Frómista (4. Oktober)
Hallo all Ihr Lieben!
Ihr müßt Euch das so vorstellen: Ich sitz hier auf einem Steinbankerl in der Sonne vor dem Friedhof von Ravenga de Campos (heute, am 5. Oktober vormittags). Die Pilgernachzügler, die es tatsächlich fertig bringen, noch später los zu gehen als ich, ziehen, schnaufend, hinkend, rennend, die junge Brasilianerin mit ihrem Freund ein Kreuzzeichen machend, dabei ihre Hand küssend, vorbei.
Ich sitze im Anorak da mit kaltem Hintern. Hab schon fast meine ganze Winterbekleidung an, Unterhemd, zwei Trikots, Cashmere-Pulli und Anorak, hab zur Steigerung des Wärmegefühls nur noch ein Unterhemd und zwei Unterhosen. Die sonst kurz getragene Hose habe ich wieder um eine Beineinheit verlängert.
Vorgestern Castrojeriz war eine sehr schöne Stadt am Rande eines kegelartigen Berges, der mitten in der Meseta, wie einige andere auch, aufragt. Oben ist eine Burgruine. Die Herberge ist mitten in der zwangsläufig langgestreckten Stadt, neu und sehr geräumig. Sie wird von Argentiniern betreut und das eingenommene Geld wird für soziale Projekte in Indien und Südamerika verwendet. Es waren ein paar junge Leute, Spanier oder Argentinier, die als Missionare in Südamerika wirkten und die zugleich den Camino fördern wollten. Die zwei Initiatoren sind vor einigen Jahren bei einem Zugunglück ums Leben gekommen, sie sind hier offenbar sehr populär.
Da ich auch die Kirche ansehen wollte, besuchte ich zwangsläufig auch die Ausstellung. Große Wandteppiche – Arithmetic, Musica, Poesie usw. darstellend –, kirchliche, sehr wertvolle Kultgegenstände und Holzplastiken, auch sehr schöne alte Gemälde, die an die Malweise der Holländer (Breughel) erinnern.
Mein Erzengel Axel war derweilen auf den Berg zur Burgruine gegangen und er schwärmte von der schönen Aussicht auf die Landschaft, die ich den ganzen Tag bundert hatte.
Nach einem weiteren Tag Wanderung durch die Meseta sind wir dann gestern in Frómista angekommen. Ein kleines Städtchen mit drei wunderbaren Kirchen, die sowohl von außen wie von innen aufregend sind. Ich hab viel fotografiert und beschreibe jetzt nichts.
Abends waren wir in einem kleinen Restaurant essen, das kanadische Ehepaar, mit Michel hatte ich vorher an der Bar Wein – er Bier – getrunken, und Tapas gegessen. Dabei erfuhr ich, dass seine quirlige kleine, zierliche Frau Diplomatin war und unter anderem in Saudi-Arabien und Washington DC wirkte. Er ist ein wuchtiger großer Typ und entspricht eher dem Bild eines Amerikaners, wie wir ihn uns vorstellen. Er verriet mir auch, dass es ihm im Bett recht kalt wäre und er sich deshalb diese Nacht zu seiner Frau kuscheln wolle. Ich sah beide heute früh wieder. Sie lebte Gott sei Dank noch.
Jetzt bin ich also auf dem Weg nach Carrión de los Condes, und hab es auch wieder geschafft, der Letzte zu sein. Aber es sind nur noch 11km, knappe drei Stunden. Die Glocke schlägt 12!
Buon camino
Siegfried
Castrojeriz (3. Oktober)
Bin seit drei Uhr hier! Schööön! Bin geduscht, muß aber noch Wäsche waschen.
Siegfried
Ich lieg schon wieder im Bett, es ist noch nicht ganz 10.00h.
Mit Susanne und Alex war ich im Restaurant um das Pilgermenü zu genießen. Wir waren etwas später dran als die anderen und so sollten wir vor der Türe warten bis ein Tisch frei werden würde. Die Franzosen und Engländer, die an einem langen Tisch schon zu speisen begonnen hatten, boten uns die noch drei freien Plätze an. Der Wirt war dagegen, er kann uns nicht dazwischen bedienen, erst kämen die georderten Essen, dann kämen wir dran. Lex setzte sich für unser Verbleiben im Raum ein, die Franzosen zogen demonstrativ die Stühle vom Tisch. Heiße Wortgefechte – in spanisch –, bissige Blicke des Wirtes, der dazwischen immer wieder mit ein paar Tellern zwischen uns, wir standen ihm natürlich im engen Durchgang zwischen den Tischen im Weg, Alex versicherte uns immer wieder, wenn der Wirt nicht zustimmte, dürften wir uns nicht setzen: Schließlich durften wir. Die Franzosen boten uns vom Brot und Wein an, Alex sagte, das verstoße gegen die Regeln und wollte zunächst nichts, schließlich hatte auch er ein Glas Wein von den Franzosen, ich hatte natürlich auch mein Brot, Regeln hin oder her.
