12
August
2008

Die Wanderung von Nitry nach Vézélay (5. August)

Geschrieben von Siegfried | Kommentare: 0

Hallo mes chèrs,

es ist zwar erst vorgestern gewesen (Anm. d. Red.: Beitrag geschrieben am 7. August), aber mir kommt's wie mehrere Wochen vor.

Nach einem am Nach regnerischen Tag hatte ich mir die Sachen in Nitry im Hotelzimmer ausgelegt, weil alles feucht war, was irgendwie nicht nur mit dem Regen, sondern auch mit der Luft in Berührung gekommen war. Gut war aber dass Schlafsack und Matte in Tonnerre in der Sonne gut trocken geworden und gut eingepackt waren.
Im Hotelzimmer trocknete über Nacht nichts, ich hatte eher den Eindruck dass alles noch feuchter geworden war, es war schwül, dunstig, die Luftfeuchtigkeit schätzte ich am Morgen fast 100%. Aber die Wolken waren aufgerissen und ab und zu sah und fühlte ich beim Weitergehen einen Sonnenstrahl.

Ich mußte noch auf der vielbefahrenen Route Nationale (etwa wie unsere Bundesstraße) einige Kilometer überstehen, bevor ich wieder auf eine "D"-Strasse kommen konnte (Landstraße). Auf einer dieser "D"-Strassen, ich war nach einer kurzen Pause auf einem Bankerl wieder frisch am Weitermarschieren, ich hatte ja noch eine weite Strecke vor mir, diesen Tag mußte ich an die 30 km schaffen, fuhr plötzlich etwa 50 m vor mir ein entgegenkommendes dunkelblaues Auto, Typ Geländewagen, auf den Grünstreifen und hielt an. Ein blau gewandeter Mann stieg aus. Polizei, dachte ich mir und überlegte, was der wohl wollen könne. Beim Näherkommen sah ich aber, dass er auf seinem Trikot die Jakobsmuschel in gelb hatte. Das ist ein Kundendienst, dachte ich mir, kaum kommst du in die Nähe von Vézélay, schon ist der ADAJ, der Allgemeine Dienst aller Jakobuspilger da, und nimmt Dich unter seine Fittiche! Der Mann, sportlich, gesprächig, erkundigte sich nach meiner Route, nach meinem Ziel und gab mir ausgiebig Ratschläge zu meinem Weg und auch zum Weg in Spanien. Dann erzählte er mir, dass er ein passionierter Jakobspilger sei und den Weg schon öfters gemacht habe. Das Trikot habe er zufällig an. Er sei auf dem Weg von Paris, wo er seine Tochter besucht habe, nach Lyon, wo er wohne. Immer wenn er in der Nähe von Vézélay vorbeikomme, mache er einen Abstecher dorthin. Dann gab er mir noch Wasser aus seiner Flasche zum Auffüllen meiner schon fast leeren Flasche und eine Portion Hoomos, eine algerische Käsespezialität, die man auch unterwegs mit dem Finger essen könne und in Öl eingelegte Auberginen. Nach Adressenaustausch, er wollte mir noch Unterlagen über den Camino Nord in Spanien zukommen lassen, und einem Bruderkuß fuhr er los.
Kaum war ich ein paar Meter gelaufen, kam er von hinten, überholte und fuhr wieder links vor mir auf den Seitenstreifen, hielt, öffnete die Hecktür und fragte ob ich Lust auf ein Glas Wein hätte. Ich hatte. Er hatte einen kleinen 5 Liter-Kanister dabei und wunderschön kühler Rosé floß gleich aus einer Tasse in meinen ausgetrockneten Mund, befeuchtete dabei meine trockenen Lippen und zauberte das bekannte angenehme Krippeln in meinen Körper.

Er war mir natürch schon vorher symphatisch gewesen, weil er einer der wenigen Leute war, die jemals gesagt haben, ich spräche gut französisch. Und sowas tut einer armen, in der Jugend von Französisch- und Englischlehrern geplagten Seele selbst im Alter noch gut. Aber es gibt auch Leute, bei denen verstehe ich Null! Und dann stelle ich mir einen französischen Deutschlehrer vor, der sich mit einem waschechten Sachsen oder Bayern unterhalten muß. Und diese Vorstellung erleichtert mein hiesiges Leben ungemein.
Mit Philippe hatte ich also offenbar einen Partner, der die Sprache sprach, die ich gelernt hatte. Wie wir so weinfröhlich zusammenstanden, kam ein Radler vorbei, hinten und vorne Satteltaschen, Hut, alles was zu einem zünftigen Pilger gehört. Philippe rief und winkte ihn herbei und nun waren wir zu dritt beim Wein.

