Corbigny (9. August)
Anm. d. Red.: Noch keine Beschreibung verfügbar.
Neuffontaines (8. August)
Bin gerade in die Chambre in Neuffontaines eingezogen! Romantisch! Geh jetzt unter die Dusche. Sollen noch 2 Pilger und 2 Touristen da sein.
Viele Grüsse, Siegfried
Bekanntschaften in Vézélay (7. August)
Hallo Ihr alle,
Vézélay ist ein kleiner Ort, den man schnell durchlaufen hat, die Hauptstrasse runter und wieder rauf, wobei diese sehr eng und steil ist, und man hat alles gesehen. Ein kleiner Supermarkt, ein Bäcker und relativ viele Künstler, die Bilder und Plastiken anbieten, auch Wein und Honig werden von einem Winzer und Imker angeboten. Soger eine echte Post ist da, und die nette Dame am Schalter hat mir meine Plastiktüte mit all dem Papierzeug, Karten usw. das ich nicht mehr brauche und deshalb heimschicke, in das passende Paket gepackt. Einen Friseur, der meinen zünftigen Pilgerkopf mal wieder zivilisieren hätte können, sah ich aber nicht. Ich seh mich schon mit einem 5cm langen Bart bei der Monika!
Das Zentrum, der Mittelpunkt des Dorfes, allerdings nicht in der Mitte, sondern oben am Ende der Strasse des sich an einer Seite des Berges hochziehenden Ortes gelegen, ist die Basilika. Und die wird dann entsprechend oft besucht. Sie wird mir sicher auch lange, nicht nur als Bau- und Kunstwerk sondern vor allem als ein Raum in dem ich viel Andacht, Besinnung und gelebten Glauben erleben durfte, in Erinnerung bleiben.
Vézélay wird mir aber auch deshalb in Erinnerung bleiben, weil ich dort mit vielen Menschen in kurzer Zeit recht innigen Kontakt bekam.
Aber zunächst noch was Geschichtliches, damit ihr merkt, dass auch ich dazu lerne und ihr dann aber auch was davon haben könnt.
Bernhard von Clairvaux, Ihr erinnert Euch, hat nicht in Clairvaux gepredigt, sondern 1146 in Vézélay seine berühmte Predigt zum 2. Kreuzzug gehalten. 1946 sind dann zum 800. Jahrestag dieses Aufrufes zum Kreuzzug, 14 große Holzkreuze aus den verschiedenen Provinzen Frankreichs nach Vézélay getragen worden (diese stehen heute als die 14 Kreuzwegstationen an den Kirchenwänden). Deutsche Kriegsgefangene hatten gebeten, auch ein Kreuz mittragen zu dürfen und zimmerten in aller Eile ein fünfzehntes, das heute in einer kleinen Seitenkapelle bei der Statue Bernhards von Clairvaux steht.
Philippe, den ich auf dem Weg von Nitry nach Vézélay kennengelernt hatte, hat mir inzwischen Infomationen über den "camino del norte" geschickt.
Albert, den Holländer mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg, kennt Ihr auch. Ihn habe ich noch ein paar Mal in Vézélay getroffen und wir haben uns gut verstanden. Auch wir wollen mit Emails in Kontakt bleiben.
Marian war in der Herberge und saß auf ihrem Bett als ich eintraf. Wir kamen ins Gespräch und ich hatte wieder eine Gesprächspartnerin, mit der ich deutsch sprechen konnte. Sie ist auch Holländerin und ist einige Wochen allein zu Fuß nach Vézélay gegangen. Sie wurde am nächsten Tag von ihrem Mann, der nicht so gerne zu Fuß geht, mit dem Caravan abgeholt und die beiden zusammen machen dann noch ein paar Wochen Urlaub. Marian hat einen Sohn, der auch den Jakobsweg gegangen ist. Er hat dabei seine Frau, eine Deutsche gefunden und die beiden erwarten jetzt ihr "Pilgerbaby".
David kennt Ihr auch schon ein bißchen. Er ist Steinmetz, etwa so alt wie meine Töchter, war schon zu Fuß in Santiago und macht jedes Jahr einen anderen Abschnitt der verschiedenen Wege. Dieses Jahr eben so weit er in vier Wochen kommt den Weg von Vézélay Richtung Roncevalles. Er fotographiert dabei sehr viele Kirchen und die Steindekore aber auch die Kreuze an den Wegen.
Greg saß im Aufenthaltsraum, als ich mit Milch, Croissant, Baguette, Pâté campagnard, Käse, Wein und allem was man so zum Essen braucht, kam, um mir – sozusagen als Nachmittagskaffee – einen Kakao zu machen, und kaute an einem Croissant. Da er nichts zu trinken hatte und im Gegensatz zu David sehr schmächtig, um nicht zu sagen dürr, aussah, bot ich ihm an mitzutrinken. Er nahm erfreut an und wir setzten uns zusammen, um bei einer heißen Schokolade englisch-französisch zu plaudern.
