3
Juli
2008

Obernhof (29. Juni)

Geschrieben von Siegfried | Kommentare: 0

Heute war einer der anstrengendsten Tage, um es gleich vorweg zu sagen, dabei wollte ich es heute, da es Sonntag ist, ja gemütlich angehen.

In meinem geliebten Jakobswegführer steht für die Tour "schwer".

Dabei empfiehlt er aber die Tour von Dietz bis Nassau zu gehen. Ich hab die Tour schon verkürzt von Balduinstein bis Obernhof, also 12 km weniger, insgesamt dürfte ich heute demnach also ca. 14 km gelaufen sein.

Außerdem habe ich beim ersten Abschnitt, von Balduinstein aus, auch noch ein bisschen geschwindelt und bin statt auch noch zur Schaumburg rauf zu laufen gleich auf der Landstrasse außen rum, bis dort hin wo der Jakobspfad/Lahnhöhenweg die Landtrasse wieder kreuzt. Eigentlich schon ein kleines Erfolgserlebnis! Aber dann gings los. Erst hoch zum Steinsberg. Zunächst voll Erwartung einer besonders schönen Aussicht auf die Lahn oder wenigstens den Westerwald, aber nichts wars. Dann gings wieder runter, zum Teil durch wunderschöne Wälder, manchmal spitzen auch die Felsen an steilen Abhängen heraus.

Runter geht's dann fast wieder bis auf Lahnhöhe, dann wieder steil hinauf, an einem Zaun vorbei, hinter dem ein bissiger kleiner Hund ein mords Theater aufführt. Einmal kläfft er von ganz vorne, weil er hinter seinem Zaun nicht genau mitbekommt wo ich bin, dann hinten, dann entdeckt er mich und giftet mich bellend und knurrend direkt an. Mit meinen beruhigenden Worten, und auch mit meinem verhaltenen Gebell kann ich keinen Kontakt herstellen und Frieden stiften. Aber schließlich ist der Zaun zu Ende und es geht wieder nach oben.

Heute kommt mir ein Wanderer entgegen, der fast so aussieht wie ich! Bart, Rucksack, Alter. Wir bleiben stehen und reden ein bißchen. Er kommt aus Nassau und will bis Balduinstein gehen. Er war schon um 7.00h früh los gegangen. Macht aber nur Tagestouren und fährt dann wieder. Ich frage mich, was er in seinem Rucksack alles mitträgt, da er genauso gefüllt aussieht wie meiner. In meinem ist dagegen mein ganzer Haushalt für ein halbes Jahr drin.

Über die noch vor mir liegende Strecke hör ich Schreckliches! Immer nur rauf und runter. Ein anderes älteres Paar fragt, ob ich meine Machete dabei hätte, es ginge auch einmal durch Brennesseln.

Und da ging ich auch durch, aber erst nachdem ich mich verlaufen hatte.

Ein junger Mann, der sich grade an der Lahn sonnte, und zwei schwarze, große Hunde, so eine Art Dobermann, begrüßten mich. Er, tätowiert, zeigte mir den richtigen Weg, und um nicht zurück gehen zu müssen, könne ich gleich hier über die Gleise. Und da sah ich auch die Brennesselstrecke! Einer der Hunde war schon drüben. Ich nach, der Hund vor mir. Der Mann rief Ike! Aber Ike hörte nicht. Ich ging langsam, Ike vor mir. Der Mann rief "Ike zurück". Ich hatte den Eindruck, Ike hatte mich adoptiert. Ich blieb stehen. Der Mann kam barfuß über den Schotter der Bahntrasse, dann, er hatte ja nur eine Badehose an, so auch durch die Brennesseln. Ich blieb stehen, damit Ike ihn wieder sehen könne. Aber Ike war schon im Wald. Der Mann sagte, ich könne ruhig weitergehen, der Hund käme schon wieder. Ich ging weiter, der Hund immer vor mir, von Zeit zu Zeit blieb er sitzen und wartete, ob ich käme. Die Ike-Rufe wurden immer leiser. Ich sah mich schon mit einem neuen Begleiter, einem verspielten aber gefährlich aussehendem Dobermann.

