09
Juni
2014

Boronow

Die letzte Nacht vor Tschenstochau, dann wird auch diese meine letzte große Wanderung zu Ende sein. Ja so habe ich mir's vorgenommen. Dann bin ich in alle vier Himmelsrichtungen von zuhause aus gegangen, habe viele unserer europäischen Nachbarländer wandernd kennen gelernt, hab' nicht viel Großes dabei gesehen, dafür fehlte die Zeit und die Kraft, sondern all das kleine Unbedeutende das mein Leben und das Leben fast aller Leute ausfüllt, lebenswert macht und seinen Sinn gibt.

Dass ich dabei ein Kreuz über Europa gewandert bin, war nicht geplant. Jede der einzelnen Wanderungen hatte eine andere Ursache, einen anderen Auslöser.

Manchmal werde ich gefragt, was man so erlebt auf so einer einsamen sehr langen Wanderung. Und bei dieser Frage interessieren nicht die äußerlichen Erlebnisse. Es geht offenbar die Mähr man erführe pilgernd transzendente Erlebnisse. Es wird, ganz typisch für unsere heutige Zeit, erwartet, wenn man etwas Bestimmtes tut, dann tritt zwangsläufig etwas Erwartetes ein. Schaltet man den Ferseher ein, kommt ein Bild. Geht man den Jakobsweg, erlebt man Transzendentes.

Doch so geht das nicht. Ich glaube man braucht dazu die Bereitschaft, die Offenheit und den Glauben, dass alles sehr viel komplexer ist als es uns die Wissenschaft und all die klugen Leute erklären wollen.

Und dann kann es sein, wenn alle diese Einflüsse von außen, die vorgedachten Meinungen, der ständige Aktivismus, das immerwährende Reagieren müssen, plötzlich nicht mehr da sind, - und das dauert lange - dann öffnet sich der Himmel, unerwartet, kurz aber ein großes Glücksgefühl bleibt in der Erinnerung.

Beschreiben kann ich das nicht, wie's ja kaum glaubhafte Beschreibungen gibt. Das liegt im Wesen dieser geheimnisvollen Sache. Die's nicht erleben können sollten es denen glauben, die's erleben durften - und sich ihren Reim drauf machen.

So, jetzt aber wieder zum ganz normalen und wie ich Euch kenne, zu dem, was Euch wirklich interessiert. Gestern hat die Dame aus der Rezeption hier reserviert und ich bin fröhlich und stark schwitzend mit perfekt in der Apteka geordertem Pflaster und Heilsalbe, die ich noch auf einer Anlagenbank an einer Kreuzung vor staunendem Publikum (habt ihr schon mal einem alten steifen Mann zugesehen wie er sich zielgenau ein Pflaster an die Ferse zu kleben versucht hat?) meiner wunden Ferse angedeihen lies, an schattenlosen Ausfallstraßen und über schattige Waldwege bis hierher gewandert.

U Patryka Gospodarstwo heißt meine Herberge am Rand dieses großen Dorfes Boronow. Und ich stellte mir ein großes, malerisches Gehöft mit Pferden, Kühen und Gänsen vor. Von weitem sah ich schon ein Pferd traben mit einem Kind drauf und eine Frau die dabei stand. Und nur ein etwas sehr einfaches Haus, vielleicht der Stall, war auf dem Anwesen sonst auszumachen. Das Tor war zu.

Wie ich so da stand und rätselte hörte ich hinter mir eine Frau "hallo" rufen und diese lud mich in ihr Haus ein. Ich war am Ziel! Ein picobello feines modernes Haus mit elektrischer Jalousie. Und mit einer Dusche, sowas habt Ihr noch nicht gesehen. Mit Obenbrause und Handdusche und sechs Körperdüsen. Und da steht nun der erschöpfte, verschwitzte Wanderer und sucht den richtigen Hebel und findet prompt den, der ihm einen vollen Strahl ins erstaunte Angesicht spritzt.

Gerade habe ich mein Abendessen genossen, eine polnische, gut gewürzte Wurst mit kleinen Knödelchen, ähnlich Gnocci blos flach, Sauerkraut in einer weissen Sauce und Tomaten, dazu als Nachspeise einen seeehr feinen Zwetschgensträuselkuchen.

Noch was zu den Autofahrern. Hier sind sie alle vernünftig. Mindestens so vernünftig wie bei uns. Und ich hab' schon dreimal Polizisten mit Laserpistolen Geschwindigkeitskontrollen durchführen sehen. Einmal war's eine junge Polizistin, zweimal waren's Puppen.

Impression: Ich sitz im schattigen Zimmer, jetzt die Jalousie etwas hochgezogen, draußen sitzt die Familie mit Tochter und Enkelin. Sie sprechen polnisch, ich denke und schreibe deutsch.

Ma douce amie, est-que-c'est vrai que tu lis tous mes lettres? Mais je n'écris pas tous mes pensées! Il-y-a aussi les jolies pensées et les tristes pensées d'une amitié peut-être perdue qui m'accompagnent.

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