Niederlahnstein (1. Juli), Koblenz (2. Juli)
Hallo Ihr Lieben,
heute ist eigentlich schon der nächste Tag, der 2. Juli, aber gestern war ich bis abends mit dem Beschreiben des Vortages – Ihr könnt Euch erinnern, Bad Ems – Jugendherberge! beschäftigt.
Also so hab ich mir das vorgestellt, ich sitz um 10.00h morgens auf einem Bankerl, vor mir fließt der Rhein, gegenüber werden die weiter rheinaufwärts noch recht hohen Hänge des Hunsrück (Hunsrück ist südlich der Mosel, Taunus ist südlich der Lahn, Eifel ist nördlich der Mosel, Westerwald ist nördlich der Lahn! habe mich durch Alfons aufklären lassen) niedriger und vor der nächsten Brücke rechts hören sie ganz auf. Über der Brücke spitzt die Spitze einer Kirchturmspitze hervor, ganz weit hinten sieht man unter der Brücke durch noch unklar im Morgendunst eine weitere Brücke und Häuserfassaden schimmern. Da ist Koblenz, die Stadt in der mein Vater geboren worden ist.
Gegenüber von mir die große Kilometermarkierung für die Schiffer: "588". Seit der Lahn weiß ich, dass die Kilometer vom Ursprung des Flusses her gemessen werden, wobei ich noch nicht herausbekommen habe, wie dieser Ursprung definiert ist. Ist es die Stelle, ab der der Fluß schiffbar ist mit Modellbooten, mit Ruderbooten, mit Jachten, mit Lastkänen, oder beginnt das Zählen schon bei der Quelle? Ich finde das Ende eines Flusses ist viel leichter festzulegen.
Grade kommt wieder ein Lastkahn rheinabwärts, dieser hat hinten eine deutsche Flagge. Die meisten sind Holländer, ein paar Schweizer Kähne kamen gestern auch vorbei, auch ein Belgier. Eines dieser langen Schiffe ist gestern rheinabwärts gekommen, hat vor mir gedreht und ist dann die schmale Lahn aufwärts gefahren. Alle Achtung! Es war ein Holländer, vor dem Ruderhaus (da wo der Steuermann drin ist) ein eingegrenzter Kinderspielplatz mit allem drum und dran, hinter dem Ruderhaus, das ja immer fast am hintersten Ende der Lastkähne ist, gibt's noch einen kleinen Parkplatz, auf dem zwei Autos stehen. Ich hab noch nicht heraus bekommen, wie die die runter bringen.
Bei der Aktion mit dem Wenden und Einfahren in die Lahnmündung war offensichtlich die ganze Familie im Ruderhaus beim Papa, ich sah die Frau und zwei größere Kinder. Es war offensichtlich vielleicht doch keine alltägliche Aktion.
Gerade ist wieder ein doppelt langer Kahn vorbei gekommen. Da ist vor dem Kahn mit dem Motor und dem Ruderhaus noch ein weiterer, gleich langer, aber eben ohne Antrieb, vorgekoppelt, der wird also geschoben. An der Koppelstelle sind die Schiffe mit Seilen zusammengebunden, hier stehen und werken auch zwei kräftige, braungebrannte Männer, die immer wieder zum Ruderhaus sehen. Ich könnte mir vorstellen, dass der Verbund der beiden Schiffe nicht steif ist, sondern dass in Flußbiegungen die Seile so gelockert werden, dass sich die Schiffe zu einander verdrehen können. Ich hatte schon gestern so einen Verbund gesehen, und da sah es so aus als wenn dies hydraulisch bewegt worden wäre.
Meine Lieben, Ihr seht, ich komme immer vom gestrigen ins heutige, aber das kommt eben daher, dass ich jetzt nicht vor einem Glaserl Wein, blickeinwärts, sitze, sondern auf einem Bankerl am Rhein, worauf ich mich schon so lange gefreut habe.
Wenn ich nach links sehe, sehe ich auf der anderen Seite das Brauhaus der Königsbacher Brauerei und drüber auf dem noch höheren Hang einen Fernsehturm. Von ganz links höre ich Geräusche eines Krans, der gerade einen Lastkahn entlädt, ich bin vorhin dran vorbei gekommen.
Gestern war ja auch nicht gerade ein besonders anstrengender Tag, obwohl der Führer eine mittelschwere Tour mit 18km von Bad Ems nach Lahnstein vorschlägt. Ich habe mir die Rundgänge durch die Berge gespart und bin mitten durchs auch da schöne Lahntal auf dem Fahrradweg gegangen. Und so war ich schon um 14.00h in Lahnstein.
