Naumburg: Besichtigungs- und Ruhetag (30. Mai)
Hola,
so heißt's in Spanien. Muss das manchmal einflechten, dass ich das große Ziel nicht aus den Augen verliere.
Kurz nach neun bin ich zum Dom gegangen, der ja gleich um die Ecke meiner Pension liegt. Schon die Zeit war Ruhetags-mäßig aber der Dom wird erst um 9 Uhr aufgemacht. Da die erste Führung um 10h ist ging ich erst zum Domschatzgewölbe, wo zur Einführung ein kleiner Film über den Dom und den Schatz gezeigt wird.
Das Domschatzgewölbe ist einer der ältesten Teile des Domes und auch in Bezug auf Alter und Größe einmalig in Deutschland. Es ist ein sehr flaches Gewölbe, der Bogen beginnt praktisch am Boden. Alle paar Meter gibt es ein Band, dazwischen wilder Natursteinverband. Es wird darauf hingewiesen, dass im Mauerwerk noch Holzreste der Verschalung sichtbar sind. Das Gewölbe ist also ein langer, niedriger und dezent beleuchteter Raum.
Hier sind Tafeln der alten Altäre des Domes ausgestellt (im Dom gab es in alter Zeit 14 Altäre, die zum Teil bei den Bränden schon im 15. Jahrhundert zerstört wurden), darunter zwei Retabeln vun Lukas Cranach dem Älteren.
Wenn man sich Zeit nimmt und Gesicht und Bewegungen der dargestellten Personen studiert, kann man besser als im täglichen Leben Schmerz, Sorge, Leid, Güte, Zorn, Hass, Liebe usw. aus Gesichtern und Haltung lesen. Das war das Neue, das Lukas Cranach geschaffen und bis zur Meisterschaft vollendet hat. Das kann man nicht sehen an kleinen Reproduktinen, das konnte ich jetzt wirklich nur am Original mit Zeit und Ruhe erkennen und empfinden. Ich muss gestehen, auch ich nahm mir nicht genügend Zeit. Vielleicht sind wir heute nicht mehr in der Lage dazu? Es ist ja auch viel zu viel zu sehen und schon beim benachbarten Exponat verliert das vorangegangene etwas von seiner Wirkung. Was mich auch noch tief beeindruckt hat, ist das abgeschlagene Haupt des Johannes. Ihr wisst natürlich: Salome war schuld! Eine der ersten Bildhauerarbeiten in Holz in dieser Art, lebensgroß und sehr realistisch! Beachtenswert die Zunge!
Berühmt ist auch die Pieta von Naumburg, Maria mit dem Leichnam Christi auf dem Schoß. Christus, hager, der Bauch eingefallen, so dass Brust und Becken im Bauchbereich ein ausgeprägtes "V" bilden. Dies hat mich mehr beeindruckt, weil es so maßloses Elend ausdrückt – nur das Knochengerüst ist noch da –, als das was an Besonderheit an Marias Antlitz beschrieben wird: Der Schmerz den die Augen ausdrücken und das zarte Lächeln mit den Lippen, das die Gewissheit des Weiterlebens zeigt.
Es gibt auch noch eine romanische, lebensgroße "Madonna mit dem Strahlenkranz". Es ist eine holzgeschnitzte typisch romanische Figur, bei denen man fast immer den Eindruck hat, der Kopf sei zu groß. Auch diese Madonna hat eine Geschichte, und sie heißt deshalb die "Wundertätige Madonna": Beim letzten, großen Brand vor etwa 500 Jahren stoppte das Feuer genau an der Madonna. Nur der Strahlenkranz verbrannte, den hat sie seitdem nicht mehr!
Jetzt seht Ihr, wie aufregend das hier ist, und ich war noch nicht einmal bei meiner UTA!
Die Domführungen beginnen um 10h und ich bemühte mich bei der ersten dabei zu sein. Ich hab nicht geschwindelt, ich durfte den Besuch des Domschatzmuseums dafür unterbrechen.
Nach der Ruhe im Museum, wo ich fast allein war, und die wenigen anderen Leute sich ruhig verhielten, der Schock: Ich betrete den gewaltigen Raum. Lautes Gerede und Gelächter aus dem Eingangsbereich und dann kommt eine "fröhliche" Gruppe zum Abhaken ihrer Sight-Seeing-Tour, die der Führer nur mühsam zur Ruhe bringen kann.
