Bad Ems (30. Juni)
Heute ein Tag wo wieder viel los war, vormittags besinnlich, nachmittags anstrengend mit Überraschung.
Nachdem im Jakobswegführer die Besichtigung der Klosterkirche von Arnstein dringend empfohlen wird, aber auch alle Wege: Jakobsweg, Lahnweg, Europäischer Fernwanderweg daran vorbeführen, ich also gar keine andere Wahl habe, und außerdem Alfons – mein Cousin, den ich ja in ein paar Tagen in Koblenz besuchen werde und der sicher danach fragen wird – davon geschwärmt hat, habe ich mich in aller Früh, so gegen 9.30h, aufgemacht, den ersten Berg zu erklimmen. Kirche und Kloster stehen hoch über dem Lahntal und die Kirche im romanischen Stil, erinnernd an Limburg, ist weithin sichtbar.
Gefühlsmäßig sind sicher mehr als 100 Höhenmeter zu erklimmen! Dann kommt man an einer gewaltigen und hohen Mauer vorbei. Bruder Stephan hat mir erzählt, dass das ja hier einst eine Burg war, aber vor sehr langer Zeit seien vom Burgherrn Graf ... (das steht alles auch im Führer oder Internet!) die Mönche hergerufen worden. So existiert dieses Prämostratenser-Kloster seitdem durchgängig. In einigen Kilometern Entfernung gab es seinerzeit auch ein Nonnenkloster, an dessen Ruine bin ich gestern vorbei gegangen. Über das Zusammenwirken beider Klöster gibt's natürlich auch Schauergeschichten. Wer's genauer wissen will, sollte mich demnächst mal bei einem Bier danach fragen.
Ich komme also an den großen Parkplatz vor Kloster und Kirche und lese "zur Klosterpforte". Gleich denk ich an meinen Pilgerpass und an einen wirkungsvollen Stempel.
Es öffnet Bruder Pförtner, wie sich später herausstellt Bruder Stephan, der mich gleich in sein Büro bittet.
Vorbei geht's durch einen langen Flur an Möbeln, Stühlen und sonstigen Sachen, auch Bruder Stephans Zimmer ist voll davon. Ja, er entschuldigt! Es wird umgebaut. Ich hab's schon gesehen beim herkommen. Ich bekomme ein schön kühles Glas Wasser und einen mit Liebe in meinen Pass gedrückten Stempel. Wir unterhalten uns gut, dann begleitet ich Bruder Stephan zur Kirche. Ein hochromanischer Bau mit einem barocken Altar. Vorne am Altar brennt eine große Anzahl von Kerzen. Bruder Stephan sagt, die zünde der Sakristan jeden Tag an. Es sind alles Kerzen, die von Leuten in einem besonderen Anliegen gestiftet werden. Er geht vor und legt eine Kerze in die Schale. Er sagt, die wird für Sie, Siegfried, morgen brennen.
Dann führt er mich noch auf den Mönchsfriedhof an der Südseite der Kirche. Hier hat man den schönsten Ausblick auf Obernhof! Er macht ein Foto von mir, ich eins von ihm. Beim Zurückgehen durch die Kirche lege auch ich eine Kerze in die Schale, für Euch, auch sie wird morgen angezündet werden.
Beim Rausgehen treffe ich noch zwei Leute aus der Pension, der Mann sitzt im Elektro-Rollstuhl. Thema das Fußballspiel und mein heutiges Ziel.
Aber nun geht's los. Ein geteerter Rad-/Wanderweg führt immer in Sichtabstand zur Lahn und zur Bahntrasse lahnabwärts. Wie die Lahn schlängelt sich auch der Weg durch das jetzt schon wieder breiter werdende, bewaldete Tal. Hie und da ist es schon so breit, dass wieder ein Getreidefeld Platz hat. Dann kommt eine große moderne Mühle, die auch wirklich in Betrieb ist, und aus einem Kanal unter der Mühle strömt Wasser in hoher Geschwindigkeit.
Dann sehe ich ein Schleusenbauwerk, hier führt auch eine Fußgängerbrücke über die Lahn. Dann auf der anderen Seite ein malerischer Ort, er scheint teilweise von alten Mauern und Türmen umgeben: Dausenau, der Führer sagt "reingehen", ich fotografiere nur. Weiter geht's und bald sieht man Nassau und hoch im Berg einen markanten Turm: Die Stammburg der Nassauer, einem Stammgeschlecht des niederländischen Königshauses. Daher gibt's hier auch die "Oranierroute", die ich an einigen Stellen, vor allem auch im Bereich Dietz, wo die ...Burg steht, gekreuzt habe.
