Bei Villiers-le-bois (2. August), Tonnere (3. August), Nitry (4. August)
Hallo, Ihr seht, ich komme schon wieder mit dem Schreiben nicht nach!
Mal sind es die Umstände, d.h. ich bin mit Einkaufen, Stadt Anschauen, Waschen, feuchte Sachen zum Trocknen Auslegen beschäftigt, mal bin ich zu müde um mich überhaupt noch zu rühren, aber das ist eher selten.
Aber jetzt bin ich wieder da!!!
Ich sitz hier in einem Hotel nahe der Autobahnauffahrt, deshalb ist es überhaupt da. Mein eintägiger Freund in Tonnerre, Stephane, hatte mir gesagt, soweit ich es verstehen konnte, dass in Nitry keine Probleme mit dem Übernachten bestünden. Beim ersten Hotel, gleich hinter der Kirche war ich allerdings abgewiesen worden, alles complet! Aber hier geht's mir gut und deshalb schreibe ich jetzt, nachdem ich einen Salat mit Wurstscheibchen und gerösteten Brotwürfeln, eine Andouillette (jetzt habe ich auch mitgekriegt was eine Andouillette ist: eine Art Schwartenwurst, ohne Brille habe ich das nicht gesehen; wie hatte einst eine Engländerin am Nebentisch zu uns gesagt, – es war in Venedig und wir waren auf Hochzeitsreise – als ihr der Kellner auf ihre Fragen alles erklärt hatte, was auf dem Teller war: Man sollte nicht fragen was man ißt!) mit Pommes frites, 4 verschiedene Käse mit Baguette, als Nachspeise eine Crême Brulée mit Marc de Champagne flambiert, und einen Café noir getrunken habe.
In den letzten drei Tagen habe ich drei verschiedene Arten von Übernachten praktiziert. In der Nähe von Villiers-le-bois schlief ich in einer offenen Abstellhalle für landwirtschaftliche Maschinen, das war, vor allem beim Einsetzen des nächtlichen Regens purer Luxus, und im Morgengrauen hatte ich noch dazu das Gefühl in einem größeren Haus zu sein, denn die Mitbewohner schlugen beim Aufstehen die Türen und ich freute mich schon auf einen heißen Kaffee in netter Gesellschaft. Erst beim Augen öffnen fand ich wieder in mein tatsächliches Umfeld neben dem übergroßen Pneu zurück, merkte, dass die Geräusche vom abtropfenden Wasser auf das Wellblech kamen und war dann froh, um sieben Uhr früh meine Wasserflasche im Friedhof nochmals auffüllen zu können.
In Tonnerre, einer eigentlich sehr schönen Stadt an einem Fluß und einem Berg wurde ich gleich in eine echte Pilgerherberge verwiesen, wo ich wieder ganz allein war, heute dagegen fand ich mal wieder ein Hotel, wenn auch in der Nähe einer Autobahnauffahrt.
Auch Tonnerre ist eine Stadt in Burgund und macht mit seinem Wein Reklame.
Aber um sechs Uhr abends findet man kein offenes Restaurant, es war eigentlich auch kein einladendes Restaurant da, wo ich lief, zu sehen. Gegenüber vom Hôtel de Ville (Rathaus) ein Pizzabäcker, der auch außer Haus liefert, der auf meine Frage aber erst um sieben beginnt.
Auf meine Frage nach einem Glas Wein verwies er mich an die Bar in der Nähe.
So hatte ich mir den Abend nicht vorgestellt und Hunger hatte ich auch. Eine zweite Pizzeria buck zwar offenbar schon Pizzas, es war auch eine Schnellpizzeria wie die erste, wo's auch Döner und sonst noch alles mögliche zum "Reinschieben" gibt.
Hungrig ging ich in das einzige noch offene Geschäft, es war ja Sonntag abend, es war ein superkleiner Supermarkt, und deckte mich mit allem was ich für ein ordentliches Abendessen und Frühstück, sowie Obst für den nächsten Tag zu brauchen glaubte, ein. Mir kam die verlangte Summe schon etwas hoch vor, aber ich war kaputt und hungrig. Aber beim Nachkalkulieren auf dem Heimweg, stellte ich fest, dass ich um mehr als 5€ beschummelt worden war.
Ich trug schwer unter der Last der gekauften Speisen und an meinem Schicksal, wieder mal reingefallen zu sein.
Im Park, an dem ich zu meiner Herberge vorbeikam, setzte ich mich traurig, verärgert, heißhungrig und durstig auf eine Bank und aß gleich drei Orangen, ein paar Boule-Spielern zuschauend. Da kam auf der anderen Seite des sehr breiten Weges eine ungepflegte ältere Frau daher, sie blieb etwa 10 Meter gegenüber von mir stehen und sagte etwas was ich nicht verstand, aber vermutete. Ich sagte, dass ich nichts verstehe. Da sagte sie etwas von Euros. Ich saß neben meiner vollen Einkaufstüte aus der die Weinflasche guckte und mit drei Orangen im Bauch da und sagte, ich habe nichts und auf deutsch schimpfte ich auf den Händler, der mich betrogen hatte. Sie ging in ihren heruntergetretenen Schuhen traurig weg und setzte sich weiter entfernt auf eine Bank.
