02
Aug.
2008

Colombey les Deux Eglises (29. Juli)

Liebe Leute,

nach dieser Nacht und diesem Vormittag bin ich geschafft! Langsam hoffe und glaube ich, kommen die Lebensgeister wieder zurück.

Ich sitze hier vor der Bar/Restaurant in Colombey les Deux Eglises vor einem Glas Pernot mit Eis und Wasser, nachdem ich gerade einen Café au lait (Milchkaffee) und eine große Waffel mit Schokolade gegessen habe, eine in große, tiefe Quadrate aufgeteilte Waffel, in der flüssige Schokolade eingefüllt ist. Etwas schwierig zu essen. Aber das ist die erste feste Nahrung seit vorgestern Abend bei dem Italiener in Joinville. Was anderes gibt's im Augenblick nicht. Aber so versuche ich, meinen Körper wieder ans Essen zu gewöhnen und gleichzeitig auf die nächsten Hungertage vorzubereiten.

Die gestrige Nacht war...!

Ich hatte mich – nachdem ich die E-Mail an Euch auf einem nicht zu großen, schrägen Stein geschrieben hatte – in Gottes freier Natur, neben einem plätschernden Bach (in der Zwischenzeit weiß ich, dass er "Blaise" heißt, ich bin nämlich heute durch sein Tal gewandert) zur Ruhe auf der Isomatte in den Schlafsack begeben. Auf das Waschen hatte ich verzichtet. Der Zugang zum Wasser erschien mir zu erlebnisreich, und das war mir etwas zuviel. Statt Schlafanzug schlupfte ich in die Feierabenddhose und hoffte, es würde nicht regnen. Wolken waren da, aber irgendwie unbedrohlich, und so schlief ich auch zeitweise sehr tief. Um ungefähr zwei Uhr nachts hörte ich in der Ferne Donner. Ich dachte mir: "Das macht mir nichts aus, da wird schon nichts kommen." Aber plötzlich war der Donner über mir, und es tröpfelte.

Raus aus dem Schlafsack, Stirnlampe gesucht, Schlafsack zusammengerollt und eingepackt, Regenhülle für den Rucksack, durchschwitzte Wanderhose an, widerspenstige Isomatte zusammenrollen und verstauen, Regenjacke anziehen und von drei bis halbsechs Uhr zusammengekauert wie der "Denker" von Auguste Rodin einsam unter einem Baum neben einem plätscherndem Bach im Regen sitzend über das eigene Schicksal nachdenken. Das ist eine sehr lange Zeit!

Zweimal ist mir am nackten Bein etwas hochgekrochen. Erst meinte ich, es wäre eine Riesenheuschrecke gewesen, später stellte ich mir eine Eidechse vor, war mir lieber. Im Licht der zeitweise zum Uhrenablesen angeknipsten Stirnlampe sah ich auch eine stattliche Weinbergschnecke den Stein zu meiner Sitzfläche erklimmen, durch einfaches Anstoßen ließ sie sich davon nicht abhalten, zu mehr war ich nicht fähig. Und so schlossen wir einen Kontrakt. Die Sitzfläche belegte sie erst als ich wieder reisefertig war. Sie war nach meiner dreistündigen Sitzung sicher angenehm warm.

So gegen halbsechs hörte es zu regnen auf, und es begann zu dämmern. Ich rubbelte mir den feuchten Oberkörper ab, was angenehm warm machte, zog mir ein trockenes Unterhemd und mein nasses Trikot an und war um sechs Uhr, ohne etwas getrunken und gegessen zu haben, wieder auf Tour.

Der Himmel war wolkenverhangen. Ein bißchen tröpfelte es auch, und Nebelschwaden zogen tief vor den Hügeln vorbei.

Der nächste Ort schlief noch, Wasserstellen gab's auch nicht, ich hatte Durst. Langsam ging's weiter, die kurzen Stehpausen (zwei bis drei Minuten) wurden immer häufiger. Ich nahm mir dann immer in der Ferne ein Pausenziel vor, um mich noch ein bisschen unter Kontrolle zu haben.

Schließlich, gegen elf Uhr, hatte ich Colombey les Deux Eglises erreicht, an der Kreuzung eine Bäckerei und etwas entfernt links das einzige Hotel, zu dem ich gleich eilte und ein Zimmer bezog. Nach zwei Chocolat war ich fähig erstmal zu duschen. Dann breitete ich meine ganzen feuchten Sachen zum Trocknen aus, wusch, was zu waschen war und legte mich ins Bett um mich aufzuwärmen und auch ein wenig zu schlafen.

Nachmittags war ich im Dorf, wo ich in der Bar diese E-Mail begonnen habe.

Nach der Bar war ich in der Kirche, wo auch ein Gnadenbild ist, vor dem ich eine Kerze anzündete. Im ausliegendem Buch hat ein Jakobspilger, der zwei Tage vor mir da war, reingeschrieben: "... und hilf mir, dass ich den Weg nach Vezelay gut überstehe..." Ist gut möglich, dass ich den bald treffe.

Wie sich's gehört, wollte ich auch dem "Memorial Charles de Gaulle" einen Besuch abstatten. Da es vom Ort aus keinen Fußweg hin gibt, ist man etliche Zeit auf der Straße unterwegs. Das riesige Kreuz mit den zwei Balken habe ich ja schon von Weitem beim Herkommen gesehen.

Aber man kommt nicht an das Memorial. Es kostet vier Euro Eintritt und es war schon fast fünf Uhr. Ich ging beim Bäcker vorbei, kaufte mir ein Triangle d'amande und eine Jus d'orange. Das kostete weniger als vier Euro – de Gaulle wird's mir verzeihen.

Jetzt gehe ich ins Restaurant, um meinem ausgezehrten Körper was Gutes zu tun, und mich wieder mal wie "Gott in Frankreich" zu fühlen.

Euer Siegfried

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