Ja, dies hab ich jetzt auf einem Bankerl am Marktplatz – die Naumburger nennen ihn den schönsten Marktplatz Deutschlands (warum immer diese Superlative?) – geschrieben. Eine ältere Frau hat sich dazu gesetzt. Ich hab dann das Tippen aufgegeben, schaut ja wirklich ein wenig schäg aus, und hab mich mit ihr unterhalten. Ihr Mann ist vor zwei Jahren an Lymphdrüsenkrebs gestorben. Die letzten sechs Wochen hielt er es nur noch mit Morphium aus! Sie sagt, sie sei jetzt noch nicht darüber weggekommen. Sie ist Naumburgerin, stammt aber aus Pommern. Im Dom war sie erst ein Mal und da hat sie's furchtbar gefrohren. Es stimmt also, was der Führer sagte, die Naumburger hätten ein gespanntes Verhältnis zum Dom.
Den Akku musste ich auch laden, darum ging ich gleich noch zum Abendessen. Und da war ich interessehalber doch etwas ausgefallen unterwegs. Das "Lokal" heißt "Taverne zum 11. Gebot" und liegt in einem Hof unmittelbar unterhalb des Domes. Kein Mensch da, der "Wirt" streicht seine Tische. Ich frage ob ich was bekommen könne, er meint, es käme ganz darauf an was ich wolle. Wir einigen uns auf einen Burgunder von Saale-Unstrut, also von hier, Wasser und einen UTA-Zopf, ein Hefegebäck mit Tomatenfüllung, creiert zum großen Treffen der Utas Deutschlands. Im Dom erfuhr ich dass es das wirklich gibt! Und dass es wegen der grossen Nachfrage jährlich wiederholt werden soll! Sie sind schon ausgebucht bis 2012! (Wenn's stimmt.) Wir haben uns dann gut unterhalten. Es ist auch noch ein Freund des Wirts dazu gekommen, der sich über den regen Betrieb wunderte. Also, Fazit, der Wirt ist ein Aussteiger und hat sich so schon zwei Winter durchgebracht. Ich wünschte ihm viel Glück.
Zwischen den Besuchen im Domschatzgewölbe nahm ich also an einer Führung im Dom teil.
Der Dom besteht aus einem Sammelsurium von Stilen. Zuletzt baute Kaiser Willhelm den vierten Turm dazu. Es geht von alter Romanik (die Zeit mit den runden Bögen und den großen Köpfen) bis in die Hochgotik (als die Spitzbögen und die ebenmäßigen Menschen in Mode waren).
Der Dom hat zwei Lettner, also sowas wie wir in Wechselburg haben. Der östliche liegt über der Krypta (auch noch ein Teil des Vorgängerdomes). Der Teil hinter dem Lettner ist erhöht, und die Brüstung ist so hoch, dass das gemeine Volk in der Kirche die Priester nicht sehen, sondern nur hören konnte,
Der Lettner im Westschiff – also da, wo heute der Chor ist – ist ebenerdig. Hier ist der Klerus und der Adel aus des Volkes Mitte in den vom Lettner begrenzten Teil gegangen. Und hier gibt es eine der Erneuerungen des Naumburger Meisters, das Kreuz steht nicht über den Gläubigen, sondern in Augenhöhe, was eine gewaltige emotionale Wirkung auf die damaligen Leute gehabt haben muss. Man geht praktisch unter den ausgebreiteten Armen Christi durch den Lettner.
Und nun bin ich in dem Raum, in dem sich Uta seit mehr als 500 Jahren aufhält. Sie ist schön.
Aber die deutschnationalen und dann die Nazis haben sie zum Vorbild der Deutschen Frau hochstilisiert und zu dem gemacht, was sie nun ist, "die Berühmtheit" des Naumburger Domes. Jetzt könnte ich noch von den anderen Stifterfiguren erzählen, aber das kann jeder nachlesen, der's wissen will. Aber eins noch: Nachdem die Nazis Uta so hochstilisiert hatten, hatte Walt Disney Uta als Vorlage für die böse Königin in seinem "Schneewittchen" verwendet. Und das stimmt, deshalb ist mir die immer so bekannt vorgekommen.
So, es ist jetzt 22.30 Uhr, morgen warten 20km auf mich!
Euer gesprächiger
Siegfried
Naumburg (29. Mai)
Hallo,
bin um 16.16 Uhr am Dom eingetroffen und hab meinen ersten offiziellen Stempel bekommen.