Es zieht sich ja endlos hin, bis endlich die Mündung erreicht ist. Erst kündigen Hochhäuser auf Berggipfeln an, dass da was kommt, das ist offenbar Lahnstein i.d.H. (in der Höhe), dann sieht man eine malerische Burg, Burg Lahnstein, dann kommt man an einem Wegweiser vorbei: Oberlahnstein 5km; dann geht's endlos an einem Campingplatz vorbei mit Dauercampern und Jachten vor den "Hütten". Dann marschiert man durch Kleingartenanlagen und immer denkt man sich, es kann doch nicht mehr so weit sein! Die Berge werden niedriger, die bewaldeten Hänge machen das Tal aber immer noch schmal.
Dann, es kreuzen auch immer mehr Strassen- und Eisenbahnbrücken das Tal, sehe ich rechts oben Häuser und einen kleinen Weg vom Fahrradweg weg in den Ort. Ich gehe die paar Schritte hoch, in der Erwartung, Leben, Schönheit, Cafes, ein einladendes Gasthaus zum Übernachten zu entdecken. Nichts von dem, es scheint eine ausgestorbene Stadt, auch nicht schön wie die Lahnstädtchen weiter oben. Ein Gasthof, der zu ist, ab und zu ein Auto. Ich gehe ein Stück weiter und bei nächster Gelegenheit wieder runter auf den Fahrradweg an die Lahn.
Es geht noch ein gutes Stück, dann erscheint, kurz vor einer Brücke, das herausgeputzte "Wirtshaus an der Lahn", hier war Goethe mal abgestiegen, als er mit dem Schiff vobei gekommen ist. Für mein Budget ist das nicht geeignet, also wende ich meinen Blick und gehe weiter. Nicht weit hinter der Brücke kommt Hotel "Poseidon", ein Grieche und er hat eine Tafel heraußen "Zimmer frei". Nach dem was ich bei dem Abstecher in den Ort vorhin gesehen habe, habe ich nicht viel Hoffnung, ohne großes Rumsuchen noch was besseres zu finden – was sich später auch rausstellt!
Nun habe ich ein Zimmer und einen freien Nachmittag! Duschen und Kuchen essen!
Im Poseidon gibt's keinen Kuchen, also trinke ich ein Weißbier zwecks der Vitamine. Leicht angesäuselt wandle ich den Rad-, Fußweg weiter lahnabwärts und tatsächlich, da kommt der Rhein. Am Hang gegenüber leuchtet ockerfarben die Burg Stolzenfels herüber, der Rhein fließt sehr schnell und ist sicher so an die hundert Meter breit. Die Lahn ist so langsam, dass deren Wasser an der Stelle, an der sich die beiden Flüsse treffen, wie vom Rhein abgeschnitten scheint.
Ich stehe, schaue und genieße! Wieder ein Teilziel erreicht, diesmal kein geistliches Ziel, diesmal "Vater Rhein"!
Ich gehe weiter und sehe nun gleich rechts hinter Bäumen die Johanniskirche, eine Kirche die zur gleichen Zeit wie Kloster Arnstein gebaut worden ist und auch zur gleichen Klostergemeinschaft gehörte und heute noch gehört. Außen werden gerade Arbeiten im Sockelbereich durchgeführt, wobei auffallend ist, dass ein mehr als 50cm tiefer offener, entwässerter Graben um das Gebäude angelegt ist. Am Haus gibt es Angaben über Höchsthochwasserstände, die innerhalb der letzten 15 Jahre bei um die 3m über dem Boden liegen, auf dem ich stehe. Ähnliches hab ich auch am "Wirtshaus an der Lahn" gesehen. Unvorstellbar! Und dass die Leute seit Hunderten von Jahren immer wieder bereit sind alles wieder herzurichten.
Vor der Kirche ein großer Stein mit einer goldenen Jakobsmuschel drauf:
SANTIAGO 2560 km!
