Eisenach (7. Juni)
Liebe Leute,
das war heute wieder ein Tag! Aber morgen genehmige ich mir den zweiten Ruhetag, ist ja eigentlich schon überfällig!
Ich sitze hier in Eisenach im Garten des Gasthofes "Am Storchenturm". Habe grade in der Speisekarte gelesen, dass dies eines der ältesten Bauwerke Eisenachs sein soll. Es war eine Kemenate. Weitere historische Ergüsse erlese ich mir aus der Speisekarte bei der nächsten Bestellung.
Also wir – die "ernste Hessin" aus Berlin und ich – waren in Mechtelstädt noch fürstlIch mit einem Frühstück bewirtet worden und genossen das natürlich bei einem aus dem Fundus der Bodelschwingschen Anstalten stammenden, selbst gebrühten Kaffee.
Als wir nach Bezahlung fragten, wurde uns von der netten Sekretäfin gesagt, das koste nichts! Es gibt also wirklich noch PILGERHERBERGEN!
Gut wir schliefen in den eigenen Schlafsäcken – aber auf bequemen Betten, was für einen Senior wie mich schon ein Luxus ist. Das Aufstehen von einer Matratze, die am Boden liegt, ist für mich schon recht umständlich. Wir konnten ausgiebig duschen, und jeder hatte ein riesiges Zimmer für sich: Aufenthaltsräume o.Ä.
Frisch gestärkt und unternehmungslustig machten wir uns wieder auf die Wanderschaft, vor uns die Höselberge, die wir, wie wir aus dem Führer wussten, der Länge nach zu durchwandern hatten.
Bald kreuzte unseren so schön mit der Jakobusmuchel gekennzeichneten Weg eine große Strassenbaustelle. Meine "ernste Hessin", die übrigens auch lächeln konnte, und der der von mir gebrühte Kaffee sehr gut geschmeckt hat (hat sie jedenfalls gesagt – ich erzählte ihr natürlich von den Kaffeeorgien bei Lars und Chantal) war zu der Zeit schon wieder 200 Meter vor mir auf einer Umgehungsstrasse.
Sie kam auf meinen Zuruf zurück, wir einigten uns, die Baustelle zu durchqueren und schafften es. Ist übrigens nicht so leicht, wie Ihr Nichtwanderer, oder Sonntagswanderer annehmt. Aber wir schafften es und fanden wieder unsere Muschelmarkierung.
Und nun gings langsam aber stetig bergauf. Zunächst nach Hastrungsfeld, dort steht das Haus von Frau Holle, und ein nicht zu übersehender Briefkasten davor. Hier hatten wir den zweiten Photoshooting-Termin, der erste war gleich zu Beginn des Weges. Jetzt könnt Ihr meine Begleiterin auch mal bewundern! Sie ist seit über drei Wochen(!) von Görlitz her unterwegs, allein, und schaut trotzdem doch noch recht zivilisiert aus. A Hessin halt!
Morgen trennen sich unsere Wege, sie zieht nach Norden in ihre Geburtsstadt, ich Richtung Marburg, weiter.
Und jetzt grad wie ich das schreibe, mein zweites Weissbier bestellt habe, die "Suppe nach Lust der Köchin" (heute war's eine Zwiebelsuppe) genossen habe, darauf noch eine Kachelwurst auf Eisenacher Art, mit Bratkartoffeln, tritt jemand an meinen Tisch – und: es ist meine "Hessin"!
Aber das ist jetzt das Ende des Tages!
Nach unserem Photoshooting-Termin vor dem Frau-Holle-Haus sind wir erstmal Richtung Großer Hörselberg aufgestiegen. Sie natürlich weit voraus und bald außer Sichtweite. Ich – gedenk meiner bayerischen Abstammung...??! Gemütlich.
Ich erreiche aber auch den großen Hörselberg und die dazugehörige Wirtschaft. Eine wunderschöne Aussicht, aber keine Hessin da. Die hat sicher schon ihren Spezi getrunken und ist weiter, oder hat in ihrem Geschwindigkeitswahn gleich auf den Spezi verzichtet. Ich nippe also an meiner Trinkflaschenration, um gleich weiter zu gehen, da ist sie da, sie hat einen anderen – muschelmarkierten – Weg genommen, und der war halt länger.
Jetzt machen wir doch eine kleine Pause im Gasthof, aber dann geht's weiter: Richtung "Kleiner Höselberg".
Kurze Anmerkung dazwischen: In diesem Höselberg haust VENUS, die Thannhäuser bezirzt hat!
Wir sind wieder auf einer Betonpiste.
Die "Ernste Hessin" eilt wieder vorraus und ist bald aus meinen Augen verschwunden Ein kleiner Pfad biegt links ab, er ist mit der Muschel gekennzeichnet. Ich bin mir nicht sicher, ob das meine "Hessin" bemerkt hat. Ich rufe in den Urwald hinein – keine Reaktion – ich habe keine Chance sie einzuholen.
Da ich auch ein Problem mit dem rechten Bein habe, nehme ich die Stöcke und gehe über einen schmalen, malerischen Pfad mit wunderbarer Aussicht über das Wörseltal weiter und schließlich runter, unter der lauten Bundesstrasse durch und lange eineinhalb Stunden nach Eisenach. Leider nur am Bahndamm entlang und durch wenig attraktive Vorstadtregionen.
Aber schließlich bin ich doch in der Altstadt, gehe durch die Karlstraße zum Markt und telefoniere vor der Informatonstafel die Pensionen und Hotels ab und lande schließlich hier im Puppenstubenhotel.
Nach Duschen und bißchen Ausruhen geht's zum Abendessen hierher, und was sehe ich, wie ich so gemütlich, gesättigt und zufrieden im Biergarten sitze und die Leute betrachte, na? Meine "Hessin"!
Sie war tatsächlich den falschen Weg gelaufen – das erste Mal seit der Wanderung von Görlitz her – hat's im nächsten Ort gemerkt, und ließ sich mit dem Taxi nach Eisenach fahren und ist im gleichen "Puppenstubenhotel" untergekommen wie ich.
Wir feiern Wiedersehen, und haben uns viel zu erzählen, und der Wein schmeckt in der lauen Sommerluft besonders gut.
Und so komme ich auch noch zu meiner Mobilat-Creme für meinen lädierten "Haxen".
Euer Siegfried
PS: Heute hat mir eine junge Radlerin vom Fahrrad aus zugerufen: buon camino! (oder so ähnlich) Schau i denn scho so aus?