Trier (12./13. Juli)
Wie schnell so ein Tag vergeht. Es ist schon wieder Abend, und es ist höchste Zeit, dass ich Euch schreibe.
Gestern bin ich ja von Schweich die Faulenzerstrecke nach Trier gegangen, während Heinz und Brigitta (die Zeitweise-Co-Pilger aus Spay) die vom Führer vorgeschlagene Route über die nördlichen Moselhänge gingen.
Also ich ging die kürzeste Strecke. Sie führt von Schweich aus zunächst direkt an der Autobahn, südlich der Mosel entlang. Es ging überraschenderweise recht gut an. Die Feuerwehr stoppte für mich den Verkehr beim Überqueren der viel befahrenen Bundesstraße, so dass ich ohne anzuhalten die Straße überqueren konnte. Enttäuschenderweise machten sie die Straße aber nicht für mich frei, sondern für einen Pulk von um die 50 sportlich bekleideten, jungen und alten, männlichen und weiblichen mehr oder minder glaubhaften sportlichen Figuren, die mich dann fast überrannt hätten.
Als Entschädigung für die Enttäuschung und den Schock konnte ich dann einige Minuten lang sich langsam entfernende Hinterteile, Beine, Füße, Arme bei Bewegungsabläufen studieren, die alle den gleichen Zweck hatten: Den jeweiligen Körper möglichst kraftschonend vorwärts zu bewegen.
Zunächst fallen die Beine auf, weil diese naturgemäß paarweise auftreten und versuchen in Harmonie miteinander auszukommen. Oftmals sind sie sich auch einig. Doch manchmal hat man den Eindruck, das eine Bein möchte das andere aus der Spur drängen. Es schaut dann fast so aus wie Schattenboxen und ein interessierter Zuschauer ist ganz fixiert auf die Knie und denkt: Einmal muß es doch passieren!
Aber würde er sich nur von diesem Schauspiel gefangen nehmen lassen, würde er manch anderes Sehenswertes versäumen. Die Füße als unterer, nicht unbedeutender Abschluss der Beine, entwickeln ein reges Eigenleben, das so interessant ist, dass man in manchen Fällen darüber die Beine vergessen könnte. Die drehen sich bei jedem Schritt nach innen und nur durch unerklärliche Steuerungsmechanismen des Körpers entwirren sie sich kurz vor Beginn des nächsten Schrittes wieder. Es gibt auch Füße, die partout nichts von einander wissen wollen und da würde es einen nicht wundern, wenn plötzlich der eine rechts der andere links alleine weiterlaufen würde, und das was darüber alles zusammenhält und unter einer sehr engen oder sehr weiten flatternden Hose verhüllt ist, auf dem Boden landen würde.
Die Hinterteile! Da gibt's welche die sind da und die stellen was dar, und dann gibt's welche, da ist man sich nicht sicher ob überhaupt was da ist. Auch hier gibt es viele Nuancen der Darstellung. Wenig aufregend sind flatternde Hosen in denen nichts drin ist. Aber enganliegende Hosen zeigen Bewegungen und Formen, die in Sonderfällen bis zum Grimassenschneiden führen. Stellt Euch 50 Hinterteile vor, die Euch alle Grimassen schneiden! Bloß gut, dass sie schneller sind als ich!
Der Weg führt auch durch Ruwer durch, das seinen Namen von einem kleinen Bach oder Fluss hat, den man von der Weinbezeichnung "Mosel-Saar-Ruwer" her kennt. Ruwer gehört schon zu Trier, und ich vermeinte mich schon am Ziel und hielt Ausschau nach der Porta Nigra. Doch bis dahin waren noch viele Kilometer entlang von Bahngleisen, verlassenen, aber auch hochmodernen Industriebetrieben zu laufen. Schließlich merkt man, dass es städtisch wird: ein sehr elegantes Hotel an einem wunderschönen Park, ein großer, verkehrsreicher Verkehrskreisel, dann die moderne Arena, der Friedhof und plötzlich ist da ein großer schwarzer Riegel im Blickfeld: Das ist sie, die bekannte Porta Nigra, die nun schon bald 2000 Jahre da steht und zu Römerzeiten als Stadttor gegen Norden geplant und gebaut, aber nie vollendet wurde.
Da durch gehen. Dahinter ist eine andere Welt! Plötzlich ein Gedränge von Menschen verschiedenster Sprachen, dazwischen Gaukler, Musikanten, Drahtkünstler und Porträtmaler, und – was mir besonders auffällt – sehr viele Leute sind auf der Strasse am Essen: Pommes, Eis, McDonalds-Snacks... Vielleicht fällt's mir besonders auf, weil ich hungrig und durstig nun plötzlich mein Tempo drosseln muss, meine Stöcke nicht mehr einsetzen kann und Entgegenkommenden ausweichen muss.
Es sind vielleicht fünfhundert Meter bis zum Markt und man geht mittig auf einen eindrucksvollen Turm zu. Aber das ist nicht der Dom. Die dazugehörige Kirche St. Gangolf ist hinter Häusern versteckt, die sich ganz eng an das Kirchenschiff drängen. Der Turm wurde als Wachturm für die Stadt genutzt.