Wenn ich mich nicht irre, waren's in Dagobertshausen bloss noch etwa 2300 km und seitdem bin ich sicher schon einige hundert gelaufen. Also mit den Entfernungen nehmens die Jakobsjünger nicht so genau. Es gibt ja auch viele Möglichkeiten. Ich brauch mir bloss meinen Führer ansehen: Da wo der Radweg mit 10km auf bequemer, – laut Bibel der bequeme Weg des Lasters (oder so...?) – ebener, geteerter Strecke hinführt, hetzt mich der Jakobswegführer über Schotterwege, durch Brennesseln, über ungesicherte Steige nicht nur bergauf, sondern dazwischen wieder runter, weil das für die Fußspitzen so besonders angenehm ist und dann wieder bergauf um die Fußspitzen zu entlasten. Damit man möglichst viel davon hat, ist das aber nicht ein kürzerer Weg, wie Fußgängerlaien so annehmen – hat mir erst kürzlich einer gesagt "ihr könnt ja immer Abkürzungen gehen" – NEIN! Wir gehen extra Zickzack um ja keine Sehenswürdigkeit oder markanten Punkt auszulassen. Und so kommt erfahrungsgemäß leicht bis die doppelte Entfernung unter erschwerten Bedingungen zusammen. Was allerdings bei dieser Streckenplanung strickt vermieden wird, ist das Anlaufen von Wasserstellen – ausser zweimal – und das Vorbeikommen an einladenden Gasthöfen.
In der Johanniskirche war ich natürlich auch, sie ist kleiner als Arnstein und modern gestaltet. Kein Wunder, wenn man an die häufigen Hochwässer denkt! Hinter dem Altar ist eine ansteigende Stufenreihe zu einem vielleicht 3-4m erhöhten Podest, Empore, ganz flüchtig habe ich gelesen, dass dies eine der ersten Emporenkirchen in Deutschland gewesen sei.
Ein Cafe hab ich natürlich immer noch nicht, auch einen Pförtner wie den Bruder Stephan gibt's hier anscheinend nicht. (Später in Koblenz hat mir Alfons erzählt, dass es keine Mönche mehr gebe in Niederlahnstein weil sie keinen Nachwuchs mehr haben. Traurig.) Also auch keinen Stempel, obwohl Niederlahnstein in alter Zeit ein Sammelpunkt der vom Osten kommenden Pilger war.
Von hier gingen die einen Richtung Süden weiter, die anderen Richtung Norden, über Köln. Die ganz gscheiten oder gehfaulen haben sich hier über den Rhein gemacht und sind, wie ich das auch vorhabe, moselaufwärts nach Trier gewandert (wegen der verschiedenen Wege gibt's natürlich auch die so unterschiedlichen Entfernungsangaben).
Ziemlich trostlos an Stahlzäunen vorbei, die das Areal des von den Patres geführten Gymnasiums einhausen, gehe ich wieder Richtung Innenstadt, zunächst wieder an wie tot dastehenden Häusern vorbei. Auf einem kleinen, etwas erhöhten Platz endlich: ein paar Sonnenschirme, ein paar Tische und ein paar Leute und ein bisschen Leben, ab und zu umrundet ein Auto den Platz! &ndash Ich bekomme einen Eiskaffee, einen guten Apfelkuchen und trinke schließlich noch einen Schoppen Frankfurter Apfelwein.
Jetzt wohlgestärkt genieße ich am Rhein auf der Wiese liegend alles was um mich geschieht: Die Eisenbahn, die über die Brücke hinter mir fährt und mir fällt auf wie schnell das Fahrgeräusch verebbt sobald die Bahn die Brücke verlassen hat. Es überträgt sich praktisch kein Geräusch über die Schienen.
Die langen Eisenbahnzüge mit den großen Containern auf der anderen Seite des Rheins, die Lastkäne lang und bedächtig nach oben fahrend.
Einen weißen großen Schaufelraddampfer – natürlich kein "Dampfer" – mit Ausflüglern an Bord. Einen Vierer mit vier Ruderinnen besetzt und einer Steuerfrau, mit kräftigen Schlägen biegen sie rheinabwärts kommend in die Lahnmündung ein. Und auf ein Kommando rufen sie, ihre Ruderschläge zählend: acht – sieben – sechs – ... Sie sind am Ziel.
Zwischen meinen aufgestellten Knieen leuchtet Schloß Stolzenfels in der Abendsonne. Ich bin wieder, wie schon so oft, glücklich!
Aber jetzt, da ich dies geschrieben habe und mein MDA meldet: "Akku leer", muß ich noch nach Koblenz.
Ich bin bei Alfons! Gestärkt!
Natürlich, als ich wieder einmal GPS verwenden wollte, um die Strasse zu finden, zeigte mir mein Gerät kurz Plan und Strassenliste an, dann wars dunkel. Strom finito. So machte ich doch auch noch eine kleine Ehrenrunde und lernte ein schönes neues Wort kennen: "Fädchen" für einen schmalen Weg. Ja, auch das ist Koblenz!
Siegfried
Kommentare