Leon (9. Oktober)
In der Morgesonne, schon wieder unterwegs, kommen wir am Hospital San Marcos vorbei. Ich bleib noch ein bißchen, schreib Karten und genieße die Morgensonne in dieser Umgebung.
Gestern Abend hat unsere große Familie aus Franzosen, Australiern, Kanadiern, einem Koreaner aus USA und einer Südafrikanerin von meinem 3. Schutzengel Alessandro Abschied gefeiert, mit einem großen Tapasessen. Heute noch ein gemeinsames Desayuno mit Chocolate con Churros und schon sind alle wieder auf dem Weg!
Siegfried
Mansilla de las Mulas (8. Oktober)
Anm. d. Red.: Noch kein Bericht verfügbar.
Terradillos de los Templarios (7. Oktober)
Jetzt muß ich schon wieder so viel nachdenken was in den letzten beiden Tagen passiert ist.
Die Landschaft ist immer gleich geblieben, es ist flach und man sieht sehr weit. In der Ferne, im Norden sehe ich Berge, mir scheinen sie weiß, also mit Schnee bedeckt zu sein. Manchmal bin ich mir allerdings nicht sicher ob ich nicht Wolken als Berge ansehe. Eigentlich ist das auch gleich. Wichtig ist ja nur, dass es sehr schön ist und dass diese Wolken oder Berge Teil der Landschaft sind.
Ich bleib immer wieder stehen und drehe mich um meine eigene Achse. In der Morgensonne ist die Ebene wie verzaubert. Disteln glitzern, die Blätter der den Weg begleitenden jungen Platanen, das mein ich jedenfalls, denn sie haben Blätter wie Ahorn, aber die Stämme sehen so gefleckt aus wie bei den Platanen.
Auch eine Art Akazien oder Eschen begleitet zeitweise den Weg. Allessandro hat mir erlärt, die Regierung pflanze diese Bäume um Schatten für die Pellegrinos zu schaffen. Ich brauche allerdings keinen Schatten, ich bin froh, wenn mich ein Sonnenstrahl trifft.
Jeden Morgen ist es eiskalt und ich ziehe so ziemlich alles an, was ich habe. Und wenn die Sonne rauskommt, wird ein Teil nach dem anderen wieder ausgezogen.
Die Gefolgschaft von Alex – Allessandro – er ist der Meinung, Alex wäre für uns Nichtspanier leichter zu merken – hat sich vergrößert. Das kanadische Ehepaar und jetzt auch ein paar Australierinnen. Er ist ja auch ein feuriger – englisch sprechender! – Spanier. Trotzdem kümmert er sich wie ein Sohn um mich, und ich weiß nicht warum!
Gestern sind wir also in Carrión de los Condes gewesen. Ich habe die letzte Wegstrecke mit einer irischen Geschichtslehrerin eifrig plaudernd zurückgelegt. Sie macht sehr kleine Schritte, erhöht aber die Frequenz, wenn nötig so, dass sie mit einem begleitenden Mann, der gewohnt ist mit Riesenschritten durchs Leben zu schreiten, das bin in diesem Abschnitt unserer beiden Leben ICH, Schritt halten kann. Ich genieße das. Ich gehe langsam und sie trippelt neben mir.
Sonst bin ich der Trippler. Susanne holt groß aus und schreitet wie man sich das von einer Dänin gemeinhin – ich im Besonderen – so vorstellt, mit weit ausholenden Schritten, trotzdem weiblich elegant wie ein Reh, neben mir her.
Ich, gar nicht der SIEGFRIED von dem der Brasilianer gestern sprach, den er aus den alten Sagen kennt, sein Mädchen lag gestern über mir – im oberen Bett, deshalb passierte er mehrmals bei mir vorbei, und so kamen wir uns näher.
Ihr glaubt nicht, in welchen Tonvarianten sich brasilianische oder spanische Mädchen äußern können. Heute Abend wars ruhig, aber manchmal, die letzten Tage, wars so, als ginge man an einem Sonnenblumenfeld vorbei, in dem die Vögel Diner machen! Nur dass da nur ein Vogel war! Da möchte ein 70-jähriger nochmal 20 sein!
