Joinville (1.000 km) (27. Juli)
Gerade bin ich vom Abendessen heimgekommen, war beim Italiener. Ist – soweit ich das feststellen konnte – das einzige Lokal zum Essen, und es war brechend voll.
Wie es sich gehört, hab ich natürlich die Chefin gefragt, wo ich – Einzelner – mich hinsetzen dürfe. Es war der Tisch gleich beim Pizzaofen, wo der Papa werkelte und alles im Griff hatte: sowohl die Chefin, als auch die beiden jungen Mädchen, die auch bedienten.
Mit mir war auch ein einzelner Mann ins Lokal gekommen, und auch er kam an diesen Single-Tisch. Der Mann in mittlerem Alter sah auch sehr mitgenommen aus. Er musste, so vermutete ich, auch einige Anstrengungen hinter sich gebracht haben, um hier zu sein. Und die letzte halbe Stunde des Weges hatte es auch noch ganz schön geregnet. Ich war bis zwei Uhr nachmittags so gut gelaufen, dass ich nur noch etwa acht Kilometer (also zwei Stunden) zum Tagesziel Joinville hatte, und die sollten durch den Wald und über einen Berg gehen.
Und da verlief ich mich wieder ausgiebig, so dass ich erst gegen halb sieben Uhr in der Stadt ankam. Ich war den ausgeschilderten Jeanne d'Arc-Weg gegangen, in der Meinung, er würde mich geradewegs hierher führen. Aber nein! Er führte mich über ein Nachbardorf, weil dort eine Abtei war, von der ich nichts gesehen habe. Arme Jeanne, was hast Du für Umwege gemacht! Aber vielleicht waren sie nötig für Deine Lobbyarbeit.
Nach anfänglichem erschöpftem Schweigen kamen wir zwei Singles doch ins Gespräch und stellten fest, dass wir uns in deutsch unterhalten konnten. Er (den Namen weiß ich noch nicht) ist ein Schweizer aus Basel und war in Epinal und Reims. Beide Städte sind auch in der Champagne, und er hat dort die Keller im Kreidefelsen gesehen und viele Champagnerproben genossen.
Wir blieben bis um elf sitzen. Und hatten den gleichen Weg zurück, denn auch er logiert im Hotel du Nord. Ich hab versucht meinen Zustand der Unterernährung zu beenden und fühle mich sehr wohl und gesättigt! Morgen werde ich sehen, ob's Laufen dadurch wieder leichter wird.
Übrigens: Vier Kilometer hinter Toul waren die ersten TAUSEND Kilometer gelaufen!
Siegfried
Cirfontaines-en-Ornais (26. Juli)
Meine Lieben,
heute bin ich wieder ein bisschen mit meinem Pilgerschicksal versöhnt und das kam so:
Zunächst habe ich natürlich wieder im Freien geschlafen. Ich schaute kritisch die Wolken an, aber die Schwalben flogen sehr hoch, es war also in der Nacht kein Regen zu erwarten.
Regen nicht, aber Tau, da ist mir eingefallen: "... wenn süßer Tau vom Himmel fällt ..." Es hat wirklich ab und zu einen großen Tropfen gegeben, da bin ich unter das Vordach des Waschplatzes gezogen, damit mein Schlafsack nicht nass wird. Bevor ich in den Schlafsack geschlüpft bin, war ich natürlich noch ausgiebig essen und zwar mit gutem Gewissen, ich hatte ja fast schon seit einer Woche kein warmes Essen mehr zu mir genommen.
In Greux, dem Nachbarort genehmigte ich mir einen halben Liter "vin ordinaire", also den Hauswein, einen "Vogesensalat": gemischter Salat mit angebratenen Speckwürfeln drüber obenauf als Haube angemachter Frischkäse. Garniert war der Salat mit kleinen, breiten Spitztüten aus ganz dünn geschnittener Melone, die mit kleingeschnittenen Tomaten gefüllt waren. Hauptgang Steak de boef, und dann noch ein kleiner Kaffee.
Die gestrige Email an Euch hatte ich im Waschraum stehend fertiggeschrieben und dann das Gerät auch dort über Nacht aufgeladen.