Albert, der Radfahrer, ist aus Holland und ist auch Richtung Santiago unterwegs. Nach nochmal einer halben Stunde Unterhaltung trennten wir uns mit dem Versprechen, in Kontakt zu bleiben. Ja – Albert war auch noch praktisch für mich, er sprach fließend deutsch und französisch. Und so verfiel ich wieder in meine alte Letargie und lies Albert alles übersetzen.

Hurra Ihr Lieben!

Punkt 7 Uhr abends habe ich den steilen Berg, auf dem Vezelay liegt erklommen.

Die Uhr hat geschlagen und es wurde geläutet. Einen feierlicheren Einzug in das Städtchen hätte ich mir nicht vorstellen können. Da ich den steinigen Fußweg genommen hatte, war ich gleich bei der Kathedrale Ste Madelaine und ich bin reingegangen.
Im großen Vorraum hörte ich schon die schönen Gesänge, es wurde eine feierliche Messe gefeiert.
Mir ist bewußt, Schubert Hansi möge mir verzeihen, dass ich mich wiederholt habe, aber so war's.

Mindestens ein Priester, 4 Diakone, sechs Schwestern in Weiss, sechs Brüder in Weiss, wunderbare Gesänge, etwa 50 Leute die die Messe mitfeiern und ein verschwitzter Wanderer, dem das Wasser runterläuft...

Nach der ganzen Flasche Burgunder aus Vézélay und einem Liter Wasser bin ich natürlich schwer beladen in die Herberge zurück gewankt. Das Dorf Vézélay zieht sich am Berg hoch, die Kathedrale Ste Marie-Madeleine steht sozusagen auf der Spitze des Berges und des Dorfes. Die Herberge ist ganz nahe bei der Kathedrale und gehört zu den Franziskanern.

Als ich am Abend um sieben in Vézélay ankam, war es dann wieder Albert, der mich nach der Kirche gleich unter seine Fittiche nahm. Und dann fühlt man sich auch gleich ein bisschen mehr daheim.

Erholungsbedürftig aber glücklich:
Siegfried

12
August
2008

Bei Villiers-le-bois (2. August), Tonnere (3. August), Nitry (4. August)

Geschrieben von Siegfried | Kommentare: 1

Hallo, Ihr seht, ich komme schon wieder mit dem Schreiben nicht nach!

Mal sind es die Umstände, d.h. ich bin mit Einkaufen, Stadt Anschauen, Waschen, feuchte Sachen zum Trocknen Auslegen beschäftigt, mal bin ich zu müde um mich überhaupt noch zu rühren, aber das ist eher selten.

Aber jetzt bin ich wieder da!!!

Ich sitz hier in einem Hotel nahe der Autobahnauffahrt, deshalb ist es überhaupt da. Mein eintägiger Freund in Tonnerre, Stephane, hatte mir gesagt, soweit ich es verstehen konnte, dass in Nitry keine Probleme mit dem Übernachten bestünden. Beim ersten Hotel, gleich hinter der Kirche war ich allerdings abgewiesen worden, alles complet! Aber hier geht's mir gut und deshalb schreibe ich jetzt, nachdem ich einen Salat mit Wurstscheibchen und gerösteten Brotwürfeln, eine Andouillette (jetzt habe ich auch mitgekriegt was eine Andouillette ist: eine Art Schwartenwurst, ohne Brille habe ich das nicht gesehen; wie hatte einst eine Engländerin am Nebentisch zu uns gesagt, – es war in Venedig und wir waren auf Hochzeitsreise – als ihr der Kellner auf ihre Fragen alles erklärt hatte, was auf dem Teller war: Man sollte nicht fragen was man ißt!) mit Pommes frites, 4 verschiedene Käse mit Baguette, als Nachspeise eine Crême Brulée mit Marc de Champagne flambiert, und einen Café noir getrunken habe.

