23
Juni
2008

Marburg / Lollar (22. Juni)

Ihr Lieben,

jetzt, heute am Sonntag, bin ich genau 4 Wochen unterwegs und da ich den Ruhetag gestern am Samstag in Marburg genoss, war ich heute auch wirklich unterwegs.

Aber vorher, da war ich noch im Bett, fiel mir noch was wichtiges ein. Ein "Pilger" braucht einen Stempel! Ich weiß nicht, ist das den Deutschen eingefallen oder den Spaniern? Jedenfalls fällt mir das am Sonntag früh um 6.00h im Bett ein. Hm, wie komme ich zu einem Stempel?

Es ist Sonntag, da könnte man ja in die Kirche gehen, obwohl gefühlsmäßig für mich der gestrige Samstag ein Sonntag war und ich mich auch recht innig mit der hl. Elisabeth und Gott auseinandergesetzt habe.

Aber ein "Pilger" bezieht auch die Vorsehung in sein Denken mit ein und so meine ich, der noch fehlende Stempel könnte vielleicht mit dem Wunsch der hl. Elisabeth zusammenhängen mich nochmals sehen zu wollen. Auf dem Weg zu ihr, käme ich auch in der Nähe der modernen kath. Kirche vorbei. Einen Besuch dort schloß ich aber aus, weil ein Gottesdienst zu dieser Zeit, es war vor 9.00h noch nicht gefeiert würde, und mit Stempeln hatte ich mit kath. Priestern ja schon meine Erfahrungen.

Also machte ich mich reisefertig, lies aber den Rucksack im Zimmer, weil der weitere Weg lahnabwärts ja genau am Haus vorbei ging. Ich raste also los. Da ich den anstrengenden Weg durch die Altstadt – bergauf und bergab – kannte und meine Kräfte lieber für die Wanderung schonen wollte, ging ich die Pilgrimsteinstraße (ist ja vielleicht auch ein alter Pilgerweg – über die Altstadt geht dagegen der Barfüßerweg). Ich versuche mir vorzustellen, mit wieviel Leid und Schmerzen in den vergangenen Zeiten Menschen aller Schichten voll Hoffnung an das Grab der hl. Elisabeth gepilgert sind.

Nun gehe ich also, komme an der Info vorbei, am unteren Teil des Rathauses, vor dem ich ja gestern hoch oben in der Altstadt gemütlich abend gegessen habe. Sehe auch die Talstation des Altstadtaufzuges, man kann also da sein Auto parken und dann landet man oben, ohne Anstrengung und kann sich gleich in ein Cafe setzen. Es gibt auch einen Sexshop und gegenüber eine halbverfallene Fabrikruine. Auch das ist nun ein Weg zur Elisabethkirche.

Welcher Weg ist nun der bessere Pilgerweg, welcher würde dem Geist der hl Elisabeth mehr entsprechen?

Der Weg über die Altstadt, wunderschön, anstrengend, an mondänen Geschäften vorbei, an Cafes, Bistros, Eisdielen, Restaurants, Bierstuben vorbei, alle mit einladenden Tischen unter Sonnenschirmen vor ihren Häusern?

Oder der triste Weg unten, an ungepflegten Häuserfassaden und an einer Ruine vorbei.

Oder der Weg aus der Garage in den Aufzug und von dort nur bergab zur Kirche.

Schließlich, nach zwanzig Minuten erreiche ich die Elisabethkirche, schon ein bisschen angeschwitzt, es ist kurz nach neun Uhr. Ich sehe keine Leute, nur einen "Penner" an der Treppe zum Vorplatz hinunter. Er hat eine Decke auf dem Pflaster ausgebreitet für seinen Hund, den ich dann auch sehe und seine frischen Markierungen an fast jedem Pfeiler der Kirche.

Die Kirche aber ist geschlossen!

Es steht groß da "offene Kirche" und auch auf den Anschlägen hatte ich gelesen, ab neun Uhr offen. Ich sehe einen Mann, der mir nach Auftreten und Kleidung ein Aufsichtsmann zu sein scheint und spreche ihn an. Nein er suche auch einen Eingang. Es sei doch Sonntag und er wolle gerne an einem Gottesdienst teilnehmen. Er ist Ausländer.

Zunächst ging ich nun davon aus, dass der Küster verschlafen habe (es war ja erst 9:15 Uhr), denn die nochmalige Nachsicht am Anschlag bestätigte: offen ab neun Uhr, und ich beschloß zu warten und vertrieb mir die Zeit die diversen Anschläge auf dem Kirchenvorplatz zu studieren.

Liebe Leute, eigentlich brannte mir das Feuer ganz unchristlich unter den Füßen, hatte ich doch noch eine Wanderstrecke von mehr als 20km vor mir, und nun stand ich verschwitzt vor der verschlossenen Kirche.

Ja, und was sehe ich da: Sonntags wird die Elisabethirche erst um 11.15 Uhr geöffnet! Ich informiere meinen Partner auf Zeit, und es bleibt uns nichts anderes übrig als abzuziehen. Ich rate ihm, einen Einheimischen nach einer offenen Kirche zu fragen, ich sei damit überfordert, und so trennen sich unsere Wege wieder.

Ich hab halt keinen Stempel von einem wichtigen Zwischenziel meiner Reise, aber ein Stempel war ja gewiss nicht eigentlich mein Anliegen. Nun eile ich durch die erwachende Altstadt zurück, es wird zusammengekehrt, Stühle und Tische rausgestellt und sonst ist kaum jemand auf der Straße. Vor einer kleinen Broncefigur an einer Strassengabelung sind über Nacht Farben flaggenartig auf die Strasse gesprüht worden. Für mich unerklärlicher Übermut nach einem Fußballspiel.

Ich komme nun wieder an meiner Pension vorbei, es ist fast zehn Uhr, warmgelaufen, eigentlich schon ein wenig verschwitzt, schultere meinen Rucksack, und auf geht's zum Lahnradweg Richtung Wetzlar, heutiges Ziel Lollar, so ca. 24km entfernt.

Die Sonne scheint, es ist ein schönes Wandern auf einem Teerweg und oft im Schatten. Heute bin ich allerdings nicht allein unterwegs, es kommen Radler von vorne und Radler von hinten, ich muß schön rechts gehen, damit ich nicht angefahren werde.

Und ich sehe in viele Gesichter. Vielleicht ist auch das eine Folge des "Pilgerns": Ich bin hellwach! Meine zwei Füße und meine zwei Stöcke finden ihren Weg, weichen Löchern, Schlamm, Käfern, Schnecken und Raupen aus, ohne dass ich mich besonders darauf konzentriere. Und so habe ich eben Muße, den Entgegenkommenden ins Gesicht zu sehen.

Da gibt es fröhliche Gesichter, denen man ansieht, dass es deren Trägern Freude macht, unterwegs zu sein, da gibt es verklärte Gesichter, manchmal in den dazugehörigen Ohren mit Ohrhörern eines "wie sagt man wieder?"

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