Heute hat doch tatsächlich irgendein Raubvogel vor meinen Augen ein kleines Vogerl verfolgt. Fast hätt' er es erwischt und ich sah schon die Federn fliegen. Da machte das Vogerl eine geschickte Wendung und der große Vogel flog ein Stück weiter bevor er die Kurve kriegte. Er nahm die Verfolgung wieder auf, aber das Vogerl hatte wieder einen großen Vorsprung. Der Raubvogel gab's auf und drehte ab.
Die Herberge in Terradillos de los Templarios wird privat geführt. Ich liege in einem Zimmer mit fünf Betten, es sind allerdings nur noch zwei Frauen mit im Raum. Ich komme mir wie im Hotel vor. Die Duschen spenden viel Wasser und das ist auch noch heiß! Fast wie zuhause.
In den letzten Tagen konnte ich das heiße und kalte Wasser nur an der Farbe der jeweiligen Hähne erkennen.
Hier gibt's auch gute Waschgelegenheit und viel Platz zum Aufhängen der Wäsche, Sonne und Wind, bis zum Abend ist die Wäsche trocken. Am nächsten Tag bin ich froh, gewaschen zu haben.
Siegfried
Carrión de los Condes (6. Oktober)
Hallo, lieg schon wieder im Bett.
Hab heute unterwegs Emails geschrieben weil ich eine gute Verbindung hatte, dann hab ich auf dem Weg Penelope (oder so ähnlich) kennengelernt, eine irische Geschichtslehrerin, und bin mit ihr eifrig englisch parlierend nach Carrión de los Condes gelaufen, dann hab ich ein kleines Streitgespräch mit einem Deutschen gehabt, der sich bei der Anmeldung vor meine neue Freundin gedrängt hatte, dann kamen Jean und Francis und die Sprachverwirrung war perfekt.
Carrión de los Condes ist ein kleines hübsches und sauberes Städtchen. Die Albergo wird von Clarissinnen geführt und liegt wieder mitten in der Stadt und neben der Kirche. Ich geh ein bisschen spazieren, schaue auch in eine Kirche rein und merke, dass sie ein Museum ist. 1€ Eintritt. Es sind sakrale Gegenstände, Priestergewänder, alte Messbücher und viele Skulpturen aus der Zeit des Mittelalters bis zum 19. Jahrhundert ausgestellt. Der Kirchenraum selbst, romanisch-gotisch, ist nur noch fragmentarisch erhalten, es stehen die Wände und die Säulen bis zu den Gewölbeansätzen, darüber bildet eine moderne Stahlkonstruktion das Dach. Die Westfassade ist in eine Häuserfront eingebunden und reich gegliedert, der Portalbogen mit vielen gut erhaltenen Figuren geschmückt.
Ich setze mich in die Sonne an einen Brunnenrand, da winken mir in der Ferne zwei bekannte Gestalten zu, ein englisch sprechender Franzose und ein Koreaner, sie laden mich zu einem Bier ein. Da kann ich doch nicht "nein" sagen.
Der Koreaner ist ein junger Mann von 18 Jahren, groß und stämmig, ich hatte mir Koreaner immer eher klein und drahtig vorgestellt. Ich hab offenbar noch viel zu lernen.
Er hat einen Familiennamen wie Ho, und einen Vornamen wie Hoyien, aber so genau hab ich das nicht verstanden und vor allem nun auch schon wieder vergessen. Er lebt in Kalifornien und will nach Santiago noch ein wenig Europa ansehen. Natürlich habe ich ihn eingeladen und er wird sicher dieses Jahr noch kommen! Dann lernt Ihr ihn kennen.
Die Clarissinnen haben ein gemeinsames Abendessen vorgeschlagen, sie bieten die erste Platte an, die zweite Platte soll aus Speisen, die die Pilger auf den Tisch stellen, bestehen. Ich habe Hunger, seit dem Morgen kaum was gegessen. Ich gehe mit Alex und einigen anderen ins Restaurant.
Heute essen wir beide kein Pilgermenü, wir stellen uns ein eigenes Menü aus verschiedenen Tapas zusammen:
Kartoffeln, geröstet
Fleischknödelchen
Oliven mit Fisch
Tintenfisch
Auberginen
und nochwas
Die portugiesischen Bezeichnungen weiß ich natürlich nicht mehr.