Ich war im Gegensatz zu Alex allerdings nicht ausgesprochen hungrig. Mein Frühstück mit selbstgemachtem Milchkaffee – Eigenentwicklung: Heiße Milch, Nescafé rein, mit Zucker oder Honig süßen, schmeckt wirklich gut, und so hab ich auch allerhand Gutes im Körper, dazu gab's natürlich Brot mit Köse, Wurst und Honig.
Viele andere, darunter auch Alex, sind schon vor acht in der Dunkelheit und Kälte losgerannt und haben erst im nächsten, ca 10km entfernten Ort etwas in der Bar getrunken oder gegessen, sie sind dann am Abend entsprechend ausgehungert. Ich konnte natürlich auch nicht an ein paar wunderschön vollen Brombeersträuchern vorbei gehen, aß mich da um die Mittagszeit voll und pflückte auch ein paar Handvoll in eine Tüte. Mit zwei Joghurt waren sie mein Nachmittagskuchen.
Hontanas – wo ich manche traf, die vor mir weggegangen sind, weil sie da vor der Bar saßen – liegt in einem Talkessel inmitten grüner Bäume. Nachdem vorher der Weg über eine flache, sehr große Hochebene führte, ringsum sah man nur abgeerntete Getreidefelder, dazwischen Steinhügel.
Ich stellte mir vor, die "Pilger", die zu viel Kraft hätten, türmten diese kleinen Hügel auf, wie sie's sonst mit den kleinen Steinen machen. Allerdings irritierte mich, dass die Hügel meist weit weg vom Camino lagen. Ich kam zu dem Schluß, und das dürfte wohl auch so sein, dass die Bauern die beim Pflügen freiwerdenden Steine aufsammeln und zusammentragen.
In Hontanas fragte ich – ein sonderbarer Pilger – eine mir bekannte Kanadierin, ob die Kirche offen sei, die Bar war ja unmittelbar vor der Kirche, sie schaute mich verständnislos an, ich vermute, sie hatte in der Eile des Rennpilgerns gar nicht gemerkt, dass sie vor einer Kirche stand. Aber die Kirche war offen.
Hornillos de Camino (2. Oktober)
Das hier ist ein ganz kleiner Ort, eine Strasse, eine Kirche, eine Herberge.
Burgos (1. Oktober)
Die ersten sind heute früh schon wieder um sieben Uhr losgezogen, da wars noch stockdunkel. Frühstück gabs weder in der Herberge noch im kleinen Örtchen. Die nächste Frühstücksmöglichkeit ist im 5km entfernten nächsten Ort.
Ich war so gegen 8.00 startbereit, die Sonne war noch nicht sichtbar, aber sie beleuchtete die Kirche beim Weggehen von hinten, denn der Weg führt nach Westen. Ich war allein unterwegs. Es ging wieder an niedrigen Fichten und Eichenwäldern vorbei, dazwischen Felder, einmal durch eine Kuhherde durch, die wiederkäuend mit ihren Kälbern auf der Weide und auf dem Weg stand und lag.
Nach einer Stunde einsamen Gehens ein Dorf: ..... Eine Bar und Alimentacion, da es die einzige zu sein scheint und auch so was wie Obst vor der Türe steht gehe ich hin und schaue. Von innen ertönt der Ruf: Rucksack draussen lassen! In welcher Sprache weiß ich nicht mehr. Der Besitzer des Etablissements war jedefalls Flam und sprach sehr gut deutsch und drinnen saß: Monika, die Südtirolerin, die ich in Honto kennen gelernt hatte. Ihr seinerzeitiger Begleiter ist schon weiter, sie hat Probleme mit den Fersen. Nach einem ausgiebigen Frühstück gehen wir gemeinsam weiter. Bei ihr geht's recht langsam, die Füße tun weh, sie wird wohl den Bus nach Burgos nehmen und dann einen Tag Pause machen.
Wieder über Berghöhen, mit kargem Bewuchs, einem Gipfelkreuz und agressiven Fliegen wie Stierkämpfern – Termino de Atapuerca ist der höchste Punkt, 1060m – geht's wieder runter, wieder weite Felder und nur leicht hügelige Landschaft.