In den letzten drei Tagen habe ich drei verschiedene Arten von Übernachten praktiziert. In der Nähe von Villiers-le-bois schlief ich in einer offenen Abstellhalle für landwirtschaftliche Maschinen, das war, vor allem beim Einsetzen des nächtlichen Regens purer Luxus, und im Morgengrauen hatte ich noch dazu das Gefühl in einem größeren Haus zu sein, denn die Mitbewohner schlugen beim Aufstehen die Türen und ich freute mich schon auf einen heißen Kaffee in netter Gesellschaft. Erst beim Augen öffnen fand ich wieder in mein tatsächliches Umfeld neben dem übergroßen Pneu zurück, merkte, dass die Geräusche vom abtropfenden Wasser auf das Wellblech kamen und war dann froh, um sieben Uhr früh meine Wasserflasche im Friedhof nochmals auffüllen zu können.

In Tonnerre, einer eigentlich sehr schönen Stadt an einem Fluß und einem Berg wurde ich gleich in eine echte Pilgerherberge verwiesen, wo ich wieder ganz allein war, heute dagegen fand ich mal wieder ein Hotel, wenn auch in der Nähe einer Autobahnauffahrt.

Auch Tonnerre ist eine Stadt in Burgund und macht mit seinem Wein Reklame.
Aber um sechs Uhr abends findet man kein offenes Restaurant, es war eigentlich auch kein einladendes Restaurant da, wo ich lief, zu sehen. Gegenüber vom Hôtel de Ville (Rathaus) ein Pizzabäcker, der auch außer Haus liefert, der auf meine Frage aber erst um sieben beginnt.
Auf meine Frage nach einem Glas Wein verwies er mich an die Bar in der Nähe.
So hatte ich mir den Abend nicht vorgestellt und Hunger hatte ich auch. Eine zweite Pizzeria buck zwar offenbar schon Pizzas, es war auch eine Schnellpizzeria wie die erste, wo's auch Döner und sonst noch alles mögliche zum "Reinschieben" gibt.

Hungrig ging ich in das einzige noch offene Geschäft, es war ja Sonntag abend, es war ein superkleiner Supermarkt, und deckte mich mit allem was ich für ein ordentliches Abendessen und Frühstück, sowie Obst für den nächsten Tag zu brauchen glaubte, ein. Mir kam die verlangte Summe schon etwas hoch vor, aber ich war kaputt und hungrig. Aber beim Nachkalkulieren auf dem Heimweg, stellte ich fest, dass ich um mehr als 5€ beschummelt worden war.
Ich trug schwer unter der Last der gekauften Speisen und an meinem Schicksal, wieder mal reingefallen zu sein.

Im Park, an dem ich zu meiner Herberge vorbeikam, setzte ich mich traurig, verärgert, heißhungrig und durstig auf eine Bank und aß gleich drei Orangen, ein paar Boule-Spielern zuschauend. Da kam auf der anderen Seite des sehr breiten Weges eine ungepflegte ältere Frau daher, sie blieb etwa 10 Meter gegenüber von mir stehen und sagte etwas was ich nicht verstand, aber vermutete. Ich sagte, dass ich nichts verstehe. Da sagte sie etwas von Euros. Ich saß neben meiner vollen Einkaufstüte aus der die Weinflasche guckte und mit drei Orangen im Bauch da und sagte, ich habe nichts und auf deutsch schimpfte ich auf den Händler, der mich betrogen hatte. Sie ging in ihren heruntergetretenen Schuhen traurig weg und setzte sich weiter entfernt auf eine Bank.

Später in der Herberge tat mir das sehr leid und noch jetzt sehe ich die Frau vor mir. Ich bin noch mal rausgegangen, mit 5€ in der Tasche, die ich ihr geben wollte, für sie wäre es ein großes Geschenk gewesen, für mich nur einmal auf etwas verzichten. Sie war nicht mehr da!

Ja, Stephane kennt Ihr noch nicht, als ich in meine "Villa" eingezogen war – das Haus und die Zimmer werden auch teilweise von Scouts genutzt – ich war gerade frisch geduscht und stand wie seinerzeit Adam, als er seine Eva noch nicht hatte, am offenen erdgeschoßigen Fenster, da stand plötzlich Stephane, ein Mann meines Alters, vor dem Fenster und fragte wie's mir so gehe und wie weit die Pilgerschaft mich noch führe und da die Unterhaltung am Fenster unbequem war, sagte er, er komme rein, er habe den Schlüssel zum Haus. Und weg war er.
Ich stürzte in meine Unter- und Oberhose und weiß heute noch nicht wie ich das geschafft habe, denn sonst stelle ich mich beim Anziehen ziemlich an. Er kam herein und sagte, ich solle mich nicht so anstellen, er sei ja auch ein Mann.
Und so begann die Freundschaft für einen Abend.