Nun hatte ich eine Idee! Was macht der Hund wenn ich mich umdrehe und wieder zurückgehe? Ja, er tuts! Er überholt mich, läuft 50m voraus, setzt sich und wartet ob ich komme. So geht's wieder ein bißchen zurück, bis er hinter einer Bodenwelle verschwindet. Er sitzt wieder, ich sehe nur noch die Ohrenspitzen. Aber er hört, so vermute ich wieder sein vertrautes "Ike", steht auf, schaut traurig zu mir und läuft, Gott sei dank, zu seinem Herrchen zurück.

Ich steh wieder an einem der angepriesenen Ausichtspunkte: "Vierseensicht". Aber ich sehe keine vier Seen, nicht einmal einen, und von de Lahn auch nur ein Zipfelchen. Schließlich ein Aussichtspunkt, der mich interessiert: Obernhof! Weit weg und weit unten. Und das Lahntal ist hier zwischen den bewaldeten Hängen, auf einem von denen stehe ich ganz oben, ganz eng, nur Strasse und Bahn haben daneben noch Platz. Gott sei Dank, jetzt geht der Weg endlich auch nach unten. Auf einem Saumpfad, bis zu 45Grad geneigt, zum Teil Stufen, aber kaputt, dann stehen Rundeisen aus dem Boden raus. Wenn man da ausrutscht und hinfällt!

So, unten. Der Wegweiser zeigt nach links, ein breiterer Weg, er führt wieder nach oben. So gings ein paar Mal. Eine Tortur, es war schließlich schon 5.00h! Und ich war seit 1/2 10h auf den Beinen. Erst kurz vor Obernhof geht's auf einem schmalen Saumpfad endgültig nach unten und ich bekomme beim zweiten Mal fragen auch ein günstges Quartier!

Und jetzt hab ich auch schon Lahnwein getrunken, Obernhof ist jetzt nur noch der einzige Ort an der Lahn wo Wein angebaut wird. Der Wein ist halbtrocken und schmeckt fein und fruchtig. Schade, aber die Arbeit an den sehr steilen Hängen bringt wohl nicht genügend Geld ein, damit ein Winzer davon leben kann.

Gegenüber von mir, hinter den Häusern auf der südlichen Lahnseite erhebt sich weiß und ockerfarben eine Kirche mit vier Türmen: Kloster Arnstein. Auch aus der Zeit des 12. Jahrhunderts. Es war hier damals wirklich schon allerhand los!

Übrigens, Selters, der Ort, aus dem das Selterswasser kommt, liegt auch an der Lahn.

Von der ganz ruhig dahinfließenden Lahn grüßt Euch alle herzlich

Siegfried

29
Juni
2008

Balduinstein (28. Juni)

Geschrieben von Siegfried | Kommentare: 1

Hallo liebe Leute,

Heute habe ich ein bisschen einen inneren Kampf ausgefochten: Einerseits will ich natürlich möglichst weit, andererseits sagt die Vernunft: "Schone dich". Und die Bequemlichkeit sagt auch: "Schone dich". Und die Vernunft sagt: "Der Gescheitere gibt nach, es ist ja ohnehin 1:2 gestanden". Und so habe ich mich hier, mitten im engen (hier ist es wirklich ENG!) Lahntal, in Balduinstein, einquartiert im Gasthof "Hergenhahn", zu Bedingungen, die meine Finanzministerin wohl akzeptieren kann.

Weiter wären es noch mindestens eine bis zwei Stunden gewesen und unterkunftsmäßig mit unsicherem Ausgang (heute ist immerhin Samstag).

So saß ich hier erst vor einer halben Weißbier, dann vor einem gedeckelten Apfelkuchen (sehr fein!) und einem Kännchen Kaffee. Und jetzt einem Viertelchen Rotwein.

Hier ist offensichtlich Ausflugsgegend, obwohl man eigentlich nicht sieht, wo die Leute herkommen und wo sie hinfahren. Obwohl's hinter mir und vor mir hoch hinaufgeht, noch dazu bewaldet, fahren ständig Autos vorbei, direkt am Biergarten, der ist nur ca. zehn Meter tief, dann gehen die Felsen hoch. Seitlich vor den Felsen steht der Gasthof, und mein Zimmer hat das Fenster zum Biergarten. Ich hab der Wirtin gesagt, das mache mir nichts aus, hab ja schließlich gestern das Altstadtfest von Limburg auch überlebt.