Er kommt aus Südengland und spricht halt ganz anders Englisch als ich, irgendwie hört sich das ziemlich hochgestochen an und nicht so schön bayrisch wie mein Englisch. Er hat eine Zwillingsschwester und wir einigten uns darauf, dass sie gleich alt ist wie er: 18 Jahre. Er will Schauspieler werden und hat seine Ausbildung schon fest geplant. Nächstes Jahr wird er auf die Schauspielschule in London gehen, etliche weitere Schulen bzw. Studios wo er Zusagen hat, hat er mir genannt. Und er meint, in etwa fünf bis sieben Jahren würden wir sicher was von und mit ihm sehen. Natürlich habe ich ihn nach München eingeladen, damit er Geiselgasteig kennen lernt. Das ist in London offenbar nicht sonderlich bekannt. Er wohnt für ein Vierteljahr in Vézélay, um sich von seiner Familie abzunabeln. Er meint, früher sei er dicker gewesen. Hier arbeitet er ein wenig, um Geld zu verdienen, schult seine Sprache in einem Kurs und lernt, selbständig zu werden.
Eine junge Französin, an deren Tisch im Restaurant ich mich setzte obwohl noch fast alle anderen Tische unbesetzt waren. Sie hatte mich als ich reinkam so nett angelächelt, dass es mir sonderbar vorgekommen wäre mich nicht zu ihr zu setzen. Sie hätte vielleicht gedacht, hat der was gegen mich. Ich kam natürch gleich mit meiner Standardfrage: Sprechen Sie deutsch? Es hätte ja auch eine Holländerin sein können. War aber eine Französin. Und dann saßen wir da, schweigsam, sie Pizza essend, ich Löcher in die Luft starrend bis die Kellnerin kam und sie fragte "tout bien?" – Alles in Ordnung? so ungefähr. Es hätte ja sein können, dass ich alter Esel hätte anbandeln wollen. Ich durfte am Tisch sitzen bleiben und schließlich auch schweigend meine Pizza essen und meinen Wein trinken.
Da kam Marian vorbei, wir sassen ja auf der Terrasse an der Strasse, vollbepackt mit ihrer Wanderausrüstung, sie ging zum Campingplatz runter, wo ihr Mann in einigen Stunden mit dem Caravan eintreffen wollte. Wir unterhielten uns eine Weile, dann zog sie weiter.
Nun wurde plötzlich auch die Französin gesprächig und wir unterhielten uns, soweit das mit meinen Sprachkenntnissen möglich ist, über ihre Reiseziele als Touristin und meins als Pilger. So gut unterhielten wir uns, dass sie sogar noch einen Café bestellte, als sie schon bezahlt hatte. Und am nächsten Tag in der Basilika sprach sie mich an und gab mir noch ein paar Prospekte über ihre Reiseziele.
Corinna und ihren Mann sah ich das erste Mal beim Gottesdienst in der Basilika um 8.00h früh von hinten. Sie hatte Shorts an und braune Beine. Da wußte ich natürlich noch nicht wer das war. In der Mitte des Gottesdienstes stand sie auf und verschwand seitwärts im Seitenschiff hinter den Säulen. Ich dachte, wieder eine, der der Gottesdienst zu lang wurde. Aber nein, sie hatte nun lange Hosen an. Und am Ende des Gottesdienst empfing sie mit David zusammen den Pilgersegen.
Ich wünschte David und Corinna "bon courage" und dachte, ich würde sie nicht wiedersehen.
Dann ging ich in die Herberge frühstückte ein letztes Mal in Vézélay, packte meinen Rucksack und machte nochmals eine große besinnliche Runde durch die Basilika, bevor ich, voraussichtlich das letzte Mal in meinem Leben, die Dorfstraße in Vézélay hinunterging, um meinen Weg nach Westen fort zu setzen.
Auch bei diesem Abschied habe ich an Euch gedacht!
Euer Siegfried
Vézélay (7. August)
Um diese Email zu schreiben sitze ich jetzt, um 10 Uhr in der Basilika Ste Marie-Madeleine.
Als ich vorgestern um 7 Uhr abends hier verschwitzt, müde, aber sehr glücklich angekommen war, war mein erster Weg, ohne dass ich vorher etwas anderes vom Ort gesehen hätte, in die Basilika gewesen. Das war eigentlich auch ganz normal, weil der Fußweg, der am Ende steil von Asquins hier heraufführt, direkt an der Nordseite der Kirche endet.
Glockengeläut, es war 7 Uhr abends, Gesang aus der Kirche.
Ich komme erst in einen großen, quadratischen, sehr hoch wirkenden Vorraum, mit einem mittleren höheren Gewölbe, gestützt von vier Säulen und zwei niedrigeren seitlichen Gewölben.
Später hat mir Albert erzählt, dass er erlebt hat, wie in diesem Vorraum das Osterfeuer entzündet wurde.
Zwei riesige Holztüren zeigen im Vorraum wohin der Weg zur Kirche geht. Sie sind aber verschlossen. In die Kirche kommt man durch eine der beiden kleineren Türen, die in eines der beiden Seitenschiffe führt.
