Borgomanaro
Ja wo is er den jetzat, werdet Ihr denken.
Es ist viel passiert in den letzten Tagen, aber erst heute komme ich wieder zum Schreiben. Ich sitz im Hof eines schönen Restaurants in der Lombardei. Das geht aber nur, weil ich einen alten Kreuzfahrertrick angewendet habe.
Also Bernhard verabschiedete sich in Bellinzona am Donnerstag ungefähr um 1/2 11, da ging sein Zug ab nach Zürich und weiter nach München. Da stand ich nun wieder allein da.
Meine ursprünglich geplante Route über ein Seitental Richtung Lugano hatte ich schon aufgegeben gehabt, ich wollte keine Berge mehr steigen und dachte, am Ostufer des Lago Maggiore nach Süden zu wandern. Also lief ich von Bellinzona nach Magadino durchs breite Tal der Moesa, der wir vom San Bernhardino herab gefolgt waren. Unterwegs suchte ich heraus zu finden ob es eine Unterkunftsmöglichkeit in Magadino gäbe - Null! Alle im Internet erreichbaren Adressen waren außerhalb und schlecht oder ungünstig für mich erreichbar. Da kam mir die glänzende Idee. Ein Schiff! Haben die alten Kreuzfahrer ja auch so gemacht.
Eine Nachtfahrt über den Lago Maggiore. Ich spare Übernachtung, Essen und Zeit. Der Fahrplan wurde im Internet gecheckt. Abends geht ein Trachetto nach Süden. Ich nehme an, so was ähnliches wie ein Drachenboot.
Ich wandere guten Mutes weiter und komme rechtzeitig, so meine ich, vor der Abfahrt des Drachenbootes in Magadino an. Die Biglietteria ist gegenüber der Anlegestelle in einem kleinen Laden über der Strasse. Am Schalter ein leicht genervter Schweizer mit italienischen Vorfahren, denke ich, aber er spricht Gott sei Dank Deutsch und erklärt mir, dass es heute keine Schiffe mehr gäbe. Morgen ginge das Schnellschiff nach Arona, Italien. Mit meinem Plan ist´s also nichts. Ich erfahre von ihm, es gibt wider erwarten ein Hotel, und da checke ich ein. Und nach dem Abendessen gehe ich nochmals zur Anlegestelle um heraus zu finden, wann morgen das Schiff geht. Ich erkenne: Um 11.30! Also viel Zeit.
Nach gemütlichem Frühstück wandere ich frohgemut zur Billetteria, vorher hatte ich noch überlegt, den kleinen Berg zur Kirche hoch zu steigen, tat´s aber nicht, erst wollte ich die Fahrkarte in der Hand haben. Wie ich mich der Anlegestelle nähere, sehe ich ein Schiff ankommen. Mein´s ist das nicht.
Ich geh in die Billetteria. Warum schaut mich mein alter Bekannter so genervt an. Arona, sag ich nur! Sie sind zu spät, es geht nur ein Eilschiff am Tag nach Italien und das ist vor einer halben Stunde abgefahren! Ich erkläre ihm den Fahrplan, aber er bleibt bei seiner Meinung. Ich sag ihm dann fahr ich mit einem anderen Schiff irgendwo hin. Ich will nur nicht in Magadino bleiben. Sie wollen doch nach Arona! Er versteht die Welt nicht mehr.
Nun muss er zur Anlegestelle, das Schiff begrüßen und verabschieden. Ich eile mit und geh ihm auf die Nerven. Ich frage, ob ich nicht auf dem Schiff die Fahrkarte lösen könne, nein das geht nicht. Der Obermatrose oder so was mischt sich italienisch ein. Mein Billetterist telefoniert mit dem Handy. In Locarno fährt ein Sonderschiff nach Italien ab, das könnte ich erreichen. Er eilt zur Billetteria zurück, ich hinterher, Fahrkarte und Reservierung werden ausgedruckt ich renn zurück über die Strasse auf´s Schiff und wir legen ab. Der Obermatrose schärft mir nochmals ein "Locarno", ich schau wahrscheinlich schon ein bisschen verwirrt. In Locarno sagt er noch: Anlegestelle 2.
Da steh ich nun, viel Leute, ab und zu ein Schiff aber mein Trachetto seh ich nicht. Ich kauf Postkarten und Briefmarken um was zu tun. Es kommt eine Durchsage auf italienisch und deutsch, das Schiff nach Italien führe um 10.30 ab und er sagt noch was von 50m neben dem Hafen. Ich meine das beträfe Leute, die was zu verzollen hätten und fühle mich nicht betroffen.
Die erste Karte ist geschrieben. Ein innerer Zwang drängt mich schon nach der ersten Karte den Briefkasten zu suchen, nicht dass ich dann auf meinen Schweizer Briefmarken sitzen bleibe. Und da seh ich es, das Trachetto, 50m neben dem Hafen! Ich eile, ich bin auf dem Schiff und es legt ab. Ach Siegfried !
In zwei Stunden bin ich in Arona, mitten in der Lombardei, mitten in Italien! Berge nur wenn man zurück nach Norden sieht, Wolken nur wenn man zurück nach Norden sieht .
Ich kauf drei Nektarinen, bekomme auch eine Karte von der Lombardei und plane wohin ich gehen will. Es hat sich ja einiges geändert. Ich stelle fest, wenn ich nicht faul bin, kann ich in drei Tagen in Vercelli, dem Anfangsort für mich auf der Via Francigena sein. Und so laufe ich los, 12km auf einem sehr belebten Autobahnzubringer nach Borgomanaro, und da bin ich nun, hab bis halb elf gespeist und bei einem kleinen Stadtrundgang das nächtliche Italien genossen.
Siegfried
PS Manchmal glaub ich´s nicht oder vergess es immer wieder. Aber das was ich da geschildert habe können nicht lauter Zufälle sein: Der Entschluß nicht über die Berge zu gehen, Das Hotel in Magadino, Das Sonderschiff, Der Weg zum Briefkasten, der Grund, dass ich das Trachetto nicht versäumt habe.
Und nochwas: Das Trachetto ist ein Tragflächenboot, das sich aus dem Wasser hebt, wenn´s schnell wird. Es ist ganz schön schnell. Wir brauchten von Locarno bis Arona einschließlich aller Anlegemanöver an den angesteuerten Häfen, einmal, legten wir sogar zwei mal an, weil einer zu spät gekommen war, das ist Kundendienst und zeigt, dass ich kein Sonderfall bin, 2 Stunden! Ich glaub, das sind so ungefähr 60 Kilometer.