Um sechs bin ich aufgestanden und bis ich alles eingepackt hatte (Gott sei Dank waren in der Nähe meines "Liegeplatzes" Tisch und Bank, mit Schlafsack und Matte ist das ja ein wenig kopliziert), gewaschen und angezogen war, war's halb acht, und ich frühstückte noch die Reste meiner Baguette, Rillette, Honig und Obst zu Wasser. Den Weg, den ich gehen musste, hätte ich auch so nehmen können, dass ich an der Bäckerei vorbeigekommen wäre. Dann hätte ich auch noch einen Kakao trinken können. Ich entschied mich dann aber doch nicht für die Bäckerei, sondern für den Waldweg, der auch ein wenig kürzer war.
Warum ich jetzt das Nebensächliche wieder so genau beschreibe? Weil wieder ein paar "Zufälligkeiten" eingetreten sind. Ich wandere zwischen Wäldern und an Waldrändern aus dem breiten Tal der Meuse, an der Domrémy liegt, bergauf heraus und kome nach Vaudeville-le-Haut. Die Kirchtürme sind jetzt anders, sie sind schlanker und haben ein flacheres Dach. Hinter dem Ort ist eine kleine Gedenkstätte mit einer Tafel "Vaudeville de Haut, Haut lieu de la resistance". Es war am ersten September 1944, dass die maquisards von Vaudeville die Deutschen angegriffen hatten und aus dem Ort vertreiben konnten.
Es geht wieder eine Stunde durch einen Wald, Rehböcke bellen und erst befürchte ich, es sind wilde Hunde und lauf ein bisschen schneller.
Im andern Ort komme ich an einem Brunnen vorbei, der läuft und der sicher Trinkwasser bietet, weil drüber steht "Eau de Dainville", also von den "Stadtwerken". Ich trinke, wasche Arme undGesicht, ich bin ja recht verschwitzt und eine blutige Stelle am Trikot, in der Gegend wo drunter das Herz schlägt, habe ich auch, da hatte ich eines der lästigen Biester im Wald erwischt.
Ein Lieferwagen kommt, er hupt, bleibt stehen. Hinten geht eine Lade auf: ein Geschäft! Auch ich eile hin und werde wegen meines Zustandes etwas reserviert beäugt.
Ich kaufe Baguette, Käse und zwei Äpfel. Jetzt kann nichts mehr passieren, nur eine Unterkunft brauch ich noch. Im nächsten Ort hatte ich geplant zu bleiben. Wieder durch einen großen Wald mit seinen Bremsen. Dann eine weite Anhöhe mit Getreidefeldern, so weit man sieht, und Mähdreschern in Aktion. Aber im Ort keine Spur von Übernachtungsangebot. Aber wenigstens sehe ich in zwei Gärten Leute beim Essen, aber fragen mag ich noch nicht. Es ist noch nicht spät, ich werd schon was finden.
Es kommt ja noch das Château de Beaupré, und ein paar kleine Seen, da ist sicher was los und zum Mindesten ein Campingplatz. Als ich an einem Wäldchen vorbei bin, ein Schild "Beaupré". Das war also das Schloss, ich hab nichts davon gesehen, und an den kleinen Seen ist auch keine Seele. Jetzt werd ich doch nervös!
Es gibt noch einen Ort "Cirfontaines-en-Ornois", hat laut Karte nur 80 Einwohner. Am Ortseingang eine Tafel, dass der Ort am Jeanne d'Arc-Weg liegt und Wandervorschläge. Macht scho mal einen guten Eindruck. Aber es gibt auch im Ort verlassene Häuser, die verfallen.
In einem Hof sitzen zwei ältere Damen im Schatten und ich frage nach Übernachtungsmöglichkeiten. Ja, sagt sie, es gäbe "Chambres d'hôtes" und die Frau im Nachberhaus mache das.
Nebenan arbeitet der Mann im Hof und ich frage. "Chantal" ruft er, und eine nette Frau kommt, der er erklärt, was ich will. Sie gibt mir die Hand. Es wird was. Gegenüber ein modernes Haus, das – was ich rausbekommen kann – der Gemeinde gehört und das 10 Gästezimmer hat, sowie eine große Küche und einen großen Gemeinschaftsraum. Ich hätte Glück, in ein paar Tagen sei alles voll. Ob ich aus Vaucouleurs angerufen hätte? Hab ich nicht .