Was man als eingetragener Pilger des ökumenischen Pilgerweges noch bekommt, ist eine Freikarte für eine Dombesichtigung. Und die Dame hat gemeint, ich würde die Führung gleich mitmachen. Das war für mich schon ein bisschen zu viel!
Heut war ein besonders heißer Tag und an mir lief's Wasser runter. Werde morgen einen Ruhetag einlegen und Naumburg, das einen sehr schönen Eindruck macht, erforschen.
Auf dem Bild seht Ihr mich nach einem Glas Wasser schon ein wenig erholt. Ich sitze da im Mohren-Café am Dom. (Anm. d. Red.: Bilder gehen noch nicht... ;-) )
An der Domkasse wurde mir auch die Adresse eines Privatquartiers gegeben, das gleich um die Ecke ist, aber da war vorhin niemand da, deshalb sitze ich hier, wartender Weise.
Später mehr.
Also das war nichts. Das Zimmer sei schon belegt. Habe noch jemanden angerufen, der eine Unterkunft auf dem Zettel des Doms anbietet. Anrufbeantworter! Man soll die Telefonnummer angeben, man würde zurückgerufen werden. Es ist jetzt Viertel nach Acht, bis jetzt kam noch kein Anruf. Das ist praktisch nicht zu machen, wie sollte man jetzt noch ein Zimmer finden, wenn man noch keins hat?
Skeptisch war ich bei diesen Privatadressen auch deshalb gewesen, weil sie offenbar – bis auf die erste – fern vom Zentrum sind. Erstens ist jeder Schritt dorthin eine zusätzliche Mühe, zweitens kann man, wenn man von der Stadt noch was haben will, nochmals seine massakrierten Beine durch wenig attraktives Gelände quälen. So hab ich mich umgeschaut und am Verbindungsweg zwischen Dom und Marktplatz, – der Abstand ist etwa fünfmal so weit wie in München zwischen Marienplatz und Dom – eine DDR-romantische Pension zu einem erschwinglichen Preis gefunden. Leider vorerst nur für eine Nacht. Die liebe Pensionschefin sagt mir aber Bescheid, wenn sie verlängern kann.
Würde doch gern meinen strapazierten Gliedern einen Tag Ruhe gönnen und vor allem meiner ersten Angebeteten: UTA (für die, die's noch nicht wissen, sie war im Schulbuch abgebildet, und meine erste große, wie sich versteht, eher platonische, Liebe) mit Liebe und Inbrunst gerne lange in die Augen blicken.
Jetzt sitze ich im Freien vor der "Kanzlei", hab sehr gut gegessen, und zwei Erdinger Weißbier getrunken. Alle Tische sind besetzt und die Leute sind alle guter Laune.
Ich weiß! Das ist nicht so richtig jakobpilgermäßig was ich hier treibe, aber...
Dafür habe ich beim Herwandern ein bisschen ein schlechtes Gewissen gehabt: Gestern Nachmittag, als ich vor dem Café in Treuen meinen Kuchen verspeiste, hatte ich mich im Freien an einen Tisch gesetzt, an dem zwei ältere Leute saßen. Der Mann versuchte mit mir ins Gespräch zu kommen. Ich verstand nichts, aber gab Antwort. Mit der Zeit kapierte auch ich, dass diese Leute nicht Gäste des Cafés waren, sondern hier nur eine Ruhepause eingelegt hatten. Die Frau hat offenbar größte Probleme mit den Beinen, der Mann hat vorne nur mehr ein paar Zähne, die er mir demonstrativ zeigte. Als sie gingen (was erst nach mehreren Versuchen zum Aufstehen, der Frau gelang), bedankte er sich ein paar Mal. Ich weiß nicht, wofür. Vielleicht dafür, dass ich mich zu ihnen gesetzt habe. Wenn man fies ist, könnte man das auch so auslegen – so tät's vielleich ein Bayer – dass er sich bedankte für etwas, was er nicht bekam aber erwartete (ich glaube das in diesem Fall aber nicht).
Aber die Situation hat mich beschäftigt. Wie leicht hätte ich diesen beiden alten, armen Leuten eine Freude machen können! Ein Kännchen Kaffee, ein kleines Stück Kuchen, es wäre für mich kein Problem gewesen. Leute wie die heilige Elisabeth haben's vorgemacht.
Heute habe ich nicht die von mir geplante Route eingeschlagen, sondern mich von den Pensionsleuten beraten lassen: Ich bin von Treuen, am Bahnhof vorbei und an einer Asphaltmischanlage(!) über Nossa ("Klein- oder Groß-" weiß ich nicht mehr) auf einer nicht in der Karte eingezeichneten Autobahnbrücke nach Pittitz (einem recht hübschen Ort, wo ich mich auch noch verlaufen habe; von der Wehrkirche hab ich ein Foto gemacht) über Schönburg nach Naumburg gewandert.
