25
Juli
2010

Hinterrhein

Gestern ist mein Bruder Bernhard nachmittags pünktlich in Splügen mit dem Postbus angekommen. Wir hatten also genügend Zeit und Muse Kaffee zu trinken, Splügen anzuschauen, und nach einem echt Schweizer Abendessen und zwei "Kübel" Bier wohlgemut und optimistisch ins Bett zu gehen. Der Sonntagmorgen sah nicht so schön aus, wie's der Mond in der Nacht versprochen hatte, er leuchtete mir nämlich um Mitternacht auf dem Weg ins stille Örtchen. Es war windig und kalt und manchmal tröpfelte es sogar. Wir nahmen von Splügen aus den Hangweg nach Medels, hoch über Rhein und Straßen, in Medels schlugen wir/ich dann in bewährter Weise den falschen Weg nach Nufenen ein, was uns erst auffiel als der Weg immer höher hinaufging. Wir waren mal wieder auf dem Weg zu einem Gipfel! Ab Nufenen gingen wir dann den weniger anstrengenden, aber sehr schönen Talweg neben dem Hinterrhein bis zum Ort Hinterrhein weiter. Bernhard war von der Fauna begeistert, dabei meinte er nicht ein weibliches Wesen sondern die Pflanzenwelt, und erzählte mir immer dann von Eisenhut und Edelweiß, wenn wir schon daran vorbei waren und ich sie wieder einmal nicht gesehen hatte. In Hinterrhein waren wir schon um drei, und natürlich war in der von uns vorgebuchten Herberge noch niemand da, das war uns bei der Vorbuchung ja auch schon gesagt worden. So gingen wir in die Kirche, wo die Organistin gerade übte und uns so ein kleines Orgelkonzert präsentierte, setzten uns in der Sonne auf ein Bankerl vor eine Almhütte gegenüber des Passes, bewunderten die schneeverzierten Dreitausender und konnten von Ferne unseren morgigen Weg am gegeüberliegenden Hang, wir müssen nur noch 500m bis zur Passhöhe hochsteigen, dunkel abgezeichnet erkennen. Jetzt haben wir ein wunderschönes altes Zimmer im "Rothaus" bezogen, mit Holzdecke und mehr als einen halben Meter breiten Holzdielen.(das Zimmer haben wir nun doch dem auch angebotenen "Schlafen im Stroh" vorgezogen, wir sind schließlich nicht mehr die Jüngsten! Auch wenn wir uns manchmal so fühlen und anstellen) Im Flur liegen riesige, grobe Granitplatten. Das Haus ist um die 4 - 500 Jahre alt! Wir werden gut schlafen. Es gibt keinen Gasthof im Ort, zu Abend essen werden wir in einem Nachbarhaus das, was im Ort erzeugt wurde. Mir läuft jetzt schon das Wasser im Munde zusammen, aber Abendessen ist erst um 1/2 8 und jetzt ist´s noch nicht mal sieben! Drum habe ich noch ein wenig Zeit von gestern zu erzählen: Von Andeer nach Splügen geht's wieder durch ein enges Tal und man geht etwa 500 Meter hoch. Diesmal war ich wieder etwas mutiger und bin auch wieder, wo´s sinnvoll war, Bergsteige gegangen. In diesem Tal des Hinterrheins ist allerlei los. Erst kommt man zur Bärenburg, von der man aber nichts sieht. Hier gibt's nämlich im engen Tal einen Staudamm mit eingebautem Kraftwerk und der Verteilstation oben drauf, was relativ einmalig sein soll. Der Stausee ist ein Ausgleichbecken, durch einen im Berg verlegten Stollen fließt außerdem Wasser aus dem mehrere Hundert Meter höheren Sufnersee. Elektriker können das besser erklären. Für mich war eindrucksvoll mir vorzustellen, dass dieser kleine See in dieser engen Schlucht sicher tiefer ist als groß. Weiter oben im Tal kommt man zum Gasthaus "Roflaschlucht". Wieder eine Schlucht mit einer Geschichte: Zu alten Zeiten war das Gadthaus eine Herberge für die Fuhrleute und Reisenden. Pferde wurden gewechselt und kaputte Fuhrwerke repariert. Die Familie die dort einsam lebte, kam mit dem, was sie verdiente,gut aus. Als dann Ende des 19. Jahrhunderts neue Strassen gebaut wurden, der Verkehr schneller wurde, blieben die Gäste weg und die Familie konnte von den Einnahmen nicht mehr leben. Die junge Familie wanderte deshalb nach Amerika aus, die Eltern blieben zurück. Aber die junge Familie hatte viel Heimweh. Der Vater hatte einmal die Niagara-Fälle besucht und Heimweh und die Idee in der heimatlichen Schlucht kleine Niagarafälle zu präsentieren um davon leben zu können, veranlasste ihn, mit seiner Familie wieder in die heimatliche Schlucht zurück zu kehren. Der Vater baute in jahrelanger Arbeit in der Schlucht einen Weg bis unter einen hohen Wasserfall und unter ihm hindurch. Und so hatte er die Attraktion: "Sie können unter dem Rhein durchgehen!" Die Leute kamen wieder und das Gasthaus ernährt heute noch seine Familie. Und auch ich bin für drei Franken unter dem Rhein durchgegangen und bin auf dem vom Vater in Eigenarbeit etwa 1907 bis 1914 gebauten Weg in der Schlucht am sprudelnden Rhein entlang spaziert. Die dritte Attraktion am Hinterrhein ist die Festung Crestawald. Eine moderne unterirdische Festung, von 1939 bis -40 gebaut. Sie soll noch bis 1960 geheim gewesen sein, ist jetzt aber Museum. Drin war ich da natürlich nicht, sonst hätte ich mein Ziel, Splügen, an diesem Tag nicht so pünktlich erreicht um Bernhard vom Bus abholen zu können. So, in der Zwischenzeit waren wir im Nachbarhaus beim Essen. Auch ein uraltes Haus, und wir saßen im aus Natursteinen gemauerten Keller, der bis ins 17. Jahrhundert Ziegenstall und dann fürs Gerümpel gut war. Es gab Raclette mit Käse aus Sufers, Wir waren 5 Gäste, zwei radfahrende Damen aus dem Allgäu, ein Schweitzer der den "Walserweg" gehen will und Bernhard und ich. Wir lernten im Gespräch mit dem Hausherrn so einiges über Ziegen, die in der früh auf den Berg ziehen und abends zum Melken wieder runter kommen wo dann jede der Ziegen wieder in ihren eigenen Stall selbständig geht. Wir hörten auch von einer Milch-Pipeline in der die Milch 20 Minuten braucht bis sie zum Tal kommt.... Und morgen früh bläst der Ziegenhirte um 1/2 8 in sein Horn. Dann kommen alle Ziegen aus ihren Ställen und folgen ihm als Herde auf den Berg. Und sicher werden 5 Leute morgen am Wegesrand im Dorf stehen und diesem Schauspiel zusehen, ganz sicher! Euer Siegfried

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