Domremy la Pucelle (25. Juli)
Meine Lieben,
Meine erste Nacht im Freien habe ich hinter mir, es war sehr romantisch.
Nur konnte ich meine Arme nicht ausstrecken, wie ich's gerne tue, sie waren im Schlafsack gefangen, und wenn ich sie aus dem Schlafsack raustat, lagen sie im Gras und das wollte ich auch wieder nicht. Manchmal bin ich beim Umdrehen auch von meiner Isomatte gerutscht und das Kopfteil des Schlafsackes war immer da, wo mein Kopf nicht war.
Praktisch ist der Beutel mit der Unterwäsche als Kopfkissen, da hat man wenigstens was, wo man sich festhalten kann. Natürch habe ich da nur die gewaschene Wäsche drin.
Ich schlief in Abschnitten, so hatte ich zwischendurch immer wieder Zeit, den Himmel und die Sterne zu betrachten und gegen Morgen den Sonnenaufgang.
Der holländische Vater mit seinem Sohn hatten ihr Zelt so leise abgebaut, dass sie, als ich dann aufwachte, schon reisefertig waren.
Da es im Ort nichts gibt, bin ich den Kilometer nach Greux gegangen, wo ich in der Bäckerei Schokolade trank und ein Schokoladencroissant und ein Blätterteigetwas mit Apfelfüllung dazu aß. Für Mittag nahm ich ein Baguette, ein Glas Rillettes und eine Flasche Orangensaft mit. NIX WEIN!
Da ich schon mal in Domremy bin und mich so darau gefreut habe, habe ich mich in einer nächtlichen Schlafpause entschlossen, hier meinen Ruhetag einzulegen und ohne zu hetzen das Haus Jehannes zu besuchen und auch die Ausstellung.
Das Haus steht nur 10 Meter neben der Kirche in der sie getauft worden ist. In einem modernen Informationsbüro wird man von netten Damen begrüßt, von denen einige auch Deutsch sprechen. Das Geburtshaus ist klein und hat ein Pultdach. Im Erdgeschoß gibt es vier kleine Räume, von dem einen Raum aus, durch den man hereinkommt werden die anderen erschlossen, wobei eines der beiden Kinderzimmer wieder durch das andere gefangen ist.
Laut der Beschreibung haben Jehanne und ihre Schweater in dem einen der kleinen Räume geschlafen, ihre Brüder im anderen. Der Raum, durch den man hereinkommt, wird der Gemeinschaftsraum gewesen sein, wo sich alles was man gemeinsam tat abspielte. Der vierte Raum ist auch vom Gemeinschaftsraum zugänglich, hat aber eine zusätzliche Tür nach außen. Ich könnte mir vorstellen, dass das ein kleiner Stall war, dann hätten die Eltern ein Zimmer oben haben müssen. Eine Treppe geht von diesem Raum hoch.
Dann kann man noch Videos über das Leben und den Prozess ansehen, einer erzählt anhand von Kinderbuchbildern das Leben, in einem anderen werden die Anklagen des Prozesses von Schauspielern vorgetragen, die sich Jeanne immer wieder in den Weg stellen. Man sieht das mit den Augen von Jeanne, Jeanne sieht man nicht, nur ihre Antworten hört man. Leider hab ich davon nur wenig verstanden, aber die Darstellung hat mich beeindruckt.
Die Ausstellung ist wie ein Weg gestaltet und zeigt in vielen historischen Bildern die Umwelt, das Leben und die Gedankenwelt des ausgehenden Mittelalters.
Als Höhepunkt der Ausstellung gilt ein "Theater" mit lebensgroßen historisch gewandeten Puppen, die die wichtigen Personen dieser Zeit darstellen. Ein Sprecher erzählt und die jeweils handelnde Puppe wird angestrahlt.
Somit war der Vormittag vorbei, ich stürzte mich über mein opulentes Mittagsmahl: Baguette mit Rillette, Jus d'Orange und als Nachspeise einen Pomme.
