie auch plötzlich wieder ganz verschwunden.

Die auf der anderen Lahnseite verlaufende Bahnlinie sollte meiner Karte nach, mal auf mein Ufer rüberkommen, tat sie aber nicht, aber der Weg ging nun stetig nach oben und von der Lahn weg und plötzlich war die blau-gelbe Markierung des Jakobsweges wieder da und auch die des Lahnweges. Vermutlich hatte ich die schönere und weniger anstrengende Route genommen gehabt, vielleicht wächst mir jetzt langsam auch so eine "nez" wie Jean-Philipp!

Der Führer "Der Jakobsweg von Wetzlar nach Lahnstein" ist, was die Wegbeschreibungen angeht eine Katastrophe!

Gut gemeint sind dort Wegbeschreibung mit Orts- und Sehenswürdigkeiten-Beschreibungen kombiniert, und so ist die Sache schon mal recht unübersichtlich. Sucht man einen Weg, interessieren einen kaum die Sehenswürdigkeiten die am Wege stehen, falls man überhaupt auf dem richtigen Weg ist. Oder ist das nur bei mir so?

Schon in Wetzlar ging's so los, da bin ich rechts 200 Meter über die Lahnbrücke gelaufen, obwohl ich wusste, dass ich eigentlich auf der diesseitigen Seite bleiben sollte, aber im Führer steht: "[...] gehen durch die Silhöfertorstrasse bis zur viel befahrenen Schützenstrasse, dann bis nach unten zum Ernst-Leitz-Platz. Sie passieren in der Altstadt viele schöne, alte Fachwerkhäuser. Die bedeutsamen sind durch Tafeln beschrieben. [...] Am Ernst-Leitz-Platz angekommen, sehen Sie schräg gegenüber das Neue Rathaus" – woher soll ich das wissen, außerdem steht's ziemlich unsichtbar weiter hinten – "und vor sich das Verwaltungsgebäude der Firma Leica. Im dritten Stock des neuen Rathauses ist die Sammlung der historischen Mikroskope von Leitz untergebracht. Die Öffnungszeiten [...]. Die viel befahrene Strasse unterqueren Sie durch den Fußgängertunnel. [...]" Der Mann hat Sorgen!

Manche Jakobsjünger werden natürlich jetzt sagen: Der heilige Jakobus hat Dich deswegen über die Brücke gehetzt, damit Du die schönste Ansicht des Wetzlarer Domes siehst und fotografieren kannst und auch die Alte Lahnbrücke.

Man kann auch durchaus im Zweifel sein, ob das Riesengebäude das da steht, das Verwaltungsgebäude von Leitz ist. Ich hielt es für die Fabrik, schon wegen der großen Uhr an der Front!

Wäre im Führer gestanden: "Überqueren Sie die Straße", wäre alles klar gewesen. Er braucht nicht detailliert anzugeben, wie die Strasse zu überqueren ist, und wo man vorbeigehen muss! Gut, schließlich fand ich den Weg eine viertel Stunde später, aber auch hier schon sauer.

In Braunfels steht im Führer: "Sie stehen vor dem Hotel [...]"

Ich definierte: Ich trete aus dem Hotel (ich hatte im Gasthof nebenan logiert und für mich war das eindeutig!) – und so lief ich prompt in die falsche Richtung. Da die Straßenbezeichnug nicht stimmte, fand ich sogar die richtige Strasse (nur in die falsche Richtung) mit Hilfe von netten Einwohnern – auch durch komplizierte Angaben in einem Führer kann man nette Kontakte anbandeln. Ist das vielleicht die Absicht des Autors?

In Weilburg schreibt er, Ausgangspunkt sei der Schiffahrtstunnel. Nur: Ein Tunnel hat zwei Eingänge! In dem Fall wurde ich nicht auf die Probe gestellt: Ich hatte ja Jean-Philipp mit seiner "nez" vorher getroffen.

Also auf der Strecke nach Limburg war ich nun wieder auf dem richtigen Pfad. Von weitem sah ich schon die ICE-Brücke und die Autobahnbrücke über das Lahntal. Von der Autobahnbrücke aus hatte ich ja schon öfter den Dom von Limburg gesehen. Dann plötzlich in einer kleinen Waldnische ein Bildstöckel mit frisch gepflanzten Blumen davor: Die "Mater Ter Admirabilis" der Schönstattbewegung, der ich bis zum Ende meiner Schulzeit in München angehörte. Ich machte eine kleine Besinnungspause und fühlte mich aufgehoben und beschützt.

Beim Weitergehen sehe ich auf einer Anhöhe die Kirche von Dietkirchen (auch einmal ein Lob dem Führer). Nun geht's unter ICE- und Autobahnbrücke durch, und schon bald erscheint der Limburger Dom hoch über der Lahn! SO SIEHT DEN KEIN AUTOFAHRER! Nicht mehr lange, nur noch ein bisschen Anstrengung, dann sitze ich im Dom.

Der Körper vibriert, die Muskeln zittern, das Herz klopft schnell. Ich glaube es selbst nicht, obwohl man ständig in der Ruhe geht und sich auch nicht besonders fordert, ist der Körper in höchster Erregung und es dauert eine Viertelstunde bis er wieder ruhig wird. Aber diese Zeit des langsamen Zurückkommens aus der Bewegung in die Ruhe ist sehr intensiv. Da spürt man die Zweiteilung Körper – Geist besonders deutlich und man spürt auch, wie sie sich wieder abstimmen.

Ich war wohl über eine Stunde im Dom, hab wenig angeschaut aber viel gesehen und auf mich wirken lassen.

Ich frage mich manchmal, ob die Leute mehr von den Objekten haben, die sie kunstbeflissen und gestenreich durchwandern, als die, die sich einfach hinsetzen und sie ohne viel Gedanken auf sich wirken lassen.

Diese Kirchen sind ja nicht als Kunstmuseen gebaut worden, sondern als Andachtsräume, und Generationen lang waren sie es auch. Ich glaube, da ist uns viel verloren gegangen!

Ich sitze jetzt vor "La città vecchia", einem Restaurant nicht weit unterhalb des Domes. Und da auch eine Pension dazugehört, habe ich mich hier, entgegen der Recherchen und Empfehlungen von Elke, einquartiert. Meine Finanzkontrolleurin Geneviève bitte ich um Nachsicht. Ich hoffe, dass ich das jetzt rausgeschleuderte Geld auf den richtigen Jakobspfaden in Frankreich und Spanien wieder einsparen kann. Hier ist quasi Jakobsniemandsland, der Herr im Dompfarramt hatte noch nie vom Pilgerpass gehört, geschweige denn von Pilgerunterkünften. Und nach den von Elke angesprochenen Palottinerinnen wollte ich mit meinen schmerzenden Füßen nicht suchen und im Dom waren auch keine.

Ich hab am Nachmittag einen schönen Stadtspaziergang gemacht und viel gesehen und war auch nochmal im Dom und – hörte ein kleines Orgelkonzert!

Jetzt ist Altstadtfest und überall ist laute Musik. Und überall sind fröhliche junge Leute und alte, die dazwischen ganz verwundert rumstehen, so wie ich.

Euer Siegfried

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