Er sah sofort was ich alles zum Trocknen im Zimmer ausgebreitet und aufgehängt hatte, Schlafsack, Matte, Trikot, Regenjacke und zeigte mir einen Platz unter einem Dach, in den die Abendsonne schien und auf dem meine Sachen bis zum Einbrechen der Dunkelheit trocken wurden und wieder eingepackt werden konnten. Denn das habe ich auch schon gelernt auf meiner Reise: die Sachen können am Abend noch so schön trocken sein, am Morgen sind sie wieder feucht, auch ohne Regen.

Dann sprachen wir über meinen Weg und er wollte es ganz genau wissen. Da ich ja nur Wanderkarten habe und von Deutschland sowieso nichts mehr, holte er aus seinem Bestand alte Atlanten, auf denen Europa im Din A5-Format abgebildet war und so erklärte ich einem alten Franzosen den Weg eines Bayern aus Wiederau über Naumburg, Eisenach, Marburg, Koblenz, Trier, Metz, Toul bis nach Tonnerre.
Für den weiteren Weg nach Vezelay hatte er schon eine DIN A4-Kopie eines Kartenausschnittes mitgebracht. Er war wie ich der Meinung, dass der im Führer vorgeschlagene Weg über Chablis und Auxerre viel zu umständlich sei und schlug mir den direkten Weg vor. Er geht zwar auf der Landstraße, aber erspart zwei Tage.
Es war genau der Weg, den ich mir bei der Planung auch schon eingezeichnet hatte und so war die Freunschaft auch geistig besiegelt.

Am nächsten Tag bin ich den Weg dann tatsächlich gegangen, es ist ein wenig nervig, bei jedem entgegenkommenden Auto auf den Grünstreifen springen zu müssen, aber es beruhigt ungemein. Auch wenn 100 Fahrer Abstand halten, irgendwann kommt immer einer, der den Mittelstreifen mehr achtet als den Menschen, der am Strassenrand geht, und dann wirds happig, grade wenn man ein wenig unsicher auf den Beinen ist, weil der Strassenrand nicht ganz so ideal ist, oder wenn man müde ist. Noch besser sind Fahrer, die von rückwärts kommend, ich gehe ja vorschriftsmäßig auf der linken Seite, gerade an der Stelle überholen müssen an der ich am Strassenrand laufe. Da braust dann von hinten kommend, ca. 1m neben einem, ein Auto mit 100 km/h und mehr vorbei.
Ich möchte niemandem etwas Schlechtes wünschen, aber diese rücksichtslosen Volldioten sollten einmal eine Stunde lang Ihresgleichen ausgesetzt sein. Ein Fehltritt in dieser kurzen Zeitspanne, und Ihr bekommt Eure Emails nicht mehr und ich höre die Engelein singen!

Aber auch was Schönes habe ich wieder erlebt. In einer kleinen Stadt oder größeren Dorf höre ich plötzlich eine Stimme hinter mir: "Hallo, hallo", ein Bub von vielleicht zwölf Jahren sagt, seine Mutter läßt fragen ob ich nicht eine Kleinigkeit essen möge, sie würde mich einladen. Es ist verlockend, aber ich lehne ab. Ich bin spät dran, es hat geregnet und regnet immer wieder und ich weiß noch nicht wo ich unterkomme. Wenn ich mich jetzt zum Essen setze, wird daraus leicht eine Stunde und dann wird es abends zu spät.

Die Strecke war fast 30 km und ich kam dann ja auch erst gegen sieben ins Hotel, auch weil ich natürlich in der Früh zu spät weg gegangen war, das Frühstück mußte selbst gerichtet werden, abgespült, der Schlüssel bei der Information abgegeben werden, dann noch ein paar Fotos vor dem alten Hospital, in dem jetzt die Info ist, und gleich ist es elf. Spät, das rächt sich dann abends. Aber dank Stephanes genauer Angaben hatte ich keine Probleme gehabt, den Weg aus Tonnerre hinaus Richtung Nitry zu finden.

