Ossan-Monzel (9. Juli), Klüsserath (10. Juli)
Hallo Ihr Lieben,
Ihr seht, ich komme mit dem Schreiben wieder nicht nach. Das liegt einerseits an den Tagestouren, die wieder ausgedehnter sind, aber auch daran, dass ich beim Glaserl Wein nicht schreiben kann, weil ich zur Zeit wieder Gesellschaft habe.
Heute sitze ich (es ist jetzt schon acht Uhr) bei meinem Glas Riesling feinherb von der Klüserather Bruderschaft allein, nur mit meinem Zu-Euch-Kontaktgerät am Tisch. Und auch dieser Wein schmeckt gut: Er ist frisch und hinterlässt einen feinen Fruchtgeschmack im Mund, bei dem gut sinnieren und schreiben ist.
Die letzten Tage habe ich einige Tiefschläge hinnehmen müssen, die manchem von Euch vielleicht nicht so bedeutend vorkommen, weil Ihr ganz andere Kaliber von Tiefschlägen ertragen müsst, aber mir altem, sensiblem Kerl reicht schon ein kleiner zarter Kinnhaken, schon fällt er um!
Also vorgestern musste ich feststellen, dass ich das kleine Tonfischchen, das ich von der Pfarrerin von Creuzburg zum Geburstag geschenkt bekommen habe, verloren habe! Darüber bin ich sehr traurig, weil ich es am Gürtel getragen habe und es immer wieder in der Hand und vor Augen gehabt habe...!
Gestern als ich in einem Buswartehäuschen wegen des Quartiers telefonierte, stellte sich ein kleiner Junge von vielleicht 12 Jahren mit dem Fahrrad vor mich hin und beobachtete mein Tun. Wir kamen ins reden und ich erzählte von mir und von dem, was ich vorhabe. Er schaute mich von oben bis unten abschätzend an und sagte nach kurzem Überlegen: "Das schaffen Sie nie!"...
Heute habe ich meine neue Bekanntschaft in Klausen verlassen, weil ich nicht die vorgeschlagene, meines Erachtens umständliche Strecke gehen wollte, sondern eine sinnvoll kurze, und hab mich ziemlich verfranst, so dass ich erst kurz vor sieben Uhr in Klüsserath, und natürlich recht erschöpft, eingetroffen bin...
Also drei Tiefschläge in drei Tagen, das gibt zu denken! Außerdem hab ich auch gestern noch meinen Hut in der Pension vergessen! Alt wird man halt. Aber die schicken mir den Hut zum Pilgerbüro in Trier nach, ist alles schon geregelt. Und deswegen habe ich auch schon ein Quartier in Trier, direkt neben der Porta Nigra, im Josephstift!
Gestern brach ich von Tarben-Trarbach aus Richtung Bernkastel um Viertel nach neun Uhr auf, und da mein Quartier günstig gelegen war, fand ich gleich den Weg. Auch diesmal wollte ich nicht den vom Führer vorgeschlagenen Weg gehen, sondern den direkten Wanderweg, den die Einheimischen vorschlagen, und der um einiges kürzer ist als der vorgeschlagene Moselhöhenweg.
Man muss nicht unbedingt zu jedem Aussichtspunkt gehen. Das kann auch manchmal erlebnismäßig nicht verkraftet werden, und am Schluss hat man dann von vielen großen Erlebnissen weniger als von einem, das sich eingeprägt hat.
Nach fast zwei Stunden Hochgehen: Übernachtet habe ich ja im Tal der Mosel, und um die Moselschleife zu umgehen, das heißt: abzukürzen, bleibt einem nichts anderes übrig als auf die Hänge hochzusteigen. Das sind so im Allgemeinen um die drei- bis vierhundert Meter, um dann auf der anderen Seite wieder ins Tal abzusteigen.
Und wie ich da an der Wegspinne (schönes bildhaftes Wort, spannend, wenn die einzelnen Beine der Spinne unklar beschriftet sind!) stehe und die Karte studiere, kommt ein etwas, eigentlich mehr als etwas, jüngeres Paar als ich des Weges und entpuppt sich auch als Jakobspilger(-Paar).
Sie haben auch die Abkürzung genommen, und – wie sich später herausstellt – auch die Fähre bei Enkirch, um den Weg abzukürzen, und das alles allein ist schon ein Grund, sich symphatisch zu sein. Und so gehen wir zusammen plaudernd nach Bernkastel hinunter und durch Bernkastel durch und erst vor der Brücke merke ich dass ich schon durch bin.
Sie gehen weiter. Wir werden uns sicher wieder treffen. Ich bleib in Bernkastel, besuche die Kirche und bummle durch die wenigen kleinen schmalen Gassen und trinke schließlich einen Kaffee zu einem prima Apfelstrudel mit Vanilleeis und Sahne. Ja, es gibt halt auch Sachen von denen ein "Pilger" träumt!
