Cacabelos (14. Oktober)
Die Herberge in Molinaseca habe ich nach dem südländischen Frühstück bestehend aus Milchkaffee, Brot, Butter und Marmelade, ziemlich als letzter verlassen.
Wenige Kilometer hinter Molinaseca, noch vor Ponferrada, mußte ich, weil wie immer die Nase lief, schneuzen und weil grade auch ein sehr schönes Motiv für eine Fotoaufnahme – herbstliche Farben der Weingärten – da war, zückte ich meinen Fotoapparat. Und da hatte ich schon die erste Sternminute: da kam auch schon ein Winzer, um in Körbe Weintrauben zu sammeln. Ich vermute, das sind Weintrauben zum Essen, denn auf diese Weise könnte er sich als Winzer – "Weinmacher" – sein Brot nicht verdienen.
Er kam im Feld auf mich zu, der ich auf dem Fußweg stand, und bot mir eine Traube an. So fing der Tag schon gut an.
Die süßen Weintrauben essend, die Stöcke unterm Arm, schlenderte ich weiter, nicht so, als hätte ich noch 20km vor mir. Da tauchte eine Frau mit Rucksack vor mir auf, wir kamen ins Gespräch, sie war Schweizerin und ging den Weg zurück. Ich bot ihr von meinen Trauben an. Sie fragte mich nach dem, was mir als erstes zum Weg einfiele. Ich erzählte ihr von meinen "Engel"-Erlebnissen. Sie hatte eine ähnliche Geschichte auf dem Weg vor einigen Jahren, als sie den Weg schon einmal gegangen war, schon gehört. Ein Mann, der sich mit Selbstmordgedanken trug, traf auf eine junge Frau. Und sein Leben bekam dadurch wieder einen Sinn. Die beiden verbindet heute noch eine herzliche Freundschaft, obwohl sie weit von einander leben.
Sie selbst erzählte mir, dass die Begegnungen beim Zurückgehen intensiver wären, als beim Hingehen. Es ist das Bewustsein, dass man sich niemals mehr sehen wird. Ich frage mich nur, warum sonst Menschen nicht in der Lage sind, intensiven Kontakt aufzunehmen, wenn sie sich begegnen und wenn sie wissen, dass sie sich nie mehr treffen werden. Es ist wohl doch die besondere Stimmung auf dem Camino und eine doch gemeinsame Grundstimmung.
Ich gab ihr ein wenig von meinen süßen Trauben und wir verabschiedeten uns, uns umarmend. Sie zog in die Richtung, aus der ich kam, ich zog, die Stöcke unter dem Arm, nach Westen, eine Weintraube nach der anderen in den Mund steckend.
Der Weg ging weiter und die Landschaft änderte sich. Es geht einen Berg hinauf, es gibt wieder Weinberge und Weingärten die Landschaft ist sehr bunt und sehr hügelig.
Vor Ponferrada traf ich auf das Paar, ein hagerer großer Mann mit Bart, eine etwas kleinere Frau, die ihr Gepäck auf einer Art Schubkarren zieht, das mir schon seit Fagen immer mal wieder begegnet ist.
Sie sind schneller als ich, aber durch unterschiedliche Pausengewohnheiten läuft man sich immer mal wieder über den Weg. Bis jetzt haben wir immer französisch gesprochen, sie sind Schweizer, natürlich sprechen wir jetzt deutsch.
Der Ziehkarren war ihnen empfohlen worden, weil das Gewicht auf den Hüften so nur ein Drittel beträgt, die Frau zeigt mir so eine Art Hüftgurt, wie ich ihn am Rucksack habe, an dem hängt der Wagen, sie kann ihn also auch ohne die Hände zu benutzen, ziehen. Über die steinigen Wege ist das aber sehr mühsam und das geht dann nur wenn der Mann mithilft. Auch bergauf hilft der Mann, er schiebt mit seinem Stock. Vor Ponferrada trennen wir uns wieder, ich fotografiere, von hinten kommt Penelope aus Australien, mit der ich nach Ponferrada einziehe. Sie spricht ein ganz anderes Englisch als ich es kenne, breitgezogen und sehr helle Vokale, da hat ein Englischexperte wie ich schon seine Schwierigkeiten, vor allem, wenn er dabei noch laufen muß!
In einem kleinen Ort nach Ponferrada stehe ich fotografierend in der kleinen Strasse, da hält ein Auto neben mir und der Mann will mich, fotografierend, fotografieren. Ich stelle mich also hin als täte ich und er schießt eine Anzahl Bilder. Bin mir wie ein Mannequin vorgekommen.
Gemütlich bin ich, von Francis auch noch mit einer Weintraube versorgt, mit vier vollreifen Feigen, die ich mir selbst gepflückt hatte, gesättigt, in Cacabelos eingezogen, dem Ziel unserer heutigen Etappe.