Gleich hinter der Straße verläuft die zweispurige Bahntrasse und dahinter fließt die Lahn! Drüben geht's nach der Lahn wieder hoch. Bin gespannt, wie ich da morgen wieder rauskomme. Ohne kräftiges Steigen wird's wohl nicht gehen.

Übrigens, auch Züge verkehren hier (optisch so eine Art Regionalexpress) und Schiffe! Von Jachten mit Schönheiten, die sich vor dem Kapitän auf der Motorhaube (?) räkeln, bis zu geschmückten Ausflugsschiffen mit lauter Musik, aber auch Kanus mit tüchtig paddelnden Wasserwanderern kann man sehen.

Jetzt habe ich den Biergarten verlassen, war kurz in der Kirche, hinten offensichtlich die Mesnerin, die für einen Beter oder Interessierten aufgesperrt hatte, vorne der tief in Andacht versunkene. Ich grüßte die Mesnerin beim Eintreten kurz, und sie grüßt zurück, offenbar dankbar, dass sie nicht nur für einen Interessierten aufgesperrt hatte. Nach einer kurzen Besinnungspause in der Kirche ging ich wieder. Die Mesnerin, die sich nun auch in eine Bank gesetzt hatte, mit Zunicken grüßend. Sie grüßte freundlich zurück, mit den Schlüsseln klingelnd, um den andächtigen Beter aus seiner Versenkung zu erwecken. Leider gibt's halt auch sehr rücksichtslose "Andächtige".

Die Ruine Balduinstein sah ich von unten, auch ein Haus, für das für einen Teil seiner Außenwände Natursteinmauern alter, nicht mehr existierender Gebäude unterhalb der Burg genutzt werden.

Weit oben steht Schloss Schaumburg, auch weitgehend verfallen. Da, ca. 200 Meter hoch, will mich mein geliebter Jakobswegführer morgen hinaufhetzen. Lass ich mich aber nicht! Die echten Jakobspilger der alten Zeit wären früher auch nur dann auf so einen Berg gestiegen, wenn's partout keinen anderen Weg gegeben hätte, oder oben ein gutes Essen gelockt hätte, oder eine sichere Unterkunft, vielleicht aber auch, wenn oben eine Hilfe versprechende Wallfahrtskirche gestanden hätte.

Aber heute finde ich solche völlig unbegründbaren, das eigentliche Ziel eher abwertenden "Höhepunkte" völlig sinnlos, selbst wenn hie und da Spuren des alten Pilgerweges dort zu finden wären. Da halte ich es lieber mit Jean-Philipp! Der Weg führt für den Pilger nach Santiago de Compostella – und heute wie früher auf den zur Zeit besten Pfaden. Man braucht Essen, erschwingliche Übernachtungsmöglichkeiten, einigermaßen begehbare Wege und Zwischenziele, die zum Thema Pilgern passen: Bei Jean-Philipp primär die Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts – Auschwitz, Sedan usw. oder auch moderne Wallfahrts- oder Gedächtnisorte – zum Beispiel die Geburtsstadt von Johannes-Paul VI.

Bei mir sind diese Zwischenziele Kirchen und Orte an denen große Persönlichkeiten gewirkt haben, oder an denen Persönlichkeiten gedacht wird, die mich in meinem Leben beeindruckt haben: Ute, Elisabeth, Jeanne-d'Arc (das sind jetzt zufällig lauter Frauen...). Oder auch Bauwerke, die für ihre Zeit prägend waren: zum Beispiel Limburg, Wetzlar.

Heute habe ich so schön Zeit und anders als in einer Stadt, Muße zum Schreiben, aber ich hör gleich auf.

Zunächst noch was zum Ort "Runkel", in dem ich vor zwei Tagen übernachtet habe. Dessen Name erinnert an Runkelrübe. Aber hat damit nichts zu tun, es sei denn die Runkelrübe kommt von da und dem Autor meines Führers ist was entgangen.

Mein Jakobswegführer weiß zu berichten, dass vor langer Zeit ein "von Soundso" in Santiago war und nach dem Zurückkommen in Erinnerung an den Ort in Frankreich, den man am Fuße der Pyrenäen passiert (und den auch ich, so ich es so weit schaffe, Anfang Oktober durchwandern werde): "Roncevalles", diesen Ort an der Lahn gründete und ihn Roncevalles benannte. (Vielleicht hatte er ja dort jemand netten kennen gelernt.) Im Lauf der Jahrhunderte sei dann der Name "Runkel" daraus geworden.