Aber auch ich muss weiter und gehe auf der Brücke nach Kues. Da gibt's einge Sehenswürdigkeiten, aber vor allem das Nikolaus Cusenius-Haus. Das war so eine ganz kluge Persönlichkeit im 16. Jahrhundert, und deshalb ist sein Geburtshaus was ganz besoderes, und ich bin daran vorbeigelaufen, wie ich später erfuhr. Ich stehe jetzt vor der unlösbaren Frage: War ich so schnell, dass ich das Hinweisschild nicht lesen konnte, oder hab ich so eine lange Leitung, dass...?
Schließlich kam auch ich in Monzel an. Allerdings, entgegen den Empfehlungen des Führers und der entsprechenden Wegeplanung meiner neuen Freunde, nicht auf dem Moselhöhenweg hoch über den Weinbergen, sondern entlang der Bundesstrasse am Fuß der Weinberge. Ich hatte gedacht ("gedacht"), der Weg würde wie hinter Bernkastel immer an der Mosel entlang führen aber da hatte ich mich halt wieder mal verrechnet.
Da Monzel zur Abwechslung einmal hoch über dem Moseltal liegt (ca. 60 Meter), muss ich am Ende doch noch einen Anstieg machen. Monzel ist ein recht verschlafener kleiner Ort. Ich finde ein Privatquartier nach telefonischer Voranmeldung, wobei mich der kleine Junge, wie schon beschrieben, so kritisch bewertet hatte.
Beim Abendessen im Kelterhaus treffe ich wieder mit meinen neuen Freunden zusammen. Sie haben zwei Söhne und sind aus Spay bei Boppart und gehen die Route, so wie im Führer vorgeschlagen, von Stolzenfels nach Trier.
Ich hab den Eindruck, ich bin für sie, besonders für die liebe Frau, so was wie ein Wesen aus einer anderen Welt, mit vernünftigen Ansichten, aber utopischen, das heißt: gewünschten aber unerreichbaren Zielen (für sie selbst). Aber immerhin planen sie jetzt, ein paar Tage den Weg von Trier Richtung Frankreich weiter zu gehen. Wir nehmen mal wieder Abschied in der Hoffnung, uns wieder zu treffen.
Und heute haben wir uns wieder getroffen, wieder auf einer kleinen Anhöhe über der Mosel. Ich telefonierte, dann hatte ich was zu tun, und grad da kam ein uralter Jogger vorbei. So uralte Jogger sind ja ein Augenschmaus! Schöner finde ich da noch einen g'standenen, gemütlichen Mann mit Bauch und feistem, lachenden Gesicht! Und dann sah ich auch meine Jakobsweggefährten den Berg hoch kommen.
Ich hatte den Rucksack grad angeschnallt, um weiter zu gehen. Sie machten keine Pause, obwohl ihnen der Schweiß aus allen Poren lief. Preißn halt! (Sind natürlich KEINE Preißn! Wenn Ihr Euch nicht sicher seid, Landkarte anschauen! Anmerkung gilt nur für Bayern!)
Von da sind wir wieder unterhaltend weiter gegangen. Ich vermeide hier bewusst das Wort ratschend. Wir haben durchaus auch ernste Themen angeschnitten.
Was halt immer ein bisschen befremdend wirkt, wenn zwei Männer und eine Frau gehen: Es ist fast selbstverständlich, dass die beiden Männer da, wo nur zwei nebeneinander Platz haben, nebeneinander gehen, und die Frau im Dunstkreis der Männer hinterherhechelt.
Ich habe versucht, eine Verbindung mit dem hinteren Teil der Gehgemeinschaft dadurch herzustellen, dass ich ein wenig versetzt nach hinten ging, aber das fasste der Mann als körperliche Schwäche meinerseits auf und reduzierte mitfühlend auch seine Geschwindigkeit.
Schön fand ich, dass er "gehend" Geschichten über das anzulaufende Objekt seiner Frau vorlas, als ich, um ein Foto von beiden von hinten zu machen, zurück geblieben war. Wenn das nicht Liebe ist! Aber selbst bei übermächtiger Liebe hätte ich das nicht gekonnt: Ich wär einfach in den Graben gefallen.
So sind wir zusammen schließlich in Klausen angekommen, einer alten Wallfahrtskirche, die ein Taglöhner im 16. Jahrhundert nach Träumen in die Wildnis baute. Heute noch kann man seine Zelle in einer Nische der Kirche sehen. Es gab offenbar viele Wunder, und bis heute pilgern die Leute mit ihren Anliegen hierher.
Im Pfarrhaus hab ich seit langer Zeit wieder einmal einen Stempel von einer kirchlichen Institution in meinen Pilgerpass bekommen, und nach einer kleinen Brotzeit haben wir uns getrennt, um auf unterschiedlichen Wegen nach Klüsserath zu gehen.
Euer erschöpfter
Siegfried
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