Nach der landschaftlich erst wenig abwechslungsreichen Tour vor Prittitz – sie war geprägt durch Raps- und Getreidefelder, sowie einen großen Windmühlenpark, und natürlich dem Autobahnlärm – wurde es nach Prittitz und vor allem nach Schönburg richtig romantisch. Erst führte die schmale Straße durch einen dichten Mischwald. Die Bäume überdachten die Straße wie einen Tunnel. Das tat sehr gut bei der heutigen Hitze. Dann kam Schönburg, kurz sichtbar ein runder, massiger Turm, dann führte die Straße zwischen Sandsteinmassiven, waagrecht gebändert nach unten. Auch den Eingang zu einem Felsenkeller habe ich gesehen und fotografiert.
Zur Burg bin ich nicht hoch gegangen, scheint auch nur ein Restaurant zu sein – das sind halt die Zugeständnisse ans Wandern. Dafür hab ich auf der Brücke vor einem Wassermühlenrad eine Pause eingelegt und die erste alte, also hitorische, Windmühle gesehen. Wie ich auf den Wanderwegweisern gelesen habe, gibt es hier auch einen "Mühlenweg"!
Und einen Saale-Radwanderweg! Und an der Saale bin ich an einem schattigen Hang nach Naumburg gewandert. Und es war wunderschön. Und da ist mir das Lied eingefallen: "An der Saale hellem Strande"...
Mir fiele noch was ein. Aber es ist 22 Uhr, und ich bin einer der letzten. Es wird kassiert. Der letzte Schluck des Weißbiers gilt Euch allen!
Siegfried
Teuchern (28. Mai)
Hallo Ihr Lieben,
Mittag um halb Zwei habe ich mein Tagesziel erreicht.
Nach langer Wanderung durch Zeitz, erst den Berg hinunter zur Moritzburg, die also, wie Ihr nun unschwer nachvollziehen könnt, im Tal steht, über die Weiße Elster, durch eine Unterführug, schließlich neben einer viel befahrenen Straße auf original DDR-Pflaster wieder den Berg hinauf: Das dauerte schon fast eine Stunde. Dann ging's weiter an dieser Autobahn-Zubringerstraße bis Theissen, von dort auf Nebenstraßen über Lockenau, Trebnitz hierher. Und da sitz ich nun gegenüber dem Ratskeller vor einem Café bei einem Viertel Rotem.
Teuchern ist tatsächlich eine Stadt: hat ein kleines Rathaus, das man hinter dem Ratskeller nur vermuten kann, und eine überaus eifrige Uhr, gerade vor mir, mit oben einer analogen Anzeige, darunter einer Tafel in Blau und Gelb, mit einem silbernen Wappen und einem strammen Ritter darin. Unter dieser Tafel gibt's eine rührige Digitalanzeige von Datum und Temperatur, die wechselt so alle halbe Minute und klappert dabei. Immerhin weiß ich dadurch, dass es 29°C hat, und dass es der 28.05. ist.
Ja wisst Ihr, was mir heut aufgefallen ist? Bevor der Wanderer Anzeichen einer gastlichen Aufnahme findet, z.B. einen Gasthof, ein Hotel, einen Hinweis auf eine Pension, sieht er die geschmackvolle Reklame eines Bestattungsinstitutes. Aufgefallen ist mir das zum ersten Mal heute in Lockenau, wo gleich am Ortseingang für die stilvolle Abwicklung der letzten Dinge geworben wird. Dann hier, wo ein entsprechendes Institut gleich gegenüber dem Ratskeller, sozusagen vor mir zu finden ist. Dafür gibt es – sichtbar – kein Beherbergungsangebot. Gut, da unterstützten mich die netten Leute vom Ratskeller, wo ich die Adresse einer netten Pension bekam. Aber nicht nur hier in den kleinen Orten gibt's diesen Bestattungsunternehmensboom, auch in Zeitz fand ich auf dem Hauptplatz sofort ein Bestattungsunternehmen. Nach einer Unterkunft musste ich erst fragen! Was sagt das über den Zustand unseres lieben Volkes aus?!