Füße hochlegen bzw. Oberkörper zu den Füßen runterlegen. In der Zwischenzeit hab ich dieses Gerät im Waschraum aufgeladen und gehofft, dass es nicht verschwindet und nun sitze ich da und schreibe. Aber was ist alles in den letzten Tagen passiert?
Nach einem Frühstück mit Croissant und Kaffee auf dem Campingplatz bin ich von Liverdun aus nach Toul aufgebrochen und war um ca. 15.00h dort. Erst geht es wieder lange durch Strassen mit Häusern und wenig los, vor allem auch nichts, das nach Essen und Übernachtung aussehen würde. Aber plötzlich steht man vor einem niedrigen Wall, nach außen als Natursteinmauer, nicht hoch, so etwa drei bis vier Meter, außen ein breiter Wassergraben. Im Bereich der Strasse ist der Wall durchbrochen und man kann rein.
Am Plan habe ich gesehen, dass die ganze Altstadt von ihm auch heute noch umschlossen ist, an einer Seite bildet die breite Mosel, ja die ist da auch noch da, den Graben.
Die Kathedrale oben auf einer Anhöhe in der Altstadt, aber nicht in deren Mitte, ist, anders als in anderen Städten schon relativ weit zu sehen. Also gehe ich gleich dort hin, auch weil die Info dort ist. Auch diese Kathedrale gewaltig, gothisch, aber nicht ockerfarben wie in Metz sondern grau. Und die Westseite, die Eingangsseite ist viel reicher gegliedert als bei den großen Kathedralen die ich bis jetzt gesehen habe.
Ein kleiner Platz davor, aber fast keine Leute. In der Kirche ein kleiner Infostand mit zwei netten Mädchen, die gleich telefonieren und mir eine Herberge nennen, aber ich kann erst zum "Ende des Nachmittags" d.h gegen 6 Uhr rein.
Ich habe viel Zeit die Kathedrale anzusehen, nur eine Frau ist noch mit im Raum und läuft still umher. Was für eine andere Stimmung als in den von Schaulustigen durchwanderten großen Gotteshäusern!
Aber auch da stimmt was nicht. Von Andrea und Anke erfahre ich später, dass hier keine Gottesdienste mehr gefeiert werden.
Ich sehe, dass in den beiden Seitenschiffen Netze unter die Decke gespannt sind, um vor herabfallendem Putz zu schützen, ich sehe auch den Staub auf Figuren, Altären und Möbeln.
Der Innenraum wirkt anders als in den anderen Kathedralen, ernster, kühler, vielleicht kommt es von der grauen Farbe, vielleicht aber auch daher, dass der Altarraum mit weißem Marmor umkleidet ist. In Kassetten gibt es allerdings farbige Bilder. Auch mehrere Seitenaltäre sind in Marmor ausgeführt, und es scheint, dass auch Wandflächen der Seitenschiffe verkleidet waren.
Also suche ich nach einem belebten Platz und einem Cafe. Es geht durch verwinkelte enge Gassen, malerisch, romantisch, aber fast ausgestorben. Schließlich finde ich den "Place ronde", Cafés, Bistros, Leute, Verkehr, auch das tut mal wieder gut! Ich trinke Chocolat, weil ich gemerkt habe, der viele Kaffee tut mir nicht so gut, und breche zu meiner Herberge auf. A.R.C.H.E. heißt das Haus. Zwei Frauen heißen mich willkommen und zeigen mir das Zimmer. Aber erst solle ich noch einkaufen gehen oder zum Essen. Ich gehe einkaufen bei CORA, einem Supermarkt und komme mit Baguette, Pâte capagnard, Käse, Honig, Wasser und einer Flasche Wein zurück, vor allem der Wein erstaunt die beiden, es ist ja nur ein Abend. Ich lade die beiden zu einem Gläschen ein, aber nur eine nimmt an, die andere trinkt Wasser. Marie-Louise ist Elsässerin und spricht perfekt Deutsch. Die beiden sind Ordensschwestern, Marie-Louise vom Orden "der Göttlichen Vorsehung, Rappoldsweiler", die andere vom Orden "Jean-Paul".
Das Haus in dem ich nächtige ist eine Herberge für Angehörige von Gefangenen, die ihre Leute in einem der beiden Gefängnisse besuchen. Daei werden sie auch sozial und psychisch betreut. Das ist ein Problem, an das ich noch nie so gedacht habe. Das Leid und die Probleme, die über die Familien hereinbrechen, wenn ein Angehöriger ins Gefängnis muß, schuldig oder unschuldig.