Das Raum ist lang, relativ nieder und durch die Stützen und Gewölbe reich gegliedert. Aber alles einfarbig in hellem, warmtönigem Naturstein.
Ich gehe in das Mittelschiff, aus dem der Gesang kommt.
Ein hoher Raum mit Gewölbe.
Die Apsis genauso hoch wie das Kirchenschiff. Säulen führen herum, in der Mitte, zwischen zwei Säulen eine lebensgroße Muttergottesfigur auch in hellem Naturstein.
In der Apsis, beidseits vor dem schlichten warmweißen Altar, etwa 20 Gestalten, in weiße lange Gewänder gekleidet, mit dem Rücken zu den Gläubigen, kniend und sitzend auf niedrigen Schemeln, die sie beim Aufstehen wegnehmen und seitlich hinstellen.
Sie singen Psalmen, in einfachen Tonfolgen, ähnlich gregorianischer Gesänge, nur kommen mir diese melodischer vor. Männer- und Frauenstimmen, manchmal einstimmig, manchmal mehrstimmig. Die Psalmen werden angesagt, Büchlein liegen aus, die Gläubigen können im Wechselgesang mitsingen.
Die Gestalten stehen sehr ruhig, es gibt fast keine Bewegung, nur ab und zu tritt ein Mönch oder eine Nonne ans Pult, jetzt das Gesicht zu den Gläubigen gewandt, um etwas vorzulesen.
Es sind etwa 100 Leute im vorderen Teil der Basilika, die andächtig, auf Stühlen sitzend oder stehend mitfeiern, nur wenige Leute laufen herum.
Alle Bewegungen sind sehr ruhig, ja feierlich.
Zur Weihe der Speisen wird der Kelch mit dem Wein und die Schale mit dem Brot von der Rückseite der Kirche geholt, zwei Gläubige, eine Frau und ein Mann, werden von einer Schwester aufgefordert, Kelch und Schale zu tragen, und sie kommen dann, feierlich, ein Mönch mit Rauchfass, die Schwester und die beiden von rückwärts durch das Kirchenschiff zum Altar und geben beides dem lächelnden jungen Priester.
Die hl. Kommunion ist in zwei Gestalten, d.h. Brot und Wein werden gereicht.
Von Philippe gibt's übrigens auch noch eine schöne, überaus schöne Geschichte! Und heute hab ich auch noch Greg, einen 18-jährigen Egländer kennen gelernt!
Siegfried
Vézélay (6. August)
Wie ich gerade beim nochmals ansehen meiner gestrigen Email gesehen habe, schreibe ich dort unvermittelt von einem Burgunder. Das kommt daher, dass ich die Email am Tisch im Restaurant geschrieben habe, und wie das Essen kam, ein Foto davon gemacht habe. Und dann habe ich beim Weiterschreiben einfach auf das Foto bezug genommen.
Ich war gestern abend ganz schön kaputt, ich war ja wieder fast 30km gelaufen, und da ich erst um sieben angekommen war, dann auch noch gleich eine Zeit bei der feierlichen Messe in der Kirche war, war es fast acht, als ich ins Restaurant kam.
Die Holländerin im Schlafsaal, mit der ich gleich ein paar Worte gewechselt hatte, meinte zwar, ob ich nicht erst duschen wolle. Ich lehnte das ab mit der Begründung, dass ich dann möglicherweise nichts mehr zum Essen bekäme. In Frankreich herrschen nämlich strenge Sitten.
Das Diner wird fast überall wo ich bis jetzt war, zwischen 7.00 und 8.30 Uhr serviert, und ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie ein Ehepaar in Clairvaux um 1/2 9 hungrig weiter geschickt worden ist. Die Restaurants leeren sich anschließend auch wieder ziemlich schnell. Man kann auch nicht schon eine Stunde vorher kommen, sich hinsetzten und einfach was trinken, nein, dazu sind die Bars da.
Also ich war da im Restaurant ganz malerisch und hab sicher einen gewissen Duft von Natur und Freiheit verströmt, aber wir saßen ja im Freien, und wie mir gerade einfällt, passten die Flasche Wein und die große Flasche Wasser ganz gut zu meinem Erscheinungsbild.
Vom Restaurant aus gings vielleicht 5 bis 10 Minuten steil bergauf. Dann nochmals 2 Stockwerke über eine Wendeltreppe bis zu meinem Bett. Die Holländerin schlief schon.
Also ohne Licht Waschzeug und Schlafanzug raussuchen, Bett zurecht machen, Inlett auflegen. Duschen, Schlafen. (Auf die Idee, die Stirnlampe zu nehmen, bin ich mit meinem Suri im Kopf nicht gekommen.)
Das nächtliche Aufstehen im Finstern, das vorsichtige Übersteigen zweier Balken die quer über den Fußboden laufen, das Anrempeln des Tisches, das Suchen der Tür, das vorsichtige Aufmachen der Tür, will ich jetzt, obwohl ich darüber eine eigene Geschichte schreiben könnte, nicht näher schildern. Die Tür quietschte jedenfalls im richtigen Augenblick und völlig unerwartet fürchterlich laut!
Gute Nacht!
Siegfried