Ein bisschen nachdenklich grüßt Euch heute
Siegfried
PS: Das Rätsel mit meiner Feststellung "wie auf Eiern gehen" hat sich gelöst: Es war unter der rechten Ferse eine Wasserblase, die heute offenbar geplatzt ist. Die Ferse schaut malerisch aus. Die linke hat sich's, glaube ich anders überlegt. Die Schmerzen scheinen weniger zu werden, manchmal empfinde ich sogar ein wollüstges Juckgefühl.
Zeitz (27. Mai)
Ja Ihr Lieben,
jetzt bin ich in der Situation, dass Körper und Geist sich nicht einig sind. Der Geist sagt: "Geh stell dich nicht so an und lauf anständig, es geht schon noch!"
Der Körper meldet: "Die Reifen sind platt! Du läufst schon auf den Felgen!"
Der Geist sagt: "Dann gewöhne dir kurzzeitig eine andere Schrittweise an, tritt mehr mit dem Vorderfuß auf!"
"Mach ich, aber schaut scheiße aus!"
"Ist auf der Landstraße egal!"
Nur daß prompt ein mitleidiger Mensch mir die Mitfahrt anbot und ungläubig den Kopf schüttelte, als ich ablehnte.
Ja, heute früh ging's wieder ab von Meuselwitz. Die nette, aber kurz angebundene Cheffin (mir scheint das Sachsen-Anhaltinische Art, nicht so gesprächig und neugierig wie die Sachsen) zeigte mir noch den Weg nach Zeitz, der kürzeste sei an der Bundesstrasse.
Durch den schönen Park, vorbei an einem gepflegten Pavillon, und schon war ich an der B 180.
Was seh ich da, eine Kirche, in grauem Naturstein, Neoromanik, und daneben ein bewohntes Pfarrhaus. Das ist gar nicht so selbstverständlich, ich hatte erst eine Kirche gesehen, zugewachsen und davor eine Tafel: Betreten verboten! Lebensgefahr! Und dann lese ich: Kath. Pfarramt "St. Elisabeth". Das war die Gelegenheit für den ersten Stempel auf der Reise! Es waren mindestens 10 Stufen zur Haustüre zu erklimmen. Ein älterer Herr machte auf. Ich bat um einen Stempel in meinen Ausweis. Antwort: "Hab keine Berechtigung, da nicht am Weg... und außerdem bin ich Rentner!" Es war wohl der Pfarrer, denn er war schwarz gekleidet, mit schwarzer Hose und schwarzem Hemd. Wenn's nicht gar ein Architekt war – die ausgeflippten unter denen schauen meist auch so aus. Ja, das war erst einmal eine Enttäuschung, noch dazu da mein Weg auch durch Marburg, der Stadt der heiligen Elisabeth führen wird.
Nun auf der Budesstrasse. Kein Rad- oder Fußweg. Also schön links, dem Gegenverkehr entgegengehen. Da kann man gut die Mentalität der Fahrer studieren. Kompliment! Die LKW-Fahrer fahren durchweg – nach Blinkersetzen – auf die Gegenfahrbahn, wenn es möglich ist, obwohl ich schon frühzeitig auf den Grünstreifen ausweiche und stehenbleibe, um vom Fahrtwind nicht umgerissen zu werden. Viele PKW-Fahrer machen das auch, aber manche bleiben, auch wenn kein Gegenverkehr kommt, stur auf ihrer Spur und brausen mit Vollgas einen Meter an einem vorbei.
Noch besser machte es ein ganz eiliger, in meine Richtung fahrender: Er kam also von hinten, wo auch Pilger noch keine Augen haben und sich ganz auf ihr Gehör verlassen müssen. Der überholte einen LKW und war in meiner Höhe gerade neben dem Lastwagen. Es werden nicht viel mehr als ein Meter gewesen sein, die er von hinten kommend an mir in Hochgeschwindigkeit vorbeifuhr.
Eher amüsant ist da die Begegnung mit einem Leichtmotorrollerfahrer (DDR-Modell), der mir entgegenkam. Da weder von vorne (noch gehörmäßig von hinten) sich ein weiteres Fahrzeug näherte, mir es somit schien, dass wir uns einigen könnten, blieb ich auf meiner Spur, ca. 1/2 Meter neben dem Strassenrand. Er kam mir ca. 1 Meter neben dem Strassenrand entgegen und blieb stur auf dieser Linie. Wir berührten uns fast. War der erste kontaktfreudige Sachsen-Anhaltiner, der mir begegnete! Der zweite war die Apothekerin, bei der ich eine möglichst leichte Sonnencreme kaufte. Nach einer kurzen Rückfrage tippte sie sofort auf Jakobsweg und gab mir ein Kühltuch mit.
