08
Juni
2008

Eisenach (2) (8. Juni)

Hallo,

Ich sitze hier in Eisenach vor dem Theater auf einem Bankerl in der Sonne. Habe gerade an der Kasse gefragt, ob sie noch für die Abendvorstelluung eine Karte hätten, und ob ich in meinem Zustand ins Theater rein käme. Schaue ja doch schon ein bisschen anders aus, als ein üblicher Thaterbesucher: Schlappen, leichte, aber dunkle Wanderhose, grünes Trikot, dazu hinkend und steif gehend und unrasiert, wobei dies schon wieder langsam Stil bekommt.

Ich hatte gedacht, es würde heute Abend Margarete gegeben, von Gounot, aber das war gestern, heute gäbs "die Fledermaus" um 15.00h und dazu habe ich keine Lust, also stellt sich die Kleiderfrage nicht!

Anschließend ging ich als guter Christ und – manchmal – frommer Pilgersmann in die Kirche und musste mir zehn Minuten Verkündigungen anhören. Die Predigt handelte vom sozialen Verhalten Andersartigen (Gleichnis vom Zöllner) gegenüber.

Als der Pfarrer nach der Kirche rauskam, bat ich ihn, mir einen Stempel zu geben. Er tat zunächst etwas befremdet wegen des Ansinnens, fragte dann aber, ob Stempel oder Siegel und bemerkte, dafür müsse er ins Pfarrhaus gehen. Dass er Stempel und Stempelkissen in der Hosentasche bei sich hätte, hatte ich auch nicht angenommen.

Dann stellte er sich zu seinen Schäfchen und unterhielt sich.

Ich stand in der Armensünderecke mit meinem Pilgerausweis in der Hand auf meinen schmerzenden Füßen und wartete. Ein Mann machte seine Frau auf mich aufmerksam, weil er den Pilgerausweis bemerkt hatte, und sie schaute mich verschämt an.

So stand ich gute zehn Minuten, dann packte ich meinen Ausweis wieder ein und ging zu einem schattigen Bankerl vor einem kleinen Brunnen auf einem ganz kleinen Platz, und eine große schwarze Katze umschmeichelte mich tröstend, kauerte sich wohlig neben mich auf die Bank und zog dann, nachdem sie sich noch Abschied nehmend kurz an meinen Rücken gedrückt hatte, von dannen.

Meine "ernste Hessin", die in Berlin wohnt, ist den Weg von Görlitz bis hierher gegangen und ist, nach dem gemeinsamen Frühstück schon wieder fort. Sie geht jetzt weiter Richtung Süd-West, in ihren Geburtsort, ich gehe weiter Richtung Marburg.

Nun sitz ich auf einer anderen Bank im alten Friedhof. Irgendein auch lädierter Mensch hat zwei Bänke gegeneinander so aufgestellt, dass die Beine bequem hoch gelegt werden können. Und da sitz ich nun, genieße den Sonntag, die Ruhe, nur ab und zu kommen ein paar Leute vorbei.

Am Marktplatz vor dem Rathaus ist ein Bikertreffen, und vor der Information informierte ein Mann mit rotem Regenschirm seine Gruppe lautstark über den Standort des Örtchens, und dass es auch ein "Pachtklo" gäbe, dort könne man länger.

Ich werde weder Bach-Haus noch Wartburg besichtigen. Meine "Hessin" hatte mir geraten, einen Esel zu nehmen. Das aber soll alles noch warten, ich erlebe sowieso so viel, dass ich jetzt schon nicht mehr weiß was vor drei Tagen war!

Noch was: Meine "Hessin" war beeindruckt von meiner Schilderung des Benehmens der Fliegen in Mechterstädt. Die fühlten sich dort besonders wohl und erinnerten mich an die Fliegen in Winterbach. Sie putzten mit den Vorderbeinen ihre Rüssel, nicht langsam wie die Stadtfliegen, sondern schnell, fast agressiv, dann rannten sie umher, ihre Flügel aufreizend halbhoch stellend, flogen kurz hoch, um gleich wieder zu landen.

So und jetzt gehe ich zum "Schwanenturm" und trink Kaffee und hoffe, ich bekomme einen guten Kuchen dazu. Das Mittagessen habe ich, wie jeden Tag, ausfallen lassen, um nicht aus dem Rhythmus zu kommen.

Euer
Siegfried

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