In Dietz, ca. fünf Kilometer lahnabwärts von Limburg, wurde ich heute von einem ganzen Bataillon historischer Soldaten mit Tommelwirbel empfangen!

Und habt Ihr das mitgekriegt! Zwischen Limburg und Dietz verläuft die Landesgrenze zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz. Nach Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Hessen bin ich nun im fünften Bundesland!

Kurz zur Lahn. In der Gegend von Marburg bis Wetzlar gab es praktisch kein Lahntal, so breit war das. Viele Getreidefelder, Wälder nur in der Ferne. Ab Limburg wurde das Lahntal immer schmaler und jetzt führt nur noch die Bahn durch und ein Fahrrad- und Fußweg, sehr schön!

Vom besinnlichen Ufer der Lahn Euch Allen ein "zum Wohle!" (aber Lahn-Wein gibt's hier noch nicht!)
Siegfried

PS: Bin heute auch an Fachingen vorbeigegangen, und geglaubt hab ich's erst, dass dieser kleine unbedeutende Ort das bekannte Mineralwasser fördert, als ich die Traglstapel gesehen habe. Habe mir zum Abendessen auch gleich einen halben Liter zum Wein genehmigt, da dieses Wasser laut Goethe "zur Befreiung des Geistes" (Goethe, 1817) diene.

Mir hat es in akustischer Weise demonstriert, wo mein Darm verläuft. Mal hat es links oben leise gesäuselt, mal rechts unten gegurgelt, dann in der Mitte gegrummelt. Genauer will ich Euch das jetzt nicht schildern, kann ja jeder selbst ausprobieren. Fazit: Es befreit nicht nur den Geist... Aber Goethe wollte das vielleicht nicht so direkt sagen.

28
Juni
2008

Limburg (27. Juni)

Geschrieben von Siegfried | Kommentare: 0

Hallo, Ihr Lieben,

heute habe ich mir einen leichten Tag gemacht, ich bin nun ungefähr zwölf Kilometer gelaufen. Die letzten Tage waren doch wieder ganz schön anstrengend gewesen. Gestern waren es sicher so um die 24 Kilometer, und ich war außer während ein paar kurzen Pausen doch von neun Uhr morgens bis sechs Uhr nachmittags auf den Beinen. Und da schmerzt dann die rechte Ferse sogar im Bett, wenn sie hinten aufliegt. Besser ist es, wenn ich den rechten Fuß über den linken lege, so dass die Ferse frei liegt. Ja Leute, das sind halt so Details. Und die rechte Hüfte schmerzt dann auch ein bisschen.

Heute also bin ich in Limburg und bin schon kurz nach zwölf Uhr hier angekommen.

Natürlich hatte ich beim Weggehen aus Runkel auch wieder eine Ehrenrunde gedreht und ich regte mich wieder einmal unpilgermäßig über den Führer auf. Obwohl ich auch die Wirtin gefragt hatte, und sie das als einfach beschrieben hatte, lief ich schließlich einen ganz kleinen, unmarkierten Saumpfad an der Lahn entlang, der wunderschön unter Felswänden durch Mischwald führte und meine einzige Hoffnung war, dass er nicht irgendwo im Nichts enden wolle. Einige Male entdeckte ich frische, so meinte ich, Stockspuren eines Wanderers, ich dachte an meinen französischen Kollegen, dann veränderten sich diese "Stockspuren" zu kleinen Hufspuren, vielleicht eines Rehes, und dann waren sie auch plötzlich wieder ganz verschwunden.

Die auf der anderen Lahnseite verlaufende Bahnlinie sollte meiner Karte nach, mal auf mein Ufer rüberkommen, tat sie aber nicht, aber der Weg ging nun stetig nach oben und von der Lahn weg und plötzlich war die blau-gelbe Markierung des Jakobsweges wieder da und auch die des Lahnweges. Vermutlich hatte ich die schönere und weniger anstrengende Route genommen gehabt, vielleicht wächst mir jetzt langsam auch so eine "nez" wie Jean-Philipp!