Um 12 Uhr war ich in Zeitz, und der Weg in die Stadtmitte zog sich lang und schmerzhaft bergabwärts hin. Ich suchte immer eine Burg oder den Dom zu sehen, die ja angekündigt waren. Aussichtslos! Erst nach mehrmaligem Fragen gelang ich in die Stadtmitte, den Rossmarkt, der durchaus von schmucken neu renovierten Häusern begrenzt ist. Nur ein Hotel oder einen Gasthof zum Übernachten fand ich da nicht, weiter unten bei der St. Michaelskirche sah ich ein Schild: HOTEL – aber das war verlassen. Ein Taxifahrer zeigte mir den Weg zum Hotel "Drei Schwäne", in dem ich jetzt residiere, die Füße auf dem Rucksack, E-Mail schreibe und gute Wurst mit Brötchen esse. Dafür gab's Nachmittag beim ROSSO einen guten caffè grande und einen Kirsch-Rhabarber-Kuchen.
Übrigens: Burg und Dom habe ich bei meinem nachmittäglichen Spaziergang noch entdeckt. Das Schloss wurde so kurz nach dem 30-jährigen Krieg aufgebaut, und der Dom ist mitten drin, ohne Turm! Das Geläute, wenn ich's richtig geortet habe, hängt im Torhaus des Schlosses. Da kann man lange suchen. Ja und ein schönes Glockenspiel haben sie hier auch, spielt z.B. "Sah ein Knab ein Röslein..." – erste Strophe einstmmig, zweite Strophe mehrstimmig.
Euer Siegfried
Demoliert (26. Mai)
Hallo,
Ich bin jetzt in Meuselwitz im (m.E.) besten Haus am Platze: Hotel zur Börse. Nach dem Einchecken (ca 16.00 Uhr) habe ich ausgiebig geduscht und meine Füße – zu denen ich noch was sagen muss – mit Hirschtalgcreme einmassiert und mich, zum ein wenig Entspannen, hingelegt. Plötzlich fangen alle Kirchenglocken zu läuten an und mich haut's fast aus dem Bett. Ich schau auf die Uhr: 6! Erst nach dem ersten Schock habe ich begriffen, dass es noch Abend ist.
Nun sitze ich vor meinem obligatorischen Espresso und lasse das, was ich heute erlebt habe, an mir vorüberziehen. Es war nicht besonders aufregend. Auch die Landschaft nicht. Nach heftigem Auf und Ab gleich hinter Kohren-Sahlis, einem aussichtsarmen Frühstück auf einem Bankerl vor der Burg Gnandstein, die haargenau durch einen Baum verdeckt war, gings über Winischleuba weiter (irgendwie ist mir das ein Begriff, jetzt weiß ich warum: Hier gibt's ein Schloss von "Börries von Münchhausen"). Aber ich bin vorbeigeeilt, habe die Pleiße überschritten: ein kleines gemütliches Bächlein, etwa so wie der Wiederbach, aber der Name ist selbst einer solchen Erdkundeniete wie mir in Erinnerung geblieben!?
Und so kam ich mit viel Mühsal auf vorwiegend wenig befahrenen Landstraßen hierher. Was mir neu ist: Meine Füße schmerzen! Jetzt beginnt offenbar die Pilgerreise, heute habe ich angefangen meine Sünden abzubüßen. Was kommt da noch alles auf mich zu, wenn alle Eure Sünden dran sind! Es sind keine Blasen an den Fersen, es fühlt sich eher so an, als seien die ganzen Sohlen Blasen! Hab also fest eingecremt und laufe wie auf Eiern. Wenn ich in freier Natur den Rucksack runter nehme, rühre ich mich kaum vom Platz. Und nach Meuselwitz bin ich fast auf Zehen gegangen. Nichts mehr von dem stolzen Jakopspilger der in Wechselburg weggegangen ist!
Aber ich will weiter. Morgen ist eine kürzere Strecke geplant, 18km, heute waren's laut meiner Aufstellung 24, vielleicht auch mehr.
Wenn's geht, und ich so weit komme, werde ich dann in Naumburg einen Ruhetag einlegen. Immer wieder zwischen den "Resets", bei denen man gar nichts denkt und nur aufpasst, dass man nicht hinfällt, denke ich an Euch alle – an jeden einzelnen von Euch und hab Euch vor mir!
Euer Siegfried