20
Juli
2008

Metz (18. und 19. Juli)

Bon soir, guten Abend,

Es ist jetzt schon wieder halb Acht abends, mein Ruhetag geht zu Ende.

Obwohl ich gestern, es war eine lange Strecke von Kédange hierher, nichts Besonderes erlebt habe, es ging wieder entlang der Mosel, aber so ca. 10km entfernt von ihr auf den Anhöhen. Die Landschaft ist leicht hügelig und kleine Wälder wechseln sich mit Feldern ab. Ein Teil des Getreides ist abgeerntet und die Äcker sind schon teilweise umgepflügt und gedüngt.

Kühe auf Weiden gibt's auch. Sie sind hellbraun bis ganz hell einfarbig, etwas seltener gibt es schwarzweiß gefleckte Kühe. Einmal hat sich ein Bauer besonders um die Bequemlichkeit seiner Tiere gesorgt und Autoreifen auf ein Eck der Weide deponiert, die Kühe nutzten das Angebot und fühlten sich sichtlich wohl auf der ungewohnten Bettstatt. Ich nehme an, dass in diesem Bereich der Boden feucht war.

Das Problem für mich ist im Moment die Herbergssuche. Da hier kein ausgewiesener Jakobsweg ist, ich auch keinen Führer habe in den einer eingetragen wäre, laufe ich auf allerlei Wegen und Strassen in die Richtung, in die es mich treibt. Ich habe natürlich zuhause die Strecke schon anhand einer Route im Internet geplant, der entsprechende Führer, auch mit Unterkunftsnachweisen, ist aber vergriffen und kommt erst wieder im Januar heraus, bis dahin werde ich schon wieder zu Hause sein.

Auf der Strecke waren einmal in St. Hubert Chambres d'Hôtes, Gästezimmer, angeboten worden, aber das war für mich in zu kurzem Abstand zum Ausgangspunkt, dazwischen gab's nichts mehr bis Metz. Und ich war lange schon in Metz und ich schaute und schaute und sah nichts was nach Auberge, Hotel oder sonstwie nach Essen und Schlafen aussah. Es ging erst durch alte Vororte mit zweistöckigen hübschen Häusern, neben einander gebaut, dann kamen höhere Häuser, dann Wohnblocks.

Dann ein Wegweiser links: Centre Ville, rechts: Bellecroix, Info.

Ich schwankte und entschied mich für die "Info", und lag natürlich wieder total daneben. Es war die Info für die Siedlung Bellecroix. Und ich hatte gedacht es wäre die Stadtinfo bei der Burgruine Bellecroix!

Dafür war ich jetzt mitten in einer echt französischen Trabantenstadt mit viel Araberanteil. Vor den Balkonen eines Wohnblocks waren ein paar Lieferwägen geparkt, die Leute kampierten offenbar hier und waren gerade damit beschäftigt ein offenes Feuer zum Grillen in Schwung zu bringen. Ich zog vorüber, auch an den Düften, wirklich Düfte, die mir um die Nase wehten und die mir das Wasser im Munde zusammen laufen ließen. Ich hatte seit dem Frühstück nur einen Pfirsich und einen Apfel gegessen und der dreiviertel Liter Wasser war auch schon aufgebraucht.

Im Kopf hatte ich ungefähr die Richtung in die ich gehen sollte, ich hatte vorher einen ausgehängten Stadtplan studiert. Aber zwischen den Wohnblocks hatte ich bald die Orientierung wieder verloren und ich wurde auch langsam nervös, es war ja schon fast sechs Uhr und ich hatte noch keine Ahnung wo ich schlafen würde!

Ich fragte ein paar Mal. Ein Araber begleitete mich sogar ein Stück, bis er sich sicher war, dass ich den richtigen Weg erkenne. Dann über eine Brücke, dann durch eine Unterführung, eine Strasse überqueren und schon ist man in der Innenstadt!