Die Herberge besteht aus ca. 70 Kojen, die im Kirchhof rund um die Kirchenmauer angeordnet sind. Originell. Ich schlafe mit dem Holländer Mark, den ich schon seit Tagen kenne, in einer Koje, die Franzosen laden mich ein, mit ihnen zum Essen zu gehen.
Siegfried
Molinaseca (13. Oktober)
Foncebadón: Bis dahin war ich schon eine Stunde unterwegs, immer bergauf. Aber wunderschöne Stimmung.
Siegfried
Rabanal del Camino (12. Oktober)
Wenn man von Astorga nach Westen geht, kommt man an einer kleinen Einsiedelei "Ecce Homo" vorbei, da ist auch zugleich der erste Rastplatz, man kann Wasser auffüllen und in der kleinen Kapelle ein bißchen über den Tag und das Leben nachdenken. Es ist heute ja Sonntag, aber eine Gelegenheit einen Gottesdienst zu besuchen, gab es in Astorga nicht.
Weiter geht's nach Westen, Berge tauchen im Morgengrauen auf und bald steigen wir einen Pfad empor. Eine richtige Erholung nach dem tagelangen Laufen auf dem Weg neben der Straße. Der Nebel löst sich langsam auf, es wird wieder ein sehr schönerTag.
Rabanal, das ich gegen vier Uhr erreiche, ist ein kleiner Gebirgsort. Die Albergue liegt gleich hinter der Kirche und gehört zum kleinen Benidiktinerkloster, das auch mit dem Kloster von Ottobeuren in Verbindung steht, wie ich lese. Das erste Mal auf dem Camino lieg ich in einem Klostergarten in der Sonne und eine Katze gesellt sich zu mir!
Abends um 7h ist in der kleinen ruinösen Kirche Vesper. Die drei Patres des Klosters singen im Wechsel Psalmen auf gregorianische Art. Anschließend gibt's den Pilgersegen, diesmal auf Lateinisch. Es sind viele Pilger da, die kleine Kirche ist voll!
Siegfried
Jetzt lieg ich schon wieder im Bett und zwar in Rabanal del Camino. Und dabei hab ich Euch von der schönen Stadt Astorga noch gar nichts erzählt.
Wenn man nach Astorga kommt, sieht man schon von weitem die beiden spitzen Türme der Kathedrale. Wenn man näher kommt, merkt man, dass die Stadt auf einer Anhöhe steht und auf der Seite, aus der wir kommen, über hohen, langgestreckten Mauern – Stützmauern – hervorragt. Ich muß also erst mal hoch steigen, bin aber dann gleich in einer malerischen, aber doch auch modernen und ein wenig mondänen Altstadt. Ich gehe entsprechend langsam, staune, genieße und fotografiere.
Das Rathaus ist ein imposantes Gebäude mit barocker Fassade und weil's gleich vier ist, warte ich bis die Stunde schlägt. Ich habe nämlich ganz oben zwei überlebensgroße Figuren entdeckt, eine Frau und einen Mann in Tracht, mit je einem großen Hammer, vor einer Glocke. Und tatsächlich, sie schlagen abwechselnd die Stunde.
Über wertvollen geschliffenen Marmorboden, ja, das ist der Straßenbelag in der Fußgängerzone von Astorga, geht's weiter Richtung Kathedrale. Eine ganze Gruppe von kleinen Kirchen gruppiert sich um sie, so scheint mir. Das Bauwerk hat einen warmen Rotton und ist nicht so reich gegliedert wie die gotischen Kirchen, die ich gesehen habe, zuletzt in Leon. Ich hatte vermutet, es wäre ein Ziegelbau, aber roter Sandstein ist es.
Gleich neben der Kathedrale steht der berühmte Bischofspalast, den Antonio Gaudi Ende des 19. Jahrhunderts geplant hat. Er ist aus grauem Stein und in der Gaudi-typischen Art sehr romantisch. Er passt zu den Gebäuden um die Kirche als wäre er mit diesen geplant.
Die Kathedrale kann nur zusammen mit dem Museum besucht werden. Sie ist sehr hoch, und was als erstes auffällt, sind die Pfeiler, deren Basen bis auf ca. drei Meter Höhe reich gegliedert sind, was ich hier das erste Mal sehe, dafür haben sie keine Kapitelle, wodurch sie noch höher wirken.
Die Kathedrale ist auch wieder durch den Chor für das Domkapitel in zwei große Teile, den für die Geistlichkeit und den für das Volk, untergliedert.
Unsere Herberge ist in einem romantischen uralten Haus untergebracht. Der Schlafsaal liegt unter dem Dach und der Platz zwischen den Betten ist eng. Aber meine Schutzengelschar, bestehend aus Franzosen, Kanadiern und Asiern hat für mich, der ich ja immer viel später daher komme, ein besonders schönes Bett unterm Fenster und ohne Oberbett dadurch reserviert, dass sie einen Schlafsack drauf legten. Langsam kapiere ich das System auch. Eine offizielle Reservation ist nämlich nicht möglich.