Langsam, wenn auch mit Hilfe von Schwartenwurst, fließt wieder Kraft in des Wanderers Muskeln, das stellt Siegfried überrascht und erfreut fest...

2
August
2008

Les Riceys (1. August)

Geschrieben von Siegfried | Kommentare: 0

Irgendwie habe ich ein Talent, immer dann in einen Ort zu kommen, wenn ein besonderes Fest ist. Erst war's das Stadtest in Limburg, dann das Weinfest in Trier und jetzt das Champagnerfest in Les Riceys. Aber Gottseidank bin ich einen Tag zu früh dran und kriege nur die Vorbereitungen mit. Da ist dann die Versuchung nicht allzu groß.

Heute früh bin ich relativ spät aus dem Haus gegangen, die Unterhaltung mit den Mitgästen und der Hauswirtin hat mich die Zeit vergessen lassen und außerdem regnete es. Als ich dann gegen zehn Uhr aufbrach, hatte es aufgehört zu regnen, aber es war so schwül, dass die Haut auch ohne Anstrengung schon feucht war. Ich schrieb noch zwei Karten aus der Künstlerstadt an Künstler und besuchte die schöne alte Kirche mit Marmoraltären und Marmorkreuzweg.

Heute würde es wenig anstrengend sein. Allerdings hatte ich mir gestern noch vier Bananen und eineinhalb Liter Saft als eiserne Reserve mitgenommen, weil so ein schönes Geschäft da war. Auch Papiertaschentücher hatte ich mir gekauft. Allerdings suchte ich diese sehr intensiv unter den Damenbinden und der Verkäufer beobachtete mich zunehmend misstrauisch. Ich gab die Suche dann schließlich auf und fragte beim Bezahlen nach: Zog mein leeres Tempopäckchen heraus, und für die "nez" mit Vorführung, und er kapierte sofort und brachte mir welche. Sie waren ganz oben, da hatte ich nicht hingeschaut. Aber auf alle Zeit werd ich jetzt wissen Taschentücher = mouchoirs!

Es ging erst wieder mal so eineinhalb Stunden bergaufwärts, und an einer schönen Stelle machte ich eine kleine Pause, um so eine Kleinigkeit zu erledigen, und um eine Banane zu essen und zu trinken, damit das Gewicht des Rucksacks leichter würde.

Wie ich so dastehe und hantiere, um meine Sachen wieder transportfähig zu machen, hält hinter mir ein Auto. Zwei Herren haben offenbar das gleiche Bedürfnis wie ich. So treffen die Welten wieder aufeinander.

Es ist ein Mercedes Coupé, mit Münchner Nummer. Wenn die mich jetzt mit "Bonjour" grüßen, sag ich in breitem Münchnerisch "Grüßgott", oder wenn sie mich nur anschauen. Aber sie würdigen mich keines Blickes und rauschen mit ihren ach Zylindern lautlos, aber mit ein bisschen im Sand durchdrehenden Reifen grußlos davon. O armer Pilger! Ich redete meinem frisch mit Banane und Wasser versorgtem Einzylinder gut zu, er donnerte ein bißchen und spie giftige Wolken aus, setzte sich dann aber wieder gutmütig in Bewegung.

In Gyé sur Seine überschritt ich die Seine. Sie ist hier etwa so groß wie die Chemnitz bei Göritzhain. Aber es ist halt die "Seine" und da gibt's sogar Lieder, die jeder Deutsche kennt: Paris liegt an der Seine...

Wieder eine Verlockung, reinspringen und fort nach Paris...

Aber erstens ist sie zu seicht, und zweitens ist's heute leider nicht heiß! Aber sie ist hier, wie die Chemnitz auch, ein munterer Bergfluss.

Nach Les Riceys kommend merkt man schon das Außergewöhnliche: Überall wird geputzt, geschmückt, renoviert. Einer wachst gar sein Stahl-Eingangstor ein, wie man es bei Autos macht.

Jetzt weiß ich auch warum das "Les Riceys" heißt, also "Die Riceys": Es gibt Ricey Bas, Ricey-Haute Rive, Ricey-Haut und zusammen heißen sie halt "die ...".