Von der Kathedrale, an der man sich orientieren könnte, natürlich keine Spur. Viele Leute, viele geschäftig hetzend, viele gemütlich bummelnd. Ich muß meine Stöcke unter den Arm nehmen um nicht mit fremden Füßen zu kollidieren.

Und ich schaue alle Häuser und Reklamen an auf der Suche nach "Hotel", "Auberge" oder "Chambres d'Hôtes". Und ich schau möglichst nicht hin, wenn meistens Männer vorbeikommen mit 5-6 Stangen knusprigen Baguettes unter dem Arm, oder wenn Leute fröhlich sich unterhaltend an den Tischen im Freien sich den Freuden des Essens und Trinkens hingeben. Meine Zeit wird sicher auch kommen.

Ich sehe bei meiner Wanderung Kreuz und Quer durch die Innenstadt nur zwei Hotels, das "Novotel" und das "Grand Hotel Metz". Die Info beim Rathaus hatte schon zu, das sah ich von weitem, drum ging ich nicht hin. Am nächsten Tag sah ich dass im Fenster ein Plan hing mit Hotelnachweis.

Aber ich lebte im Heute und hatte Hunger, war müde, das Verschwitzte war schon wieder trocken, die Füße schmerzten nicht, aber ich brachte die Beine kaum mehr auseinander und so entschied ich mich für das "Grand Hotel Metz", ein paar Minuten von der Kathedrale. 61€! Ohne Frühstück, da wird meine Finanzministerin schlucken. Aber ich habe keine andere Wahl, das ist er Nachteil beim Zufußgehen.

Es ist ein Haus mit echt französischem Charme. Warme rötliche Töne an der Wand, quietschende, mit Teppich belegte Böden, die schiefer sind als unsere Böden in Wiederau, eben auch ein altes Haus. Aber diesmal keine Dusche sondern eine Badewanne und ich lege mich hinein, für die Hotelmehrkosten muß das drin sein und meine Beine zappeln vor Vergnügen und im Bauch rumort es so laut, dass ich erst meine es sei ein Geräusch vor der Tür. Er freut sich auf ein lothringisches Abendessen, z.B. Quiche lorraine, die ich hier noch nicht gegessen habe.
Anziehen. Raus.

Der Mann an der Rezeption, wie ich beschwingt von der Erwartung auf das Kommende, vorbeigehe: Mister Ackermann! – er sprach mit mir lieber Englisch als Französisch, in Englisch war unser Kenntnisstand etwa gleich! – Sie haben keinen Kredit auf Ihrer Karte!

Das war ein Schock. Sollte ich mein Konto schon abgeräumt haben. Gut, in letzter Zeit und vor allem in Frankreich war es teuer gewesen, und ich kontrolliere meine Finanzen nur sporadisch. Das ist halt auch so eine Entscheidung beim "Pilgern", Finanzen kontrollieren oder in einer Kathedrale eine Stunde lang ruhig sitzen, eine Viertelstunde den Schwänen auf der Mosel zusehen, auf einer Bank der Esplanade sitzen und Tagebuch schreiben, dabei den Springbrunnen im Wind betrachten und immer wieder was Neues an den schönen Blumenrabatten, vor denen ich sitze finden. Und die Leute, junge, ältere, laute, stille, beobachten wie sie vor mir vorbei flanieren.

Ich mußte meine Übernachtung im Voraus bezahlen. Soviel Geld hatte ich grade noch. Aber mit dem Abendessen war's nun nichts. Ich beschloß, bzw. wurde beschlossen einen Fasttag einzulegen, es war ja schon Abend und das war zu überleben. Dann setzte ich mich in den Park und grübelte.

Ist das Geld wirklich zu Ende dann gibt's ein Problem. Ein zwei Monate schaffe ich dann noch mit meinem Ersparten, dann müßte ich die Pilgerei wegen Geldmangels aufgeben, wenn ich so weiterlebe wie jetzt, also so wie "Gott in Frankreich".

Aber hier in dieser Gegend sehe ich für mich keine große Chance anders zu leben als bis jetzt. Übernachten im Freien: Dazu hatte ich noch nicht den Mut und auch das Wetter ist nicht danach, hab ja kein Zelt.