Den Dom sieht man erst, wenn man in eine der Seitenstrassen blickt, die vom Markt wegführen, und man wird von seiner Wucht und Formenvielfalt schon beim Näherkommen gefangen genommen.
Beim ersten Besuch im Dom, noch mit dem Rucksack auf dem Rücken, erstaunt der großartige riesige Raum und die Plastik der figurenreichen Seitenaltäre an den Säulen. Auch die Einheitlichkeit der Farbe, ein gedecktes, also nicht strahlendes Gelb-Rot aller Teile, auch der Altäre. Der ganze riesige Raum in einer Farbe!
Aber auch hier: Es ist ein Museum oder besser: ein Marktplatz. In keinem Museum dürfen sich Leute so aufführen, wie sie es in einer Kirche tun. Leute laufen laut redend, mit Händen in den Taschen herum, ein Mann isst seelenruhig aus einem Becher Eis, Kinder rennen durch die Bänke, es wird fotografiert und geblitzt. Dazwischen ab und zu ein Mensch, der sitzt und den Raum betrachtet.
Ich gehe zur Dominformation um die Ecke, wo ich diesmal meine Unterkunft telefonisch vorbestellt habe. Mein Hut, der mir aus Traben-Trabach, wo ich ihn hängen lassen habe, nachgeschickt wurde, ist gerade angekommen, und nun weiß ich auch wo ich mein Quartier finde.
Gleich bei der Porta Negra. Ideal.
Duschen, Umziehen.
Telefon ansehen. Brigitta hat angerufen. Ich rufe zurück. Sie haben sich verlaufen und kommen zwei Stunden später nach Trier. Ich empfehle ihnen auch zu versuchen, ins Josefsstift zu kommen, es sei noch was frei. Und es klappt. Sie bekommen auch ein Zimmer. Und wir gehen zusammen gemütlich Abendessen und schauen uns das Feuerwerk um elf Uhr an der Mosel an.
Am nächsten Tag, nach dem gemeinsamen Frühstück ziehen sie weiter. Einen Tag noch nach Westen, dann müssen sie wieder heim. Daheim erwartet sie eine tipptopp abgestaubte Wohnung. Einer der beiden Söhne hat seine neue Freundin nach zuhause eingeladen, und der andere Sohn hat seiner Mutter vermeldet, dass der Verliebte das Haus deshalb sorgfältigst entstaubt habe.
Ich besuche noch mal mit Ruhe den Dom und erlebe eine Messe. Ich finde, nur so kann man so einen Raum in seiner Qualität und Würde erleben. Es wird gesungen und die schön anzusehende Schwalbennestorgel wird gespielt.
Kunst- und Baugeschichte braucht man dazu nicht.
Anschließend ein Bummel durch den Kreuzgang, von dem aus die Vielgestaltigkeit der Bauformen des Domes beobachtet werden können. Die Liebfrauenkirche, die direkt an den Dom angebaut ist, ist zur Zeit wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Weiter gehe ich noch zur Römischen Palastaula, einem Ziegelbau aus der Zeit Kaiser Konstantins und auch seinerzeit als Residenz genutzt.
Dazwischen vielfältige Nutzungen, zeitweise sogar als Burg. Heute wird sie als evangelische Kirche genutzt. Ein riesiger säulenloser Raum von fast 70 Metern Länge, fast 30 Metern Breite und über 30 Metern Höhe! Vor 1700 Jahren gebaut. Seinerzeit mit einer hocheffektiven Hypkausten-Fußboden- und Wandheizung mit einem Wirkungsgrad von rund 90! Mit reichem Wandschmuck. Heute ist alles ziegelfarben.
Wie ich wieder weggegangen bin, höre ich näherkommende diskutieren: "wie ein Industriegebäude im Ruhrgebiet"! Gemeint waren die Ziegelbauweise, die klare Strukturierung, die großen Fenster. Das sagt viel aus über das moderne, zeitlose Erscheinungsbild dieses würdevollen Gebäudes.
Eine gemütliche Stunde im Café, Karten schreiben, heimgehen, Füße hochlegen, Tagebuch schreiben bei einer Flasche guten Riesling aus Osann-Monzel wo ich vor ein paar Tagen übernachtete.
Über meinem Bett hier im Stift hängt an der Wand ein Kreuz mit geschnitzter Christusfigur. Und als ich mich gestern ins Bett legte, schaute mir dieser Christus mitten ins Gesicht. Welch schönen Glauben haben wir Christen doch! Gott hat, um sich mit uns zu versöhnen, die Last des Menschseins auf sich genommen und alles Leid das einem Menschen zustoßen kann. Wie tröstlich für uns, dass wir von so einem Gott auch sicher Verständnis für unsere Schwächen und Ängste erwarten können, denn auch die waren ihm sicher als Mensch nicht fremd.
Manchmal bin ich auch nachdenklich
Euer Siegfried
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