Schon auf dem Weg zur Herberge erhielt ich die entsprechenden Informationen. Und so schlief ich inmitten meiner Freunde.
Kurz nachdem das Licht ausgemacht worden war, begann ein Solist so herzzerreißend zu schnarchen, dass meine Nachbarinnen in ein lautes Gelächter ausbrachen und ich und andere konnten uns nicht zurückhalten mit zu lachen, so schliefen wir lachend ein. Der Schnarcher hat davon nichts mitbekommen, er hat durchgehalten.
Ja, im Restaurant, das muß ich noch sagen, habe ich diesmal mit einem französischen Paar kein Pilgermenü gegessen, sondern "Cocido", eine Art Schlachtschüssel aus 7 verschiedenen Fleischsorten, darunter auch Schweineohren. Als erstes bekommt man das Feisch zu essen, dann Gemüse und dann die Suppe, die aus dem allen gekocht worden ist. Es war viel, gut und nahrhaft.
Siegfried
PS: Vermute, dass ich das erste Mal in meinem Leben mit Wanzen Bekanntschaft machte, irgendwo die vergangenen Tage. Bin am ganzen, ganzen! Körper verstochen.
PPS: Heute hab ich grad ein Storchennest in Fuente Nuevas fotografiert, als ein Auto neben mir hielt. Der Mann wollte Bilder von mir machen während ich fotografiere, und er hat eine ganze Serie mit seiner großen Kamera aufgenommen.
Soweit zu meinem Aussehen!
Astorga (11. Oktober)
Hospital de Orbigo – über diese Brücke bin ich gerade gegangen und nun sitze ich in einer Bar zum Desayuno - mein 2. Frühstück - vor Chocolate, Weißbrot und Marmelade.
Ash(ley) meine neue Freundin hat mir mit der Flöte in der Früh gespielt.
Siegfried
San Martin del Camino (10. Oktober)
Den gestrigen Nachmittag und Abend in Leon hat unsere "Pilgerfamilie" gemeinsam verbracht. Wir waren in der Kathedrale, dann führte uns Alex in ein Cafe wo's den besten Chocolate con Churros gibt und nach einem kleinen Stadtrundgang setzten wir uns zur Einstimmung auf das Abendessen noch echt spanisch in eine Bar um einen Bacheran zu trinken.
So gestärkt gingen wir dann, wir waren so an die zwölf Leute in eine Tapas-Bar und Alex suchte eine Anzahl Tapas raus, und jeder konnte nehmen was er wollte. Da gab es Pilze, geröstete kleine Fische, die mir besonders schmeckten, weil sie so knusprig waren, Fleisch vom Schwein, Kutteln!, geröstete Kartoffeln und gegrillte Paprikaschoten.
Gut gestimmt und angeheitert vom Wein zogen wir in die Herberge, in der schon wieder alles dunkel war und aus den Schlafräumen uns die sanften Schnarchlaute begrüßten. Rascheln, im Dunklen ausziehen, Zähne putzen, in den Schlafsack kriechen: so sehr Du Dich auch bemühst, leise zu sein, etwas gibt immer ein Geräusch von sich: Die Folien im Rucksack beim Suchen, die Gestelle der Betten, wenn man ins Bett steigt oder sich umdreht, die Matratzen und schließlich der Reißverschluß des Schlafsacks. Aber schließlich sind diese Geräusche verebbt und das gleichmäßige Atmen und leise Schnarchen im Chor der Pilger wiegt auch mich langsam in den Schlaf.
Wie romantisch! Aber so ist es wirklich.
Der Weg zum nächsten, 24km entfernten Ziel, San Martin del Camino, verlief immer auf einem Pfad neben der Nationalstrasse, er war also, bis auf ein paar kurze Abschnitte, nicht besonders romantisch. Aber im Führer wird auch eine Strecke angeboten, der "Calzada de los Pelegrinos", der im Gegensatz zum "Camino real", so nennt sich der Weg neben der Straße, auf Umwegen zum Ziel führt. Ich bin mehr für die Realität und wähle natürlich den kürzeren Camino real.
In San Martin gehe ich gleich in die erste Herberge. Die Franzosen hatten gesagt, die sei besonders gut und sie gingen dort hin, aber schließlich ist keiner da. Sie sind in der nächsten Herberge im Ort, wie ich später von Austin erfuhr.
So hatte ich einen ruhigen Spätnachmittag, wusch Wäsche und legte mich in einen Liegestuhl mit einem Glas Rotwein. Am Abend stellte ich fest, dass wir nur drei Pilger in dieser Herberge sind, ein Franzose, eine Engländerin, die ein wenig spanisch kann und ich. Und wenn der Herbergsvater was zum Franzosen sagt, sagt die Engländerin das zu mir, ich das in französisch zum Franzosen und rückwärts geht's genauso. Wir haben einen netten Abend verbracht und dabei auch noch gut gegessen.
Siegfried