So, jetzt wird noch geklärt, dass ich keine Bettwäsche brauche, ich habe ja ein Inlett, und die beiden bleiben auch im Zimmer als ich meine Schuhe ausziehe. Die Schwester von "Jean-Paul" eilt zum Fenster und sagt was, Marie-Louise sagt was beruhigendes von "ganzem Tag", das Fenster bleibt dezenterweise geschlossen, ich machs dann natürlich auf.
Ich speise ausgiebig und schreibe Euch auch ein bisschen dabei und die Flasche Wein wird dabei leer. Um 1/2 10h werde ich von den beiden lieben Schwestern, die erstaunt sind, dass die Flasche schon leer ist, ins Bett geschickt.
Das habe ich jetzt am Schluß im Waschraum auf dem Campingplatz von Domremy geschrieben, an meinem Schlafsack hab ich keine Steckdose!
Euer Siegfried
Domremy la Pucelle (24. Juli)
Ich sitz gerade vor der Bar "Table de Jehanne" in Domremy bei einem Glas Weißwein.
Gerade haben mich Anke und Andrea verlassen, die ich gestern in Vaucouleurs kennen gelernt habe. Sie gehen morgen nach Süden weiter Richtung Le Puy über Dijon, während ich ab morgen oder übermorgen nur noch nach Westen gehen werde.
Wie Ihr sicher festgestellt habt, sind meine Briefe die letzten Tage ausgeblieben. Es war zu viel los und ich glaube, ich bin doch manchmal in Streßsituationen gekommen, die mich so beschäftigten, dass ich keine Ruhe zum Schreiben gefunden habe.
Es scheint mir, jetzt geht das fröhliche Wandern zu Ende und der Ernst des Pilgerns beginnt.
Anke und Andrea erschienen gestern gegen Abend an der Türe des "Frühstücksraumes" des Hotels, das jetzt nur noch Chambres d'hôtes anbietet und wir sprachen kurz perfekt französisch miteinander, bis eine der Beiden fragte, welche Nationalität ich denn hätte.
Die beiden sind Lehrerinnen aus Bochum und machen jedes Jahr eine Fernwanderung. Sie sind auch schon vor einigen Jahren den Weg gegangen, den ich jetzt gehen will. Die Strecke bis Vezelay wird ihren Erfahrungen nach noch recht entbehrungsreich sein und in der Zwischenzeit glaube ich ihnen das auch! Also liebe Leute, denen ich vom guten Essen in Frankreich vorgeschwärmt habe, daraus wird nichts! Das französische Land ist genauso ausgestorben wie das deutsche. Wenn Ihr Pech habt, und das hab "ich" oft, bekommt Ihr nicht mal ein Baguette in einem Ort.
Heute sind die beiden schon vor mir aus dem Chambre d'hôtes aufgebrochen, aber weil sie etliche Pausen eingelegt haben und am Schluß auch den Waldweg gegangen sind und nicht wie ich die Landstraße, sind sie 100m nach mir in Domremy eingetroffen, sie haben mich gesehen, aber ich sie natürlich nicht.
Domremy la Pucelle, der Ort, an dem die dritte Frau geboren ist, die ich auf meiner Wanderung heimsuchen will. Johanna von Orléans, Jeanne d'Arc, oder wie sie hier sagen "Jehanne".
Der Ort hat nur 200 Einwohner, er macht nichts, gar nichts aus seiner Johanna.
Ich bin durchgewandert der Straße nach, die Mairie (Rathaus) mit den obligatorischen Fahnen, dann ein kleiner Wegweiser "Geburtshaus der Jeanne d'Arc" natürlich auf französisch. Ich bin müde, bin verschwitzt, es ist um 1/2 4 Uhr rum und ich möchte ein Quartier. Wenn jemand was weiß, dann die im Informationsbüro. Ich bringe meinen Spruch vor von wegen Herberge und Pilger, natürlich in französisch, aber schon etwas mehr verwirrt als normal. Ich hatte seit dem kärglichen Frühstück mit zwei Marmeladenbroten und dem Rest meiner Creme fraiche von gestern und dem Rest des Müslis nur noch 3/4 Liter Wasser getrunken und zwei Nektarinen gegessen!
