Zell an der Mosel (7. Juli)
HALLO,
jetzt muss ich wieder versuchen, jeden Tag zu schreiben, sonst komme ich ganz durcheinander und am Schluss schreibe ich dann noch wie Ingeborg Bachmann.
Gerade komme ich vom Abendessen und ich habe einen gewaltigen Fehltritt getan. Nachdem ich mich alle Tage, seitdem ich an der Mosel bin, nur von Moselwein und Wasser – dies nicht von der Mosel – ernährt habe (vom festen Essen abgesehen – aber auch da habe ich versucht ortsübliches Essen zu konsumieren), bin ich heute beim Italiener fremd gegangen und hab Pizza gegessen und Valpolicella getrunken.
Die Pizza war schon richtig, beim Wein aber hat er statt "Moselwein halbtrocken" "Valpolicella" verstanden. Ich denke jetzt noch über meine perfekte italienische Prononziation (heißt doch so ähnlich, oder?) nach, und wie das in den Ohren eines Italieners geklungen haben mag. Er hat übrigens schon bei der Bestellung "Valpolicella" wiederholt und ich war darüber so erstaunt, dass ich das als Fügung Gottes hinnahm. War ja auch keine schlechte Wahl.
Heute hatte ich mir von Beilstein bis hierher eine leichtere Tour vorgenommen, es ist etwa die Hälfte der Strecke, die der Führer für den Tag vorgegeben hat. Es war auch wirklich heute nicht anstrengend. Von Beilstein aus gings erst mal eine gute Stunde aufwärts, bis ich auf den Höhen des Hunsrücks war. Und da ist man erst mal überrascht. Eine weite, nur leicht hügelige Fläche, in der Ferne von Waldgruppen unterbrochen. Ganz weit hinten im Norden, wo meinem aktuellen Wissensstand nach die Eifel liegt, leuchten ebenfalls Getreidefelder, dazwischen sind Täler mit dunklen Waldbändern. Ich deute diese als die Ränder des Moseltales.
Bei einer kleinen Kapelle, mitten zwischen den Feldern, mache ich auf einem Bankerl unter einer Linde die erste Rast und zücke auch mein MDA um ein paar E-Mails abzuschicken. Derweilen bricht, ohne dass ich es merkte, ein Wolkenbruch herein, und ich komme gerade noch einigermaßen in die Kapelle, um Rucksack und mich mit dem vorgesehenen Regenschutz zu versehen.
Das ist natürlich auch wieder so eine Situation gewesen wo man sagen kann "Zufall". Hätte ich nicht bei der Kapelle Rast gemacht, hätte mich der Platzregen auf freiem Feld überrascht...
Beim Weitergehen im Wald komme ich an einer Lichtung vorbei, die voll von Königsfarnen steht, die alle mehr als mannshoch sind. Dass es Königsfarne sind, weiß ich noch aus der Schulzeit. Da sollten wir Farne aus dem Wald zur Unterrichtsstunde mitbringen. Auch ich brachte mit und präsentierte sie unserem Lehrer, es war der "Fuhrmann". Einige nahm er mir gleich weg und sagte in seiner unnachahmbaren Art, die seien zu schade für mich, weil sie nämlich vom Königsfarn stammten, ob ich das denn wisse! Ich wusste es natürlich nicht, aber seitdem weiß ichs.
Der Jakobsweg war in großen Teilen im Wald völlig umgeackert, auch im Bereich der an die Königsfarne angrenzte. Zunächst glaubte ich, der Förster wolle vielleicht den Weg neu gestalten. Aber immer sicherer wurde ich mir beim Weitergehen, dass das die Wildschweine gemacht haben. Sicherer wurde ich mir auch als ich wieder neben einem Weizenfeld lief, das von einem ganz niedrig verlegten Elektrozaun eingezäunt war. Erst dachte ich, das sei ein Schutz gegen Hasen. Aber auf dem Weg sah ich viele Büschel weiß, braun bis schwarz vom Kittel der Schwarzröcke. (Und da ist mir auch eingefallen, dass die Tante Lina die Schweine unter anderem auch mit Getreide gefüttert hat.)
Im Wald war's nun natürlich besonders spannend. Denn die Burschen müssen ja irgendwo sein. Aber außer ein bisschen Rascheln manchmal, das aber sicher nicht von denen kam, konnte ich nichts Verdächtiges feststellen. Ich stellte mir einfach vor, wenn die mich mit dem gewaltigen Rucksack sähen, würden sie wegen des muskelbepackten Giganten (ich – sie würden den Rucksack sicher als einen Teil von mir sehen) sofort die Flucht ergreifen. Und das half mir.
Schon gegen vier Uhr traf ich über die Weinberge runterkommend in Merl ein, von wo ich an der Mosel entlang nach Zell wanderte. Ich fragte in mehreren Pensionen nach. Die eine hatte nur Doppelzimmer und gefiel mir auch nicht, die andere hatte die Heizung nicht an, so dass die Dusche ohne warmes Wasser war. Alle hätten so um die 25 € gekostet. Bei einer Weinschenke hätte die Nacht 45 € gekostet. Schließlich aber fand ich mit Hilfe einer netten Pensionswirtin (die auch nichts mehr Passendes hatte, aber eine Freundin anrief) ein sehr schönes Zimmer für 30 €, nur 5 Min vom Zentrum, und da sitz ich nun und schreibe.
Euer Siegfried