29
Juni
2008

Balduinstein (28. Juni)

Hallo liebe Leute,

Heute habe ich ein bisschen einen inneren Kampf ausgefochten: Einerseits will ich natürlich möglichst weit, andererseits sagt die Vernunft: "Schone dich". Und die Bequemlichkeit sagt auch: "Schone dich". Und die Vernunft sagt: "Der Gescheitere gibt nach, es ist ja ohnehin 1:2 gestanden". Und so habe ich mich hier, mitten im engen (hier ist es wirklich ENG!) Lahntal, in Balduinstein, einquartiert im Gasthof "Hergenhahn", zu Bedingungen, die meine Finanzministerin wohl akzeptieren kann.

Weiter wären es noch mindestens eine bis zwei Stunden gewesen und unterkunftsmäßig mit unsicherem Ausgang (heute ist immerhin Samstag).

So saß ich hier erst vor einer halben Weißbier, dann vor einem gedeckelten Apfelkuchen (sehr fein!) und einem Kännchen Kaffee. Und jetzt einem Viertelchen Rotwein.

Hier ist offensichtlich Ausflugsgegend, obwohl man eigentlich nicht sieht, wo die Leute herkommen und wo sie hinfahren. Obwohl's hinter mir und vor mir hoch hinaufgeht, noch dazu bewaldet, fahren ständig Autos vorbei, direkt am Biergarten, der ist nur ca. zehn Meter tief, dann gehen die Felsen hoch. Seitlich vor den Felsen steht der Gasthof, und mein Zimmer hat das Fenster zum Biergarten. Ich hab der Wirtin gesagt, das mache mir nichts aus, hab ja schließlich gestern das Altstadtfest von Limburg auch überlebt.

Gleich hinter der Straße verläuft die zweispurige Bahntrasse und dahinter fließt die Lahn! Drüben geht's nach der Lahn wieder hoch. Bin gespannt, wie ich da morgen wieder rauskomme. Ohne kräftiges Steigen wird's wohl nicht gehen.

Übrigens, auch Züge verkehren hier (optisch so eine Art Regionalexpress) und Schiffe! Von Jachten mit Schönheiten, die sich vor dem Kapitän auf der Motorhaube (?) räkeln, bis zu geschmückten Ausflugsschiffen mit lauter Musik, aber auch Kanus mit tüchtig paddelnden Wasserwanderern kann man sehen.

Jetzt habe ich den Biergarten verlassen, war kurz in der Kirche, hinten offensichtlich die Mesnerin, die für einen Beter oder Interessierten aufgesperrt hatte, vorne der tief in Andacht versunkene. Ich grüßte die Mesnerin beim Eintreten kurz, und sie grüßt zurück, offenbar dankbar, dass sie nicht nur für einen Interessierten aufgesperrt hatte. Nach einer kurzen Besinnungspause in der Kirche ging ich wieder. Die Mesnerin, die sich nun auch in eine Bank gesetzt hatte, mit Zunicken grüßend. Sie grüßte freundlich zurück, mit den Schlüsseln klingelnd, um den andächtigen Beter aus seiner Versenkung zu erwecken. Leider gibt's halt auch sehr rücksichtslose "Andächtige".

Die Ruine Balduinstein sah ich von unten, auch ein Haus, für das für einen Teil seiner Außenwände Natursteinmauern alter, nicht mehr existierender Gebäude unterhalb der Burg genutzt werden.

Weit oben steht Schloss Schaumburg, auch weitgehend verfallen. Da, ca. 200 Meter hoch, will mich mein geliebter Jakobswegführer morgen hinaufhetzen. Lass ich mich aber nicht! Die echten Jakobspilger der alten Zeit wären früher auch nur dann auf so einen Berg gestiegen, wenn's partout keinen anderen Weg gegeben hätte, oder oben ein gutes Essen gelockt hätte, oder eine sichere Unterkunft, vielleicht aber auch, wenn oben eine Hilfe versprechende Wallfahrtskirche gestanden hätte.

Aber heute finde ich solche völlig unbegründbaren, das eigentliche Ziel eher abwertenden "Höhepunkte" völlig sinnlos, selbst wenn hie und da Spuren des alten Pilgerweges dort zu finden wären. Da halte ich es lieber mit Jean-Philipp! Der Weg führt für den Pilger nach Santiago de Compostella – und heute wie früher auf den zur Zeit besten Pfaden. Man braucht Essen, erschwingliche Übernachtungsmöglichkeiten, einigermaßen begehbare Wege und Zwischenziele, die zum Thema Pilgern passen: Bei Jean-Philipp primär die Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts – Auschwitz, Sedan usw. oder auch moderne Wallfahrts- oder Gedächtnisorte – zum Beispiel die Geburtsstadt von Johannes-Paul VI.