Ihrer Meinung nach gibt es nichts im Ort, aber eine der beiden netten Mädchen telefoniert mit jemand der Chambres d'hôtes anbietet. 40€ die Nacht. Alles belegt. Ansonsten haben sie nur noch Prospekte über Unterkünfte in der Umgebung, d.h. im Umkreis von 20km. Für einen Fußgänger sehr verlockend.
Ich denk mir, überall haben sie gesagt, in Domremy sei's kein Problem, da sind zwei Klöster, die nehmen Pilger auf! Nur wo sind die zwei Klöster.
In der Info wissen sie offensichtlich nichts davon, sonst hätten sie mich, so nehme ich doch an, darauf hingewiesen. Ich dreh noch eine Ehrenrunde durch den kleinen Ort, das einzige noch größere Gebäude, das ich mir als Kloster hätte vorstellen können ist die Schule "Jehanne d'Arc". Jetzt bleibt nur noch der Weg zur Basilika, die ist aber 2km entfernt im Wald, heißt ja auch "Basilique du bois chenu" (vom Wald umschlossen) nochmal eine echte Herausforderung nach über 20km mit nur einem spärlichen Frühstück im Bauch und zwei Nektarinen und 3/4 Liter Wasser unterwegs.
Was sehe ich oben am Berg, gleich neben der Basilika! "Access de Pelegrins" – also da ist sie, die Pilgerunterkunft und Erholungsstelle. Aber bloss bis ich drinnen bin. Es ist bloss ein Restaurant, das sich mit dem schönen Namen schmückt! Man sagt mir, in Domremy, wo ich gerade herkomme, gäbe es Unterkünfte. Ich frage nach dem Kloster: Hinter der Kirche, wird mir gesagt.
Vorsichtshalber gehe ich jetzt erst in die Basilika. Unten eine kleine Kapelle mit einer schönen lächelnden Muttergottes mit Kind. Ich stecke eine Kerze an für Euch und ein bisschen auch für mich.
(Am Vormittag hab ich schon eine Kerze für Euch alle in einer Kapelle unterwegs angezündet.)
Dann schaue ich mir noch die Basilique an, zu der man über gewendelte Treppen hochkommt. Es ist ein neugothischer Bau mit großen Gemälden über das Leben Jeanne d'Arcs an den Seitenwänden.
Geistig gestärkt kann nichts mehr passieren. Gegenüber vom Kircheneingang ist eine Klingel, aber die schaut nicht nach Kloster aus; aber schräg unten sehe ich etwas, das ganz nach Kloster aussieht und schöne Gesänge von sphärischen Frauenstimmen höre ich auch. Ich läute und habe wenig Hoffnung, dass jemand aufmacht, wenn alle am Singen sind.
Eine farbige Schwesternhelferin macht auf. Ich tu mir nach den Anstrengungen des Tages, dem Hunger und dem Durst mit Französisch schon ein bisschen schwer und schau auch vielleicht nicht mehr so attraktiv aus wie ich's gern möchte. Sie geht nachfragen und kommt zurück. "Unterkünfte gibt es in Domremy!".
Ich gebs auf, entschließe mich, nach kurzer Anwandlung mein Bett vor der Basilika aufzuschlagen, auf den Campingplatz zu gehen. Der ist nicht weit, fast in der Ortsmitte. Die Campingmutter sagt "Ah, ein Pilger, kostet nichts" und ich suche mir einen Platz neben einem holländischen Vater mit Sohn, Fahrrädern und Zelt, dusche, gehe nochmal in den Ort und treffe im einzigen Bistro: Anke und Andrea!
Und so hatten wir uns doch nochmal getroffen. Sie werden unsere Seite ansehen und mal was schreiben, und dann wisst Ihr, wer das ist.
Jetzt ist's stockdunkel und bevor der Strom aus ist, schicke ich das los und dann verbringe ich meine erste Nacht im Freien.
