Domremy la Pucelle (24. Juli)
Ich sitz gerade vor der Bar "Table de Jehanne" in Domremy bei einem Glas Weißwein.
Gerade haben mich Anke und Andrea verlassen, die ich gestern in Vaucouleurs kennen gelernt habe. Sie gehen morgen nach Süden weiter Richtung Le Puy über Dijon, während ich ab morgen oder übermorgen nur noch nach Westen gehen werde.
Wie Ihr sicher festgestellt habt, sind meine Briefe die letzten Tage ausgeblieben. Es war zu viel los und ich glaube, ich bin doch manchmal in Streßsituationen gekommen, die mich so beschäftigten, dass ich keine Ruhe zum Schreiben gefunden habe.
Es scheint mir, jetzt geht das fröhliche Wandern zu Ende und der Ernst des Pilgerns beginnt.
Anke und Andrea erschienen gestern gegen Abend an der Türe des "Frühstücksraumes" des Hotels, das jetzt nur noch Chambres d'hôtes anbietet und wir sprachen kurz perfekt französisch miteinander, bis eine der Beiden fragte, welche Nationalität ich denn hätte.
Die beiden sind Lehrerinnen aus Bochum und machen jedes Jahr eine Fernwanderung. Sie sind auch schon vor einigen Jahren den Weg gegangen, den ich jetzt gehen will. Die Strecke bis Vezelay wird ihren Erfahrungen nach noch recht entbehrungsreich sein und in der Zwischenzeit glaube ich ihnen das auch! Also liebe Leute, denen ich vom guten Essen in Frankreich vorgeschwärmt habe, daraus wird nichts! Das französische Land ist genauso ausgestorben wie das deutsche. Wenn Ihr Pech habt, und das hab "ich" oft, bekommt Ihr nicht mal ein Baguette in einem Ort.
Heute sind die beiden schon vor mir aus dem Chambre d'hôtes aufgebrochen, aber weil sie etliche Pausen eingelegt haben und am Schluß auch den Waldweg gegangen sind und nicht wie ich die Landstraße, sind sie 100m nach mir in Domremy eingetroffen, sie haben mich gesehen, aber ich sie natürlich nicht.
Domremy la Pucelle, der Ort, an dem die dritte Frau geboren ist, die ich auf meiner Wanderung heimsuchen will. Johanna von Orléans, Jeanne d'Arc, oder wie sie hier sagen "Jehanne".
Der Ort hat nur 200 Einwohner, er macht nichts, gar nichts aus seiner Johanna.
Ich bin durchgewandert der Straße nach, die Mairie (Rathaus) mit den obligatorischen Fahnen, dann ein kleiner Wegweiser "Geburtshaus der Jeanne d'Arc" natürlich auf französisch. Ich bin müde, bin verschwitzt, es ist um 1/2 4 Uhr rum und ich möchte ein Quartier. Wenn jemand was weiß, dann die im Informationsbüro. Ich bringe meinen Spruch vor von wegen Herberge und Pilger, natürlich in französisch, aber schon etwas mehr verwirrt als normal. Ich hatte seit dem kärglichen Frühstück mit zwei Marmeladenbroten und dem Rest meiner Creme fraiche von gestern und dem Rest des Müslis nur noch 3/4 Liter Wasser getrunken und zwei Nektarinen gegessen!
Ihrer Meinung nach gibt es nichts im Ort, aber eine der beiden netten Mädchen telefoniert mit jemand der Chambres d'hôtes anbietet. 40€ die Nacht. Alles belegt. Ansonsten haben sie nur noch Prospekte über Unterkünfte in der Umgebung, d.h. im Umkreis von 20km. Für einen Fußgänger sehr verlockend.
Ich denk mir, überall haben sie gesagt, in Domremy sei's kein Problem, da sind zwei Klöster, die nehmen Pilger auf! Nur wo sind die zwei Klöster.
In der Info wissen sie offensichtlich nichts davon, sonst hätten sie mich, so nehme ich doch an, darauf hingewiesen. Ich dreh noch eine Ehrenrunde durch den kleinen Ort, das einzige noch größere Gebäude, das ich mir als Kloster hätte vorstellen können ist die Schule "Jehanne d'Arc". Jetzt bleibt nur noch der Weg zur Basilika, die ist aber 2km entfernt im Wald, heißt ja auch "Basilique du bois chenu" (vom Wald umschlossen) nochmal eine echte Herausforderung nach über 20km mit nur einem spärlichen Frühstück im Bauch und zwei Nektarinen und 3/4 Liter Wasser unterwegs.
Was sehe ich oben am Berg, gleich neben der Basilika! "Access de Pelegrins" – also da ist sie, die Pilgerunterkunft und Erholungsstelle. Aber bloss bis ich drinnen bin. Es ist bloss ein Restaurant, das sich mit dem schönen Namen schmückt! Man sagt mir, in Domremy, wo ich gerade herkomme, gäbe es Unterkünfte. Ich frage nach dem Kloster: Hinter der Kirche, wird mir gesagt.
Vorsichtshalber gehe ich jetzt erst in die Basilika. Unten eine kleine Kapelle mit einer schönen lächelnden Muttergottes mit Kind. Ich stecke eine Kerze an für Euch und ein bisschen auch für mich.
(Am Vormittag hab ich schon eine Kerze für Euch alle in einer Kapelle unterwegs angezündet.)
Dann schaue ich mir noch die Basilique an, zu der man über gewendelte Treppen hochkommt. Es ist ein neugothischer Bau mit großen Gemälden über das Leben Jeanne d'Arcs an den Seitenwänden.
Geistig gestärkt kann nichts mehr passieren. Gegenüber vom Kircheneingang ist eine Klingel, aber die schaut nicht nach Kloster aus; aber schräg unten sehe ich etwas, das ganz nach Kloster aussieht und schöne Gesänge von sphärischen Frauenstimmen höre ich auch. Ich läute und habe wenig Hoffnung, dass jemand aufmacht, wenn alle am Singen sind.
Eine farbige Schwesternhelferin macht auf. Ich tu mir nach den Anstrengungen des Tages, dem Hunger und dem Durst mit Französisch schon ein bisschen schwer und schau auch vielleicht nicht mehr so attraktiv aus wie ich's gern möchte. Sie geht nachfragen und kommt zurück. "Unterkünfte gibt es in Domremy!".
Ich gebs auf, entschließe mich, nach kurzer Anwandlung mein Bett vor der Basilika aufzuschlagen, auf den Campingplatz zu gehen. Der ist nicht weit, fast in der Ortsmitte. Die Campingmutter sagt "Ah, ein Pilger, kostet nichts" und ich suche mir einen Platz neben einem holländischen Vater mit Sohn, Fahrrädern und Zelt, dusche, gehe nochmal in den Ort und treffe im einzigen Bistro: Anke und Andrea!
Und so hatten wir uns doch nochmal getroffen. Sie werden unsere Seite ansehen und mal was schreiben, und dann wisst Ihr, wer das ist.
Jetzt ist's stockdunkel und bevor der Strom aus ist, schicke ich das los und dann verbringe ich meine erste Nacht im Freien.
Euer Siegfried