Bei mir sind diese Zwischenziele Kirchen und Orte an denen große Persönlichkeiten gewirkt haben, oder an denen Persönlichkeiten gedacht wird, die mich in meinem Leben beeindruckt haben: Ute, Elisabeth, Jeanne-d'Arc (das sind jetzt zufällig lauter Frauen...). Oder auch Bauwerke, die für ihre Zeit prägend waren: zum Beispiel Limburg, Wetzlar.

Heute habe ich so schön Zeit und anders als in einer Stadt, Muße zum Schreiben, aber ich hör gleich auf.

Zunächst noch was zum Ort "Runkel", in dem ich vor zwei Tagen übernachtet habe. Dessen Name erinnert an Runkelrübe. Aber hat damit nichts zu tun, es sei denn die Runkelrübe kommt von da und dem Autor meines Führers ist was entgangen.

Mein Jakobswegführer weiß zu berichten, dass vor langer Zeit ein "von Soundso" in Santiago war und nach dem Zurückkommen in Erinnerung an den Ort in Frankreich, den man am Fuße der Pyrenäen passiert (und den auch ich, so ich es so weit schaffe, Anfang Oktober durchwandern werde): "Roncevalles", diesen Ort an der Lahn gründete und ihn Roncevalles benannte. (Vielleicht hatte er ja dort jemand netten kennen gelernt.) Im Lauf der Jahrhunderte sei dann der Name "Runkel" daraus geworden.

In Dietz, ca. fünf Kilometer lahnabwärts von Limburg, wurde ich heute von einem ganzen Bataillon historischer Soldaten mit Tommelwirbel empfangen!

Und habt Ihr das mitgekriegt! Zwischen Limburg und Dietz verläuft die Landesgrenze zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz. Nach Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Hessen bin ich nun im fünften Bundesland!

Kurz zur Lahn. In der Gegend von Marburg bis Wetzlar gab es praktisch kein Lahntal, so breit war das. Viele Getreidefelder, Wälder nur in der Ferne. Ab Limburg wurde das Lahntal immer schmaler und jetzt führt nur noch die Bahn durch und ein Fahrrad- und Fußweg, sehr schön!

Vom besinnlichen Ufer der Lahn Euch Allen ein "zum Wohle!" (aber Lahn-Wein gibt's hier noch nicht!)
Siegfried

PS: Bin heute auch an Fachingen vorbeigegangen, und geglaubt hab ich's erst, dass dieser kleine unbedeutende Ort das bekannte Mineralwasser fördert, als ich die Traglstapel gesehen habe. Habe mir zum Abendessen auch gleich einen halben Liter zum Wein genehmigt, da dieses Wasser laut Goethe "zur Befreiung des Geistes" (Goethe, 1817) diene.

Mir hat es in akustischer Weise demonstriert, wo mein Darm verläuft. Mal hat es links oben leise gesäuselt, mal rechts unten gegurgelt, dann in der Mitte gegrummelt. Genauer will ich Euch das jetzt nicht schildern, kann ja jeder selbst ausprobieren. Fazit: Es befreit nicht nur den Geist... Aber Goethe wollte das vielleicht nicht so direkt sagen.

Kommentare

1. Die Müllers
Lieber Siegfried, wir bewundern Dein Talent, Dir Dinge über den ganzen Tag zu merken und abends aufzuschreiben. Oder schreibst Du Dir etwa Spickzettel? In der Hektik weiß ich nicht mehr, was vor einer Stunde war. Das ist jetzt aber ganz anders, denn ich bin zur Ruhe gezwungen und habe viel Zeit. Auf einer Fahrradtour durch die sächsische Schweiz (24.6) bin ich schwer gestürzt und habe mir den Hintern und Oberschenkel geprellt. Nach einem Besuch im Krankenhaus, soll nichts gebrochen sein. Nun sitze ich zu Hause und "lecke meine Wunden". Ich lese erst mal alle möglichen Bergzeitungen, die ich noch aus "Alpenvereinszeiten" habe. Da findet man immer mal wieder einfach formulierte Lebensweisheiten, wie: "Man drängt nach vorn, man lebt vorwärts. Aber das Leben verstehen, das kann man nur rückwärts!" Soweit ein kurzer Bericht von mir. Also lieber Siegfried, lebe vorwärts, dränge Deinen Dir selbst gestellten Zielen nach, sei aber vorsichtig und bleib gesund. In großer Hochachtung Klaus

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