Euer Siegfried
Liverdun (21. Juli), Toul (22. Juli), Vaucouleurs (23. Juli)
Meine Lieben,
Ihr seht, ich habe schon wieder Schwierigkeiten mit dem Schreiben nachzukommen.
Manche denken vielleicht, jetzt hat er's aufgegeben und sitzt vielleicht schon schon still und vergnügt daheim in Wiederau und läßt sichs gut gehen. Andere denken vielleicht, ich hätte dem Wein zu viel zugesagt und dabei Euch vergessen. Wieder andere sehen mich verirrt im Wald, nach Wasser lechzend am letzten Krümel Baguette nagend, dieweil schon die Wildschweine schmatzend mich umkreisen.
Nichts von alledem ist eingetreten!
Ich bin nur einfach nicht zum Schreiben gekommen, entweder weil ich keine Zeit dazu hatte, d.h. mit lauter Essen und savoir vivre zu beschäftigt war, oder nach einem Tag Laufen beim Schreiben einfach eingeschlafen bin.
Aber jetzt geht's los:
Liverdun.
Der Weg von Vandières nach Liverdun geht, wie immer wenn die Mosel wieder eine besondere Schleife macht, über die Berge. Ich hätte auch nach Nancy gehen können, eine schöne Stadt mit einer gewaltigen Kathedrale, aber das wollte ich mir aus finanziellen und zeitlichen Gründen sparen. Liverdun ist der Beschreibung nach ein mittelalterliches Städtchen mit einer Burg und einem Informationsbüro, so war ich sicher, dass übernachtungsmäßig keine Probleme zu erwarten seien.
Es ging von Vandières aus erst mal lange hoch, es ging durch Wälder niedriges Gehölz und zwischen Feldern durch. Schließlich war ich nur noch eine gute Stunde davon entfernt, bald bin ich da. Die Dusche wartet, ein gutes Abendessen und ein Glas Wein.
Ein Mann wünscht mir beim Vorübergehen "bon courage".
Ich überlege mir was ich Euch schreiben kann. Es war heute ja nichts besonderes los. Landschaftbilder, das Verhalten von Fluginsekten beim Auftauchen einer hochgerichteten, nassen, zappelnden und schnaubenden Gestalt: Manche umrunden mich wie Düsenjäger minutenlang, finden aber keinen Landeplatz, manche, die ganz kleinen, fliegen ständig vor den Augen umher, sie sind offenbar von den dunklen Pupillen fasziniert, oder wenn der Mund auf ist, schaun sie auch da mal kurz rein, da heißt's dann spucken oder blasen. Die vor den Augen verschwinden, wenn man die Augen schließt, aber dabei wäre ich einmal fast in einen Graben gefallen. Seitdem klappe ich die Augendeckel nur so weit zu, dass ich unten noch ein bisschen rausschauen kann.
Bei diesen Gedanken bin ich im Wald an einen Punkt gekommen bei dem ich glaubte abbiegen zu müssen, um dahin zu kommen wo ich hinwollte. Irritierender Weise war da nicht die gewohnte rote Markierung "GR5" sondern ein roter Punkt an einem Baum. Nach einer Viertelstunde sollte eine Ferme (Bauernhof) kommen und eine Kurve. Weder das eine noch das andere kam so wie es sollte. Ich dachte mir, da stimmt wieder gar nichts im Plan und lief weiter. Der Weg wurde immer schmaler und nun war ich doch schon ein bißchen im Zweifel. Laut Plan sollte er breiter werden. Aber zum Zurückgehen schiens mir schon zu weit. Da plötzlich höre ich hinter mir "attention!", ein Radfahrer! Mitten im Wald, wenn den nicht wieder St. Jakobus geschickt hat. Ich rufe ihm, während er sich an mir vorbei schlängelt zu, ob das der Weg nach Liverdun sei. "Oui!", Ja! Und weg ist er. Kurz darauf eine Abzweigung, ja wohin jetzt. Radlspuren kann ich weder auf dem einen noch auf dem anderen Weg finden. Ich entscheide mich für den linken. Nach einiger Zeit merke ich, dass ich am Waldrand, aber im Wald laufe. Durch Gebüsch schlupfe ich aufs freie Feld, ein abgeerntetes Getreidefeld, von weitem sehe ich wieder einen Radlfahrer, aber zu weit weg um Kontakt aufzunehmen. Ich vergleiche Landschaft, Waldgrenzen, erkennbare Wege mit der Karte und nichts stimmt überein, in der Zwischenzeit ists 1/2 6 Uhr! Jetzt werd ich doch langsam nervös, allerdings hat der Tag seinen Höhepunkt, die Tagessensation ist da!