Man könnte versuchen am Essen zu sparen, aber nicht immer ist in den Orten Gelegenheit einzukaufen und in den Hotels erwarten sie, dass man speist – und das Speisen macht dann auch Spaß.

Ich rechne nun aber fest damit, dass es ab Vezelay wieder günstiger wird, weil von da der große Jakobsweg Richtung Spanien weiter führt und deshalb, so vermute ich, die Herbergen wieder organisiert sind.

Dann kann ich sicher wieder weniger aufwendig übernachten und das einsparen was ich jetzt zu viel ausgebe.

Übrigens in Aboncourt habe ich eine Wegmarkierung mit Jakobsmuschel zu dem Weg gesehen, den ich gegangen bin, aber dann nicht mehr. Ohne entsprechende Karte tut man sich da schwer. Und ich möchte auch nicht immer die Umwege gehen, sondern auch in absehbarer Zeit ans Ziel kommen. Es sind noch drei Wochen bis Vezelay, dann bin ich wirklich auf dem Jakobsweg.

In der Früh bin ich heute heißhungrig ans Büfett und es tat gut, vor allem als Nachspeise das Croissant mit Marmelade gegessen und dann noch das Pain au Chocolat.

Dann war ich lange in der Kathedrale, ein überhohes, schlankes Mittelschiff und überall farbige Fenster zwischen schlanken Säulen. Je nachdem wo man steht, scheinen die Wände, z.B. die Stirnwände in der Vierung, nur aus Glas zu bestehen. Und überall werden Geschichten erzählt. Nur leider, auch ich habe nicht die Augen um alles erkennen zu können, nicht das Kreuz, das klaglos das ständige nach oben sehen hinnimmt. Ich setze mich hin und schaue einfach nur.

Es gibt auch zwei neue Fenster von Marc Chagall vorne links im Chorraum sowie von Villers in der Sakramentskapelle. Es gibt eine kleine Schwalbennestorgel, viel kleiner als die in Trier, und auch die soll zu den Gottesdiensten noch gespielt werden.

Es gibt eine Mariahilf-Figur, eine schwarze Madonna mit Kind, mit weißem Umhang bekleidet, vor der hab auch ich für uns alle eine Kerze angezündet. Hier setzen sich immer wieder Leute andächtig davor, nachdem sie ein Lichtlein angesteckt haben. Auffallend viele jüngere Frauen.

Außen ist die Kathedrale wie aus Gold. Wie auch die Gebäude in der Umgebung. Es ist gelber Sandstein. Schlank, reich und fein gegliedert steht sie zwischen den Häusern, die auf der Nordseite ganz an sie herangewagt sind.

Das weiß ich noch aus der Baugeschichte: In der Gotik stellte man die Kirchen nicht auf einen Platz, sondern umbaute sie so eng, dass die Menschen gezwungen waren, nach oben zu sehen, wenn sie näher kamen.

Ein Detail am Haupteingang habe ich mir näher angesehen und das will ich Euch doch schildern. Es ist die Geschichte vom Letzten Tag.
Christus steht in der Mitte, links und rechts von ihm ein Engel mit Posaune. Links gehen schlanke, in lange Gewänder gekleidete Gestalten durch eine Pforte – ins Himmelreich. Rechts gehen unbekleidete, und nicht so ansehnliche (ich hab das jetzt bewußt so geschrieben) Leute zu einem weit aufgerissenem Maul und ein Teufel steckt sie in dieses hinein.

Also Leute, so deutlich wurde zu der Zeit damals die Bibel ausgelegt.
Heute schauen die Leute das als Kuriosität an, aber wenn ein Fünkchen davon Wahrheit ist?
Jahrhunderte haben die Leute danach ihr Leben gerichtet und haben solche Kunstwerke geschaffen, haben auch die entsprechende Musik geschaffen. Mit welcher Anmaßung stehen wir heute mit den Händen in den Taschen davor, wo doch alles was wir heute haben, auf der Arbeit und dem Glauben dieser Leute der Vergangenheit aufbaut.