Und Les Riceys ist offenbar eine Metropole der Champagner-Produzenten. Man sieht es überall: Es ist viel Geld da, und sie können sich auch die Gîtes bei der Mairie leisten, wo ich jetzt Gast bin. Die alte gotische Kirche mit den Strebepfeilern verfällt allerdings.

Das Gîte ist in einem Nebengebäude der Mairie, die wie ein kleines Schloss in einem Park liegt. Es gibt hier eine Anzahl einfacher Zimmer mit zwei bis vier Betten, einen Gemeinschaftsraum mit Kühlschrank und Kochgelegenheit, auch mit dem notwendigen Geschirr, Töpfen, Pfannen. Es gibt Duschen und WCs und Waschbecken, die gemeinschaftlich benutzt werden.

Ich finde das eine sehr gute Idee, da hier auch Leute mit wenig Geld übernachten können. Erst war ich allein hier, in der Zwischenzeit ist eine holländische Familie und eine Gruppe französischer Jugendlicher eingetroffen.

Im Ort habe ich weder ein Restaurant, noch ein Hotel gesehen. Ich sitze hier bei Baguette, trockener Schweinewurst, Käse und Wein und schreibe Euch bis jetzt, Mitternacht!

Gute Nacht, noch ein paar Tage bis Vézelay!
Siegfried

2
August
2008

Gleich überschreite ich die Seine (1. August)

Geschrieben von Siegfried | Kommentare: 0

Hallo,

an so einem markanten Punkt muss man eine Rast einlegen. Drum sitz ich hier am Ufer der Seine, zwar nicht in Paris, aber immerhin auf einer Bank. Und mein Camembert, den ich seit Colombey in der Gluthitze mitgetragen habe, war (er ist jetzt nicht mehr) genau im richtigen Reifestadium.

Heute Nacht hat's – nach dem gestrigen heißen Tag – ein ordentliches Gewitter mit allem Drum und Dran gegeben. Heute ist es kühl und regnerisch.

Die nächste Stadt "Les Riceys" kann ich locker angehen, denn meine Wirtin in Essoyes hat dort schon ein Zimmer reserviert. Wegen des Champagnerfests wäre es sonst schwierig geworden.

Kann aber leider, leider nicht mitfeiern!

Euer Siegfried

2
August
2008

Essoyes (31. Juli)

Geschrieben von Siegfried | Kommentare: 0

Der heutige Tag begann wenig spektakulär auf der Landstraße, die am Hotel vorbeiführte. Ich ging nochmal die lange Mauer der Abtei Clairvaux entlang und dann mehr als eine Stunde bergaufwärts. Es ging als Zwischenstation nach Champignol. Ein Name der viele Erwartungen auslöst: "Champignon, Champagner".

Aber kurz vor Champignol kam ich erst an einer chapelle romane vorbei, auf die besonders hingewiesen wurde, und die auf einem Hügel zwischen alten Bäumen steht. Es ist eine romanische Kapelle mit einem großen Vorraum, dessen Fußboden mit einem wunderschönen Belag aus stehenden gebrochenen weißen Schieferplatten gepflastert ist. Allein dieses Pflaster war es wert, den Hügel hinaufzugehen.

In die Kapelle konnte man nicht hinein, aber durch ein kleines, vergittertes Guckloch hineinsehen. Ich hatte es erst gar nicht gesehen, weil es so weit unten ist, dass auch Kinder durchsehen können. Entsprechend anstrengend ist's dann für einen steifen Siebziger.

So einen Vorraum wie den vor der Kapelle hätte ich mir mal zum Übernachten gewünscht!

Auf einem Bankerl in der Höhe mit weitem Blick ins Land, das jetzt wieder anders wird, kleinförmiger, hügeliger. Und ab und zu sieht man tiefgrüne Weinberge zwischen den gelben und hellbraunen Feldern.

In Champignol komme ich an einer "Bar" vorbei und kann nicht widerstehen: Ich genieße ein Viertel bière pressure, also ein schönes Kühles vom Fass. Das Schlimme daran ist, dass das Wiederaufstehen und Weiterlaufen anschließend besonders schwer fällt.

Ich komme jetzt wirklich in die "Wein-"Champagne, die Weinberge werden immer mehr, und Hinweistafeln auf die "Route de Champagne" weisen selbst einen Unbedarften wie mich darauf hin.