Wir genossen das natürlich sehr.
Von Susanne, die bei den Schwestern gegessen hatte, erfuhren wir, dass es sehr schön war, eine Schwester habe auch Guitarre gespielt und gemeinsam wurde gesungen.
Wir waren am Abend auch in der Messe und anschließend bekamen wir wieder den Pilgersegen. Dazu gingen alle Pilger nach vorne und in jeder Sprache wurde ein Gebet vorgelesen, ich las das deutsche Gebet.
Euer Siegfried
Frómista (4. Oktober)
Hallo all Ihr Lieben!
Ihr müßt Euch das so vorstellen: Ich sitz hier auf einem Steinbankerl in der Sonne vor dem Friedhof von Ravenga de Campos (heute, am 5. Oktober vormittags). Die Pilgernachzügler, die es tatsächlich fertig bringen, noch später los zu gehen als ich, ziehen, schnaufend, hinkend, rennend, die junge Brasilianerin mit ihrem Freund ein Kreuzzeichen machend, dabei ihre Hand küssend, vorbei.
Ich sitze im Anorak da mit kaltem Hintern. Hab schon fast meine ganze Winterbekleidung an, Unterhemd, zwei Trikots, Cashmere-Pulli und Anorak, hab zur Steigerung des Wärmegefühls nur noch ein Unterhemd und zwei Unterhosen. Die sonst kurz getragene Hose habe ich wieder um eine Beineinheit verlängert.
Vorgestern Castrojeriz war eine sehr schöne Stadt am Rande eines kegelartigen Berges, der mitten in der Meseta, wie einige andere auch, aufragt. Oben ist eine Burgruine. Die Herberge ist mitten in der zwangsläufig langgestreckten Stadt, neu und sehr geräumig. Sie wird von Argentiniern betreut und das eingenommene Geld wird für soziale Projekte in Indien und Südamerika verwendet. Es waren ein paar junge Leute, Spanier oder Argentinier, die als Missionare in Südamerika wirkten und die zugleich den Camino fördern wollten. Die zwei Initiatoren sind vor einigen Jahren bei einem Zugunglück ums Leben gekommen, sie sind hier offenbar sehr populär.
Da ich auch die Kirche ansehen wollte, besuchte ich zwangsläufig auch die Ausstellung. Große Wandteppiche – Arithmetic, Musica, Poesie usw. darstellend –, kirchliche, sehr wertvolle Kultgegenstände und Holzplastiken, auch sehr schöne alte Gemälde, die an die Malweise der Holländer (Breughel) erinnern.
Mein Erzengel Axel war derweilen auf den Berg zur Burgruine gegangen und er schwärmte von der schönen Aussicht auf die Landschaft, die ich den ganzen Tag bundert hatte.
Nach einem weiteren Tag Wanderung durch die Meseta sind wir dann gestern in Frómista angekommen. Ein kleines Städtchen mit drei wunderbaren Kirchen, die sowohl von außen wie von innen aufregend sind. Ich hab viel fotografiert und beschreibe jetzt nichts.
Abends waren wir in einem kleinen Restaurant essen, das kanadische Ehepaar, mit Michel hatte ich vorher an der Bar Wein – er Bier – getrunken, und Tapas gegessen. Dabei erfuhr ich, dass seine quirlige kleine, zierliche Frau Diplomatin war und unter anderem in Saudi-Arabien und Washington DC wirkte. Er ist ein wuchtiger großer Typ und entspricht eher dem Bild eines Amerikaners, wie wir ihn uns vorstellen. Er verriet mir auch, dass es ihm im Bett recht kalt wäre und er sich deshalb diese Nacht zu seiner Frau kuscheln wolle. Ich sah beide heute früh wieder. Sie lebte Gott sei Dank noch.
Jetzt bin ich also auf dem Weg nach Carrión de los Condes, und hab es auch wieder geschafft, der Letzte zu sein. Aber es sind nur noch 11km, knappe drei Stunden. Die Glocke schlägt 12!
Buon camino
Siegfried