Die Wanderung von Nitry nach Vézélay (5. August)
Hallo mes chèrs,
es ist zwar erst vorgestern gewesen (Anm. d. Red.: Beitrag geschrieben am 7. August), aber mir kommt's wie mehrere Wochen vor.
Nach einem am Nach regnerischen Tag hatte ich mir die Sachen in Nitry im Hotelzimmer ausgelegt, weil alles feucht war, was irgendwie nicht nur mit dem Regen, sondern auch mit der Luft in Berührung gekommen war. Gut war aber dass Schlafsack und Matte in Tonnerre in der Sonne gut trocken geworden und gut eingepackt waren.
Im Hotelzimmer trocknete über Nacht nichts, ich hatte eher den Eindruck dass alles noch feuchter geworden war, es war schwül, dunstig, die Luftfeuchtigkeit schätzte ich am Morgen fast 100%. Aber die Wolken waren aufgerissen und ab und zu sah und fühlte ich beim Weitergehen einen Sonnenstrahl.
Ich mußte noch auf der vielbefahrenen Route Nationale (etwa wie unsere Bundesstraße) einige Kilometer überstehen, bevor ich wieder auf eine "D"-Strasse kommen konnte (Landstraße).
Auf einer dieser "D"-Strassen, ich war nach einer kurzen Pause auf einem Bankerl wieder frisch am Weitermarschieren, ich hatte ja noch eine weite Strecke vor mir, diesen Tag mußte ich an die 30 km schaffen, fuhr plötzlich etwa 50 m vor mir ein entgegenkommendes dunkelblaues Auto, Typ Geländewagen, auf den Grünstreifen und hielt an. Ein blau gewandeter Mann stieg aus.
Kaum war ich ein paar Meter gelaufen, kam er von hinten, überholte und fuhr wieder links vor mir auf den Seitenstreifen, hielt, öffnete die Hecktür und fragte ob ich Lust auf ein Glas Wein hätte. Ich hatte.
Er hatte einen kleinen 5 Liter-Kanister dabei und wunderschön kühler Rosé floß gleich aus einer Tasse in meinen ausgetrockneten Mund, befeuchtete dabei meine trockenen Lippen und zauberte das bekannte angenehme Krippeln in meinen Körper.
Er war mir natürch schon vorher symphatisch gewesen, weil er einer der wenigen Leute war, die jemals gesagt haben, ich spräche gut französisch. Und sowas tut einer armen, in der Jugend von Französisch- und Englischlehrern geplagten Seele selbst im Alter noch gut. Aber es gibt auch Leute, bei denen verstehe ich Null! Und dann stelle ich mir einen französischen Deutschlehrer vor, der sich mit einem waschechten Sachsen oder Bayern unterhalten muß. Und diese Vorstellung erleichtert mein hiesiges Leben ungemein.
Mit Philippe hatte ich also offenbar einen Partner, der die Sprache sprach, die ich gelernt hatte. Wie wir so weinfröhlich zusammenstanden, kam ein Radler vorbei, hinten und vorne Satteltaschen, Hut, alles was zu einem zünftigen Pilger gehört. Philippe rief und winkte ihn herbei und nun waren wir zu dritt beim Wein.
Albert, der Radfahrer, ist aus Holland und ist auch Richtung Santiago unterwegs. Nach nochmal einer halben Stunde Unterhaltung trennten wir uns mit dem Versprechen, in Kontakt zu bleiben. Ja – Albert war auch noch praktisch für mich, er sprach fließend deutsch und französisch. Und so verfiel ich wieder in meine alte Letargie und lies Albert alles übersetzen.
Hurra Ihr Lieben!
Punkt 7 Uhr abends habe ich den steilen Berg, auf dem Vezelay liegt erklommen.
Die Uhr hat geschlagen und es wurde geläutet. Einen feierlicheren Einzug in das Städtchen hätte ich mir nicht vorstellen können. Da ich den steinigen Fußweg genommen hatte, war ich gleich bei der Kathedrale Ste Madelaine und ich bin reingegangen.
Im großen Vorraum hörte ich schon die schönen Gesänge, es wurde eine feierliche Messe gefeiert.
Mir ist bewußt, Schubert Hansi möge mir verzeihen, dass ich mich wiederholt habe, aber so war's.
Mindestens ein Priester, 4 Diakone, sechs Schwestern in Weiss, sechs Brüder in Weiss, wunderbare Gesänge, etwa 50 Leute die die Messe mitfeiern und ein verschwitzter Wanderer, dem das Wasser runterläuft...
Nach der ganzen Flasche Burgunder aus Vézélay und einem Liter Wasser bin ich natürlich schwer beladen in die Herberge zurück gewankt. Das Dorf Vézélay zieht sich am Berg hoch, die Kathedrale Ste Marie-Madeleine steht sozusagen auf der Spitze des Berges und des Dorfes. Die Herberge ist ganz nahe bei der Kathedrale und gehört zu den Franziskanern.
Als ich am Abend um sieben in Vézélay ankam, war es dann wieder Albert, der mich nach der Kirche gleich unter seine Fittiche nahm. Und dann fühlt man sich auch gleich ein bisschen mehr daheim.
Erholungsbedürftig aber glücklich:
Siegfried