Ich frage mein GPS! Eigentlich Ehrensache unter Pilgern und Fernwanderern, dass man das nicht tut, aber es sieht ja keiner.
Nach langem Überlegen sagt GPS, 150m in eine Richtung, die ich nicht gewählt hätte. Dann ruf ich die Karte ab, GPS sagt, das wird aber evt. teuer, du bist nämlich im Ausland! Aber allein auf einem abgeernteten Getreidefeld, um 6 Uhr abends, von französischen Wildschweinen umgeben, dreht man den Pfennig nicht mehr um.
Die Karte des GPS zeigt mir, wo Liverdun liegt, es liegt in bißchen woanders als ich geglaubt habe, aber GPS wird's schon wissen. Ich laufe, in der Zwischenzeit bin ich schon so ein routinierter Geher, dass die Füße bloss den Befehl kriegen müssen, dann rennen sie los, hilfreich ist es dabei, den Chef des ganzen Unternehmens, den Kopf, der ja alles steuert, und den dazugehörigen Oberkörper etwas vorzubeugen, dann haben die Füße zu tun dass sie nachkommen.
Nach 20 Minuten eine große Wanderwegkreuzung, DIE KREUZUNG an der ich hätte abbiegen müssen, wenn ich richtig gegangen wäre! Aber jetzt bin ich zu der Kreuzung tatsächlich zurückgelaufen gewesen.
GPS hat mir was Falsches gesagt oder ich habs nicht richtig verstanden. Aber immerhin, jetzt hab ich den richtigen Weg, die "ferme" ist auch da, die Kurve kommt, wie im Plan und der Weg wird breiter und schließlich bin ich in Liverdun.
Das erste Pärchen frag ich gleich nach einem Hotel, denn die Info hat sicher schon zu, es schaut auch schon dämmerig aus.
Hier gibt's kein Hotel und auch sonst nichts zum Übernachten! Diese Auskunft um 7h abends! Höchstens vielleicht am Bahnhof.
Durch die schöne mittelalterliche Stadt hoch oben über der Mosel komme ich zur Info und auf dem ausgehängten Plan sehe ich, dass das nächste Hotel 6km weit weg ist und zwar in der entgegen gesetzten Richtung meiner Wanderung. Kommt nicht in Frage! Aber ich sehe auch, dass es einen Campingplatz gibt. Also auf zum Campingplatz. Steil runter zur Mosel, an schönen alten Häusern vorbei, durch enge Gassen, denen ich aber völlig humorlos nur grimmige Blicke gönne.
Auf dem Weg zum Campingplatz komme ich unter der Moselbrücke durch, zwischen Brückenpfeiler und Mosel wäre ein romantisches Plätzchen frei, ich ziehe es kurz in Erwägung, entscheide mich dann doch für den Capingplatz.
Eine kleine Frau, etwa so breit wie hoch, nimmt mich auf und gestattet auch freundlich, dass ich unter dem Vordach der Garage mein Lager aufschlage, aber das will ich erst wenns richtig dunkel wird. Ich bewege mich beim Gang ins Bett dann ja schließlich auf dem Tablett.
Ich speise noch auf der Terrasse: Tomaten mit Anchovis, Andouillette mit Pommes frittes, Wein, Kaffee.
Jetzt wird's ernst, Rucksack genommen, auf unters Vordach! Grade frag ich mich, ob ich vornehm und wie den Schlafanzug anziehen soll, da kommt der Wirt, figurmäßig seiner Frau angeglichen, und bietet mir, nach der Frage wann ich aufstehen wolle, das Behinderten-WC als Nachtlager an, ich könne es auch versperren. Nun konnte ich mich, wenn auch ein wenig beengt, doch im intimer Umgebung umziehen. Und einen Vorteil hatte das, das WC war im Raum!
Es ist schon wieder spät, das andere morgen, versprochen!
Siegfried