Sel
Sel: Jorundgard Middelaltersentrum
Hallo, gestern Abend ist's nicht gegangen, jetzt sitz ich im Morgenwind da und er hat mir versprochen, meinen Brief Euch zuzutragen. Huch. Es ist kuehl und schaut nach Regen aus.
Hier sitz ich also auf der Loggia des Ortsvorstehershauses. Es ist das größte dieser kleinen Ansiedlung. In der Mitte des kleinen grasigen Platzes vor mir unten steht ein Ziehbrunnen. Darum herum stehen locker ein paar andere, grasbedeckte Blockhäuser.
Es wimmelt von spielenden Kindern, geschaeftig werkenden Frauen in langen Gewändern und Männern in Bärenfellen. Und dazwischen ab und zu eine Kuh die gerade gemolken wird und ueberall natuerlich Hunde und Katzen.
So hab ich mir das vorgestellt.
Es stimmt. Ich sitz in einer Filmkulisse. Aber niemand ist da außer ich in der Loggia und ein paar verirrte Mücken. Und derweil hab ich mir das alles so schön und bequem vorgestellt.
So aber gibt's hier nichts und ist auch niemand. Den Obulos für die Nacht soll ich auf die Truhe legen. (150 nkr) es gibt zwei echte Spülklosetts mit außen einem Wasserhahn mit kurzem Schlauch zum Waschen und Zähneputzen. Und in dem mir zugewiesenen Raum vier abenteuerliche Betten, teils mit Schaffellen bedeckt. Meine erste Reaktion war: Da drin schlaf ich nicht. Aber ich werd's tun.
Zum Abendessen habe ich mir in der nahen Butikk eine Flasche Fanta und ein paar gesunde Riegel gekauft, zum Fruehstueck gibt's einen Energy Drink und einen gesunden Riegel.
Damit Ihr die Fülle meines gegenwärtigen brasserischen Lebens wirklich Ermessen könnt, die Speisefolge von gestern: abends Kulturmelk und italienischer Salat mit Majonaise(?), zur Nachspeise eine halbe Dose Tunfisch und zwei Semmeln. Zum Fruehstueck gabs den Rest des Tunfisches und die aufgesparte Kulturmelk.
Ich wundere mich wie mein Körper das alles ohne Probleme mitmacht. Murren tut er allerdings schon manchmal und lässt ärgerlich Luft ab.
Allerdings muss ich gestehen, heute Mittag habe ich gegessen. Das erste Mal an Mittag auf dieser Wanderung. Und da Sage einer dass mich nicht Engel begleiten! Die sorgen sogar dafür dass ich nicht hungere. Das war in Otta, der letzten Stadt, ich kam dort Mittags durch und an einer Kaffetria vorbei auf deren Veranda Gäste saßen. Selbstbedienung. So konnte ich mich nach dem spärlichen Fruehstueck und 12km laufen für die restlichen 12km staerken.
Nachmittags veraenderte sich die Landschaft wieder. Ich lief in einem breiten Tal bis Sel. Der Talboden ist groß und völlig eben, es ist sicher angeschwemmtes Land in fruchtbar. Der Lågan jetzt schmal und ruhiger schlängelt sich am Rand entlang.
Die Bäume an den hohen Hängen scheinen mir nicht mehr so hoch zu sein und in der Ferne sehe ich grüne Berge ohne Bäume.
Da ich heute in einem Mittelalterdorf schlafe, habe ich stilgerecht keine Moeglichkeit diesen Brief an Euch weg zu schicken. Weder Email noch Internet funktionieren. Aber es wird schon wieder werden. Keine Angst, mir geht's gut!
Noch was. Heute war seit langen wieder ein Tag ganz ohne Regen aber mit warmem Sonnenschein. Und grad wie ich das jetzt schreibe faengts in der Abendsonne zu regnen an. Zauberhaft. Es ist wie im Paradies. Die saftig grüne Wiese auf dem Platz strukturiert durch die Schatten der Häuser, die hellbraun durchsetzten Gründächer, die glitzernden Rundhölzer der niedrigen Blockhäuser und alles ein bisschen schraffiert durch die Perlen der Regentropfen in der Abendsonne.
Noch was. Die mittelalterlichen Leute waren zwangsläufig schon demütig. Gingen sie aufrecht durch die Tür bekamen sie was vor den Kopf. Eigene Erfahrung.
Alors ma chérie, c'est aussi toi qui m'accompagne comme un ange avec tes bonnes souhaites. Je suis sûre.
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