Bald merkt man, dass man sich einer Großstadt nähert. Schließlich kommt der Punkt, wo der Camino zwei Varianten anbietet. Eine längere, aber schönere (vielleicht), eine kürzere, aber durchs Industriegebiet führende. Ich wähle die zweite, will wieder mal zwischen Verkehr, Lärm, Maschinenhallen und Einkaufszentren "meditieren".
Hab nur nicht drangedacht, dass es da keine stillen Ecken für alte Männer gibt, finde aber an einem noch nicht ganz fertigen Kreisverkehr ein bisschen Natur für meine Zwecke, von hinten seh ich sie, die Kreisverkehrler nicht – c'est la vie – und ich bin bereit für die Eroberung von Burgos.
Mein "Engel" Nicole hat mir telefonisch die Herberge genannt, gleich hinter der Kathedrale und ich laufe und laufe und frage 2x, richtig spanisch! Um ja nicht daran vorbei zu laufen.
Schließlich ein reich verziertes gotisches Haus, um sagen zu können wie es heißt, müßte ich meine Bilder ansehen und recherchieren, weil ich's mir nicht aufgeschrieben habe, aber ich sitz hier inzwischen aufm Bankerl am Fluß um 11.h am Morgen schon seit zwei Stunden und hab Karten geschrieben und kitzle das Gerät, dass es das Euch zusendet. Die Anderen sind schon über alle Berge!
Siegfried
Burgos am Morgen, 2. Oktober: Ich sitz immer noch aufm Bankerl und die Holzkanten drücken meinen abgemagerten Hintern und kalt geht's inzwischen auch durch, allerdings ist's nicht mehr so kalt wie in den letzten Tagen. Hab die gekürzte Hose an, Unterhemd, T-Shirt, leichten Cashmere-Pulli und Regenjacke gegen den Wind, kurz noch von gestern: Platz vor der Kathedrale erreicht – "Hallo Siegfried", begrüßt mich ein Engländer, der schon aufm Bankerl sitzt und weist mir den Weg zum Albergo, dann zwei Franzosen, ich fühle mich daheim.
Das Albergo ist ganz neu, von der Diözese und gleich hinter der Kathedrale. Abends gehen wir vier zum essen, auf meine Anregung hin mal echt spanisch, ich kann die Pilgermenüs nicht mehr sehen.
Wir essen gemeinsam 5 verschiedene Platten mit Tintenfisch, Pilzen, Fleisch, Gemüse und trinken Wein. Es war gut und schön, der letzte Abend mit Nicole und Susanne. Nicole muß heim, Susanne muß Pause machen, ihre Füße schmerzen. Ich werde Alessandro anvertraut und am nächsten Morgen, also heute, nach einem gemeinsamen Frühstück und einem rührenden Abschied sitze ich hier allein aufm Bankerl...
Siegfried
San Juan de Ortega (30. September)
Wir konnten im Albergo in Belorado auch frühstücken.
Im stockdunklen Zimmer ging das Anziehen und Reißverschlüsse auf und zu machen schon im Dunklen los. Die Türe war gut geschmiert und ging ganz leise auf, dafür quietschte das Schloß ganz fürchterlich wenn man die Klinke betätigte, die jeder automatisch runterdrückte, obwohl die Türe nur angelehnt war, weil sie etwas verzogen war. Auch ich betätigte natürlich die Klinke, nachdem ich im Stockdunklen zwischen Schuhen und Rucksäcken den schmalen Gang zwischen den Stockbetten entlang "geeilt" war. Verlaufen kann man sich da nicht, man muß nur aufpassen, dass man nicht aus Versehen ein Bein oder einen Arm erwischt wenn man die Richtung checkt.
Das wieder in ein Bett kriechen, das zu niedrig zum Sitzen ist, habe ich in der Zwischenzeit raus, allerdings stoße ich manchmal mit dem Kopf oben an, oder renne beim Umdrehen mit dem Ellenbogen an die obere Matratze. Das freut den oberen Schläfer ungemein, meist ist es jetzt Nicole, denn dann hat er mehr von der Nacht.
Zum Frühstück kam ich gestern als letzter, wenn so viel Leute eng aufeinander ihre Rucksäcke packen, gehe ich lieber zum Meditieren ins Klo. Frühstücken tu ich dagegen ausgiebig, auch hier mit Cafe con leche - Milchkaffee - Baguettes und Marmelade.
Unsere Hospitallieros Ines und Peter waren begeistert von uns. Noch nie hätten sie einen so schönen Abend erlebt und noch nie seien die Zimmer so sauber hinterlassen worden. Ich wurde als letzter herzlich verabschiedet und ging um 1/2 9 Uhr aus dem Haus, besuchte nochmals die angrenzende Kirche zu einem kurzen Morgengebet und dachte gleich mal fest an Euch alle.