Später in der Herberge tat mir das sehr leid und noch jetzt sehe ich die Frau vor mir. Ich bin noch mal rausgegangen, mit 5€ in der Tasche, die ich ihr geben wollte, für sie wäre es ein großes Geschenk gewesen, für mich nur einmal auf etwas verzichten. Sie war nicht mehr da!
Ja, Stephane kennt Ihr noch nicht, als ich in meine "Villa" eingezogen war – das Haus und die Zimmer werden auch teilweise von Scouts genutzt – ich war gerade frisch geduscht und stand wie seinerzeit Adam, als er seine Eva noch nicht hatte, am offenen erdgeschoßigen Fenster, da stand plötzlich Stephane, ein Mann meines Alters, vor dem Fenster und fragte wie's mir so gehe und wie weit die Pilgerschaft mich noch führe und da die Unterhaltung am Fenster unbequem war, sagte er, er komme rein, er habe den Schlüssel zum Haus. Und weg war er.
Ich stürzte in meine Unter- und Oberhose und weiß heute noch nicht wie ich das geschafft habe, denn sonst stelle ich mich beim Anziehen ziemlich an. Er kam herein und sagte, ich solle mich nicht so anstellen, er sei ja auch ein Mann.
Und so begann die Freundschaft für einen Abend.
Er sah sofort was ich alles zum Trocknen im Zimmer ausgebreitet und aufgehängt hatte, Schlafsack, Matte, Trikot, Regenjacke und zeigte mir einen Platz unter einem Dach, in den die Abendsonne schien und auf dem meine Sachen bis zum Einbrechen der Dunkelheit trocken wurden und wieder eingepackt werden konnten. Denn das habe ich auch schon gelernt auf meiner Reise: die Sachen können am Abend noch so schön trocken sein, am Morgen sind sie wieder feucht, auch ohne Regen.
Dann sprachen wir über meinen Weg und er wollte es ganz genau wissen. Da ich ja nur Wanderkarten habe und von Deutschland sowieso nichts mehr, holte er aus seinem Bestand alte Atlanten, auf denen Europa im Din A5-Format abgebildet war und so erklärte ich einem alten Franzosen den Weg eines Bayern aus Wiederau über Naumburg, Eisenach, Marburg, Koblenz, Trier, Metz, Toul bis nach Tonnerre.
Für den weiteren Weg nach Vezelay hatte er schon eine DIN A4-Kopie eines Kartenausschnittes mitgebracht. Er war wie ich der Meinung, dass der im Führer vorgeschlagene Weg über Chablis und Auxerre viel zu umständlich sei und schlug mir den direkten Weg vor. Er geht zwar auf der Landstraße, aber erspart zwei Tage.
Es war genau der Weg, den ich mir bei der Planung auch schon eingezeichnet hatte und so war die Freunschaft auch geistig besiegelt.
Am nächsten Tag bin ich den Weg dann tatsächlich gegangen, es ist ein wenig nervig, bei jedem entgegenkommenden Auto auf den Grünstreifen springen zu müssen, aber es beruhigt ungemein. Auch wenn 100 Fahrer Abstand halten, irgendwann kommt immer einer, der den Mittelstreifen mehr achtet als den Menschen, der am Strassenrand geht, und dann wirds happig, grade wenn man ein wenig unsicher auf den Beinen ist, weil der Strassenrand nicht ganz so ideal ist, oder wenn man müde ist. Noch besser sind Fahrer, die von rückwärts kommend, ich gehe ja vorschriftsmäßig auf der linken Seite, gerade an der Stelle überholen müssen an der ich am Strassenrand laufe. Da braust dann von hinten kommend, ca. 1m neben einem, ein Auto mit 100 km/h und mehr vorbei.
Ich möchte niemandem etwas Schlechtes wünschen, aber diese rücksichtslosen Volldioten sollten einmal eine Stunde lang Ihresgleichen ausgesetzt sein. Ein Fehltritt in dieser kurzen Zeitspanne, und Ihr bekommt Eure Emails nicht mehr und ich höre die Engelein singen!
Aber auch was Schönes habe ich wieder erlebt. In einer kleinen Stadt oder größeren Dorf höre ich plötzlich eine Stimme hinter mir: "Hallo, hallo", ein Bub von vielleicht zwölf Jahren sagt, seine Mutter läßt fragen ob ich nicht eine Kleinigkeit essen möge, sie würde mich einladen. Es ist verlockend, aber ich lehne ab. Ich bin spät dran, es hat geregnet und regnet immer wieder und ich weiß noch nicht wo ich unterkomme. Wenn ich mich jetzt zum Essen setze, wird daraus leicht eine Stunde und dann wird es abends zu spät.
Die Strecke war fast 30 km und ich kam dann ja auch erst gegen sieben ins Hotel, auch weil ich natürlich in der Früh zu spät weg gegangen war, das Frühstück mußte selbst gerichtet werden, abgespült, der Schlüssel bei der Information abgegeben werden, dann noch ein paar Fotos vor dem alten Hospital, in dem jetzt die Info ist, und gleich ist es elf. Spät, das rächt sich dann abends. Aber dank Stephanes genauer Angaben hatte ich keine Probleme gehabt, den Weg aus Tonnerre hinaus Richtung Nitry zu finden.
Langsam, wenn auch mit Hilfe von Schwartenwurst, fließt wieder Kraft in des Wanderers Muskeln, das stellt Siegfried überrascht und erfreut fest...
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