Liverdun (21. Juli), Toul (22. Juli), Vaucouleurs (23. Juli)
Meine Lieben,
Ihr seht, ich habe schon wieder Schwierigkeiten mit dem Schreiben nachzukommen.
Manche denken vielleicht, jetzt hat er's aufgegeben und sitzt vielleicht schon schon still und vergnügt daheim in Wiederau und läßt sichs gut gehen. Andere denken vielleicht, ich hätte dem Wein zu viel zugesagt und dabei Euch vergessen. Wieder andere sehen mich verirrt im Wald, nach Wasser lechzend am letzten Krümel Baguette nagend, dieweil schon die Wildschweine schmatzend mich umkreisen.
Nichts von alledem ist eingetreten!
Ich bin nur einfach nicht zum Schreiben gekommen, entweder weil ich keine Zeit dazu hatte, d.h. mit lauter Essen und savoir vivre zu beschäftigt war, oder nach einem Tag Laufen beim Schreiben einfach eingeschlafen bin.
Aber jetzt geht's los:
Liverdun.
Der Weg von Vandières nach Liverdun geht, wie immer wenn die Mosel wieder eine besondere Schleife macht, über die Berge. Ich hätte auch nach Nancy gehen können, eine schöne Stadt mit einer gewaltigen Kathedrale, aber das wollte ich mir aus finanziellen und zeitlichen Gründen sparen. Liverdun ist der Beschreibung nach ein mittelalterliches Städtchen mit einer Burg und einem Informationsbüro, so war ich sicher, dass übernachtungsmäßig keine Probleme zu erwarten seien.
Es ging von Vandières aus erst mal lange hoch, es ging durch Wälder niedriges Gehölz und zwischen Feldern durch. Schließlich war ich nur noch eine gute Stunde davon entfernt, bald bin ich da. Die Dusche wartet, ein gutes Abendessen und ein Glas Wein.
Ein Mann wünscht mir beim Vorübergehen "bon courage".
Ich überlege mir was ich Euch schreiben kann. Es war heute ja nichts besonderes los. Landschaftbilder, das Verhalten von Fluginsekten beim Auftauchen einer hochgerichteten, nassen, zappelnden und schnaubenden Gestalt: Manche umrunden mich wie Düsenjäger minutenlang, finden aber keinen Landeplatz, manche, die ganz kleinen, fliegen ständig vor den Augen umher, sie sind offenbar von den dunklen Pupillen fasziniert, oder wenn der Mund auf ist, schaun sie auch da mal kurz rein, da heißt's dann spucken oder blasen. Die vor den Augen verschwinden, wenn man die Augen schließt, aber dabei wäre ich einmal fast in einen Graben gefallen. Seitdem klappe ich die Augendeckel nur so weit zu, dass ich unten noch ein bisschen rausschauen kann.
Bei diesen Gedanken bin ich im Wald an einen Punkt gekommen bei dem ich glaubte abbiegen zu müssen, um dahin zu kommen wo ich hinwollte. Irritierender Weise war da nicht die gewohnte rote Markierung "GR5" sondern ein roter Punkt an einem Baum. Nach einer Viertelstunde sollte eine Ferme (Bauernhof) kommen und eine Kurve. Weder das eine noch das andere kam so wie es sollte. Ich dachte mir, da stimmt wieder gar nichts im Plan und lief weiter. Der Weg wurde immer schmaler und nun war ich doch schon ein bißchen im Zweifel. Laut Plan sollte er breiter werden. Aber zum Zurückgehen schiens mir schon zu weit. Da plötzlich höre ich hinter mir "attention!", ein Radfahrer! Mitten im Wald, wenn den nicht wieder St. Jakobus geschickt hat. Ich rufe ihm, während er sich an mir vorbei schlängelt zu, ob das der Weg nach Liverdun sei. "Oui!", Ja! Und weg ist er. Kurz darauf eine Abzweigung, ja wohin jetzt. Radlspuren kann ich weder auf dem einen noch auf dem anderen Weg finden. Ich entscheide mich für den linken. Nach einiger Zeit merke ich, dass ich am Waldrand, aber im Wald laufe. Durch Gebüsch schlupfe ich aufs freie Feld, ein abgeerntetes Getreidefeld, von weitem sehe ich wieder einen Radlfahrer, aber zu weit weg um Kontakt aufzunehmen. Ich vergleiche Landschaft, Waldgrenzen, erkennbare Wege mit der Karte und nichts stimmt überein, in der Zwischenzeit ists 1/2 6 Uhr! Jetzt werd ich doch langsam nervös, allerdings hat der Tag seinen Höhepunkt, die Tagessensation ist da!