Auch die Orte verändern sich. Statt den großen Gehöften gibt es jetzt wieder kleinere, zusammengebaute Einheiten. Auf einer Anhöhe, zehn Kilometer vor Essoyes, sehe ich das erste Mal eines der Cadole, der alten Schutzhütten für die Winzer. Die weißen Schieferplatten, dies hier gibt, sind kreisförmig aufeinander geschichtet und zwar nach oben immer enger werdend, an einen Bienenkorb erinnernd, so dass sie sich schließiich oben zu einem Dach schließen. Der Eingang und der Rauchabzug ist immer nach Osten, also der windabgewandten Seite zugewandt. Dadurch brauchten sie keine Türen und der Rauch zog auch schön ab.

In der Nähe dieses Cadole war auch eine schöne Hinweistafel, auf der zu sehen war, wohin ich heute (den Ort konnte man auch in Natura schon sehen, und er war noch ganz schön weit weg) und wohin ich morgen gehen müsste, da sah man nur einen hohen Funkmast: Die Entfernung kommt einem dabei fast unerreichbar vor! Manchmal ist es doch besser, das Ziel nicht zu früh zu sehen.

Bis jetzt war ich auf Landstraßen gelaufen, jetzt ging's wieder über einen breit ausgebauten Wanderweg, eine Sandstraße. Natürlich war ich wieder mal im Zweifel und lief ein paar hundert Meter zurück, weil der Weg anders, als ich's aus der Karte las, verlief. Aber ein Bauer, der gerade mit einem riesigen Pflug (ich glaub, so acht Pflugscharen nebeneinander) vorbeikam, beruhigte mich und sagte, ich solle nur immer dem Weg nachgehen. Natürlich sagte er es nicht so, sondern mit vielen französischen Worten und Gesten, und ich reimte mir daraus was zusammen und hoffte, dass es stimmte. Es war ja schon in Deutschland schwer, nach Wegbeschreibungen zu gehen. Denn eine einzige Fehldeutung an einer Weggabelung führt unweigerlich in die Irre. Gottseidank gab es wieder Markierungen, und die halfen mir dann bei Zweifelsfällen weiter.

Endlich kam Essoyes in Sicht, und bald war ich in der Stadt. Malerische kleine Häuser aus dem hellen Naturstein, zum Teil ohne Mörtel errichtet (Trockenmauerwerk) und auch zum Teil Fachwerkhäuser, das Fachwerk aber enger gegliedert als bei uns. Das ist so ähnlich wie bei den Dächern. Die Franzosen legen die Sparren viel enger, legen die Pfetten außerdem schräg.

Essoyes ist die Stadt des bekannten Malers Auguste Rodin, und das macht sich in der Stadt auch bemerkbar. Plakate, Hinweise und eine Anzahl Maler, die auf ihre Werke und Ausstellungen aufmerksam machen. Man könnte auch das Atelier Auguste Rodins besichtigen, aber was könnte ein einsamer Pilger wie ich nicht alles!

Von der örtlichen Information wurde mir ein Zimmer vermittelt bei einer älteren Dame, die ein Haus mit "Gîtes de France" bewirtschaftete. Es war auch noch ein älteres französisches Ehepaar mit im Haus und beim Frühstück wurde fest geratscht, so gut es ging, und es stellte sich heraus, dass sie aus Südfrankreich sind, und der Mann am gleichen Tag wie ich geboren ist, nur 12 Jahre früher.

Die Hauswirtin hatte mir am Vorabend schon gesagt, dass in Les Riceys, meiner nächsten Station, am Wochenende Champagnerfest ist, und deshalb schwer ein Quartier zu bekommen sei, und dort angerufen und für mich was reserviert. Ich solle mich nur in der "Mairie", dem Rathaus, melden.

Ich ging mal wieder fein essen (wieder beim Italiener) und schlief in dem vornehmen Haus gut, bis ein lautstarkes Gewitter mit prasselndem Regen mich an meine Nacht im Freien erinnerte. Ich drehte mich wohlig um und genoss das trockene Bett. So gut geht's mir allerdings meistens, drum werd ich langsam wieder optimistischer.

BEREICHTIGUNG: ES GEHT NICHT UM RODIN SONDERN UM RENOIR!!!

Siegfried

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