Bald kommt nun Bad Ems in Sicht und sehr angenehm für einen Fußgänger, der so um 15.00h in eine fremde Stadt kommt, ist, dass er gleich an der Information vorbei kommt (Hauptbahnhof). Es gibt Quartiere ab ca. 25EUR mit Frühstück. Aber heute will ich's wissen! Auf dem großen Stadtplan kann ich die Jugendherberge lokalisieren. Sie scheint schon ein bisschen am Stadtrand, aber in akzeptabler Nähe und außerdem ein wenig oben = schöne Aussicht! Ich rufe an, für einen alten Wanderer ist ein Zimmer frei, sagt die nette Dame am Telefon. Nun wandere ich los, schon bei der ersten Straße frage ich, ich möchte ja so schnell wie möglich oben sein. Ein netter Mann klärt mich auf. Da müssen Sie noch mindesrtens einen Kilometer laufen und dann erst geht's hinauf! Er schaut mich von oben bis unten an und sagt aufmunternd: Das schaffen sie schon! Also vorbei am Kurhaus, wo Kaffeehausmusik spielt, ich sehe mich da schon sitzen, durch Strassencafes, wo Leute feine Kuchen genießen und auf Tafeln Apfelstrudel mit Vanilleeis angeboten wird, vorbei an schattigen Biergärten, wo von der Kühle des Bieres angeschlagene Weißbiergläser verlockend grüßen. Ich, verschwitzt, hechelnd, eile wie in einem Gemälde von van Breughel durch alle diese Verlockungen. Ich habe ein Ziel: Die Jugendherberge! Nun geht's den bekannten Berg hoch. An einer Kreuzung bin ich nicht ganz sicher. Ein Auto hält, ein Ruf: Hallo, wie gings gestern nach Obernhof? Es ist das Ehepaar, das mir gestern gesagt hatte, dass ich noch 2 1/2 Stunden zu gehen habe. Wir unterhalten uns lautstark über die Straße. Dahinter stauen sich Autos, aber keiner hupt, ich glaube die Leute amüsiert unser Gespräch.
Endlich stehe ich vor der Empfangsdame der Jugendherberge. "Bitte Ihren Herbergsausweis!" Ja, so was habe ich natürlich nicht. Mich trifft Gott sei Dank nicht der Schlag, aber ich schwitze so, dass sie ein Erbarmen hat. Ein Ausweis würde 21EUR kosten! Gut, dann sagen wir, Sie sind auf Probe da, und ich darf einchecken. Die Übernachtung incl. Frühstück im Einzelzimmer, allerdings mit 2 Doppelstockbetten und Dusche kostet 22.90EUR. Jetzt kann ich mich ausgiebig duschen und meinen Feierabendanzug anziehen. Dann breche ich wieder nach der Innenstadt, bzw. dem ersehnten Apfelstrudel und der Kaffeehausmusik auf, es ist kurz nach sechs, als ich nach 20 Minuten wieder im Ort bin - ja, es gibt auch den alten Ort Bad Ems, wo's Rathaus ist und die normalen Geschäfte!
Aber da sind bereits alle Stühle vor den Cafes verschwunden und es ist nicht mehr mehr los wie in den kleinen Örtchen in denen ich schon war. Also gar nichts.
Es bleibt mir nichts anderes übrig als Richtung Kurhaus zu gehen. Ich bin also noch gut 20 Minuten durch den Ort, den Kurpark und an der Spielbank vorbei unterwegs. Die Spielbank ist ein großes weißes Gebäude in so einem Stil, dass man sofort weiß, aha, das ist eine Spielbank, außerdem steht's auch noch drauf.
Mitten in der hier breiten Lahn eine Fontaine. Im Park eine Büste von Zar Alexander II., der hier öfters zur Kur war, gegenüber, vom anderen Ufer der Lahn leuchtet die kleine goldene Kuppel der Orthodoxen Kirche herüber.
Auch eine Gedenktal ist da, auf der auf die Minute genau draufsteht, wann hier Kaiser Wilhelm I. Graf Bernadotte 1870 empfangen hatte und dabei die Forderungen der Franzosen in Bezug auf die spanische Thronfolge abgelehnt hatte. Dies war der Anlaß für den deutsch-französischen Krieg 1870/71 (eigentlich die Depeche – heute wärs eine Email – Bismarks darüber, die "Emser Depesche", die der entsprechend, weil er den Krieg ja gewollt hatte, formuliert hatte).
Auf dem Platz hinter der Spielbank mehrere "Strassenschilder" an einer Säule, sind es aber nicht. Es sind Schilder der Partnergemeinden in England, Frankreich usw... Was ich aber besonders nett finde, dahinter steht ein rotes Londoner Telefonhäuschen, leider sind ein Teil der Glasscheiben eingeschlagen. An einer Säule dahinter sind ein original englischer und ein französischer Briefkasten montiert.
Endlich finde ich auch ein Restaurant, vor dem noch ein paar Leute sitzen. Ich esse, trinke Weißbier und schreibe bis 10.15 an Euch. Dann geht's Richtung Jugendherberge. Um 11.00h hab ich sie erreicht, so verschwitzt, dass ich nochmal dusche. Jetzt noch jugendherbergsmäßig das Bett überziehen, dabei den Kopf einziehen, damit er sich am oberen Bett keinen blauen Fleck holt.
Ein Blick aus dem Fenster über das nächtliche Bad Ems. Aber ich seh nur auf ein Bitumen-gedecktes Flachdach. Ist das die Strafe für begangene Architektensünden?
Euer totmüder Siegfried