Was haben wir heute vergleichbares?
Coca-Cola, Pommes, Döner, Autos, die wir nach 10 Jahren zum Schrott werfen, Fertighäuser von der Stange, Essen aus der Tiefkühltruhe, nicht einmal mehr unterhalten können wir uns selbst, da brauchen wir einen Stöpsel im Ohr, der uns mit "Musik" volldröhnt, Fernsehen, das uns eine Traumwelt vorgaukelt oder schlimmer in eine Horrorwelt versetzt.

Und da sitzt ein kleiner Junge in dieser Kathedrale und spielt ein Computerspiel.
Und da laufen Leute mit erhobener Kamera durch die Kathedrale und knipsen und drehen sich um und gehen zur nächsten Stelle und knipsen und gehen zur ...
Sie können das Original schon nicht mehr wahrnehmen und empfinden, sie wollen nur noch die Kopie haben, wobei ich bezweifle, dass sie die Kopie je ansehen werden.

Ich hab mir ein opulentes Mittag- und Abendessen in den Markthallen, die praktischerweise gleich neben der Kathedrale sind, zusammengestellt, Pâte campagnard, reifen Ziegenkäse, Baguette, Orangensaft und Rotwein.

Danach hab ich mich ein wenig hingelegt und hab so tief geschlafen, dass ich dachte es wäre Morgen und ich müßte loswandern. Und wie ich so am darüber denken bin, geht die Türe auf und ein junger Mann stürmt herein und sagt – natürlich auf französisch – sie seien der Service und sie würden jetzt das Zimmer machen. Es war 4.00h nachmittags. Ich war im Schlafanzug! Er sagte, sie hätten noch im Nebenzimmer zu tun. So verstand ich es jedenfalls. Er machte sich im Bad zu schaffen, ich versuchte meine Unterhose hoch zu kriegen, erinnerte mich alles ein bisschen ans Militär. Kaum hatte ich auch die lange Hose an, kam eine schwarze Madame um das Bett zu machen. Ihr hätte ich auch zugetraut das Bett zu machen auch wenn ich noch drin gelegen wäre!

Ich kam mir vor wie im Film! Und erst wie sie wieder draußen waren kam ich wieder zu mir und mußte laut lachen.

Ich besuchte nochmals die Kathedrale, schaute mir das Opergebäude an, von ungefähr 1750 und wird noch auf der Originalbühne bespielt, ging über ein paar Moselbrücken und setzte mich schließlich an die Esplanade um diesen Bericht zu beginnen, den ich jetzt um elf mit dem Rest meines Rotweines beende.

Gute Nacht

Siegfried

Kommentare

1. Heike Wetzel
Hallo Siegfried, ich habe viel Freude an Deinen Berichten und finde es voll Klasse, wie Du das so alles machst. Ich habe mich letzte Woche in Tirol auf einer einsamen Wanderung ganz schrecklich im Wald verlaufen - es war ähnlich, wie bei Hänsel und Gretel - habe aber, Gott sei Dank, wieder den Weg gefunden. Ich denke, Dir wird es manchmal ähnlich gehen. Ich wünsche Dir viel Kraft, viel Freude und immer den richtigen Blick auf die Karte. Liebe Grüße von den Musikanten des Blasorchester Wiederau - auch sie sind begeistert von Deinen Aktivitäten! Wir hatten gestern ein schönes Konzert in Frankenau - auch eine Art, Kraft zu tanken! Liebe Grüße und alles Gute! Heike

2. Ursula und Wolfgang
Lieber Siegfried, wir möchten doch einmal herzlich Danke sagen dafür, daß wir Dich - wenigstens in Gedanken - auf Deiner Reise begleiten dürfen. Auch für uns ist es ein tiefes Erleben, Deine Gedanken und Gefühle kennen zu dürfen. Bleib weiterhin gesund! Es grüßen und umarmen Dich Ursula und Wolfgang

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