Ich frage mein GPS! Eigentlich Ehrensache unter Pilgern und Fernwanderern, dass man das nicht tut, aber es sieht ja keiner.
Nach langem Überlegen sagt GPS, 150m in eine Richtung, die ich nicht gewählt hätte. Dann ruf ich die Karte ab, GPS sagt, das wird aber evt. teuer, du bist nämlich im Ausland! Aber allein auf einem abgeernteten Getreidefeld, um 6 Uhr abends, von französischen Wildschweinen umgeben, dreht man den Pfennig nicht mehr um.
Die Karte des GPS zeigt mir, wo Liverdun liegt, es liegt in bißchen woanders als ich geglaubt habe, aber GPS wird's schon wissen. Ich laufe, in der Zwischenzeit bin ich schon so ein routinierter Geher, dass die Füße bloss den Befehl kriegen müssen, dann rennen sie los, hilfreich ist es dabei, den Chef des ganzen Unternehmens, den Kopf, der ja alles steuert, und den dazugehörigen Oberkörper etwas vorzubeugen, dann haben die Füße zu tun dass sie nachkommen.
Nach 20 Minuten eine große Wanderwegkreuzung, DIE KREUZUNG an der ich hätte abbiegen müssen, wenn ich richtig gegangen wäre! Aber jetzt bin ich zu der Kreuzung tatsächlich zurückgelaufen gewesen.
GPS hat mir was Falsches gesagt oder ich habs nicht richtig verstanden. Aber immerhin, jetzt hab ich den richtigen Weg, die "ferme" ist auch da, die Kurve kommt, wie im Plan und der Weg wird breiter und schließlich bin ich in Liverdun.
Das erste Pärchen frag ich gleich nach einem Hotel, denn die Info hat sicher schon zu, es schaut auch schon dämmerig aus.
Hier gibt's kein Hotel und auch sonst nichts zum Übernachten! Diese Auskunft um 7h abends! Höchstens vielleicht am Bahnhof.
Durch die schöne mittelalterliche Stadt hoch oben über der Mosel komme ich zur Info und auf dem ausgehängten Plan sehe ich, dass das nächste Hotel 6km weit weg ist und zwar in der entgegen gesetzten Richtung meiner Wanderung. Kommt nicht in Frage! Aber ich sehe auch, dass es einen Campingplatz gibt. Also auf zum Campingplatz. Steil runter zur Mosel, an schönen alten Häusern vorbei, durch enge Gassen, denen ich aber völlig humorlos nur grimmige Blicke gönne.
Auf dem Weg zum Campingplatz komme ich unter der Moselbrücke durch, zwischen Brückenpfeiler und Mosel wäre ein romantisches Plätzchen frei, ich ziehe es kurz in Erwägung, entscheide mich dann doch für den Capingplatz.
Eine kleine Frau, etwa so breit wie hoch, nimmt mich auf und gestattet auch freundlich, dass ich unter dem Vordach der Garage mein Lager aufschlage, aber das will ich erst wenns richtig dunkel wird. Ich bewege mich beim Gang ins Bett dann ja schließlich auf dem Tablett.
Ich speise noch auf der Terrasse: Tomaten mit Anchovis, Andouillette mit Pommes frittes, Wein, Kaffee.
Jetzt wird's ernst, Rucksack genommen, auf unters Vordach! Grade frag ich mich, ob ich vornehm und wie den Schlafanzug anziehen soll, da kommt der Wirt, figurmäßig seiner Frau angeglichen, und bietet mir, nach der Frage wann ich aufstehen wolle, das Behinderten-WC als Nachtlager an, ich könne es auch versperren. Nun konnte ich mich, wenn auch ein wenig beengt, doch im intimer Umgebung umziehen. Und einen Vorteil hatte das, das WC war im Raum!
Es ist schon wieder spät, das andere morgen, versprochen!
Siegfried