Der Führer "Der Jakobsweg von Wetzlar nach Lahnstein" ist, was die Wegbeschreibungen angeht eine Katastrophe!

Gut gemeint sind dort Wegbeschreibung mit Orts- und Sehenswürdigkeiten-Beschreibungen kombiniert, und so ist die Sache schon mal recht unübersichtlich. Sucht man einen Weg, interessieren einen kaum die Sehenswürdigkeiten die am Wege stehen, falls man überhaupt auf dem richtigen Weg ist. Oder ist das nur bei mir so?

Schon in Wetzlar ging's so los, da bin ich rechts 200 Meter über die Lahnbrücke gelaufen, obwohl ich wusste, dass ich eigentlich auf der diesseitigen Seite bleiben sollte, aber im Führer steht: "[...] gehen durch die Silhöfertorstrasse bis zur viel befahrenen Schützenstrasse, dann bis nach unten zum Ernst-Leitz-Platz. Sie passieren in der Altstadt viele schöne, alte Fachwerkhäuser. Die bedeutsamen sind durch Tafeln beschrieben. [...] Am Ernst-Leitz-Platz angekommen, sehen Sie schräg gegenüber das Neue Rathaus" – woher soll ich das wissen, außerdem steht's ziemlich unsichtbar weiter hinten – "und vor sich das Verwaltungsgebäude der Firma Leica. Im dritten Stock des neuen Rathauses ist die Sammlung der historischen Mikroskope von Leitz untergebracht. Die Öffnungszeiten [...]. Die viel befahrene Strasse unterqueren Sie durch den Fußgängertunnel. [...]" Der Mann hat Sorgen!

Manche Jakobsjünger werden natürlich jetzt sagen: Der heilige Jakobus hat Dich deswegen über die Brücke gehetzt, damit Du die schönste Ansicht des Wetzlarer Domes siehst und fotografieren kannst und auch die Alte Lahnbrücke.

Man kann auch durchaus im Zweifel sein, ob das Riesengebäude das da steht, das Verwaltungsgebäude von Leitz ist. Ich hielt es für die Fabrik, schon wegen der großen Uhr an der Front!

Wäre im Führer gestanden: "Überqueren Sie die Straße", wäre alles klar gewesen. Er braucht nicht detailliert anzugeben, wie die Strasse zu überqueren ist, und wo man vorbeigehen muss! Gut, schließlich fand ich den Weg eine viertel Stunde später, aber auch hier schon sauer.

In Braunfels steht im Führer: "Sie stehen vor dem Hotel [...]"

Ich definierte: Ich trete aus dem Hotel (ich hatte im Gasthof nebenan logiert und für mich war das eindeutig!) – und so lief ich prompt in die falsche Richtung. Da die Straßenbezeichnug nicht stimmte, fand ich sogar die richtige Strasse (nur in die falsche Richtung) mit Hilfe von netten Einwohnern – auch durch komplizierte Angaben in einem Führer kann man nette Kontakte anbandeln. Ist das vielleicht die Absicht des Autors?

In Weilburg schreibt er, Ausgangspunkt sei der Schiffahrtstunnel. Nur: Ein Tunnel hat zwei Eingänge! In dem Fall wurde ich nicht auf die Probe gestellt: Ich hatte ja Jean-Philipp mit seiner "nez" vorher getroffen.

Also auf der Strecke nach Limburg war ich nun wieder auf dem richtigen Pfad. Von weitem sah ich schon die ICE-Brücke und die Autobahnbrücke über das Lahntal. Von der Autobahnbrücke aus hatte ich ja schon öfter den Dom von Limburg gesehen. Dann plötzlich in einer kleinen Waldnische ein Bildstöckel mit frisch gepflanzten Blumen davor: Die "Mater Ter Admirabilis" der Schönstattbewegung, der ich bis zum Ende meiner Schulzeit in München angehörte. Ich machte eine kleine Besinnungspause und fühlte mich aufgehoben und beschützt.

Beim Weitergehen sehe ich auf einer Anhöhe die Kirche von Dietkirchen (auch einmal ein Lob dem Führer). Nun geht's unter ICE- und Autobahnbrücke durch, und schon bald erscheint der Limburger Dom hoch über der Lahn! SO SIEHT DEN KEIN AUTOFAHRER! Nicht mehr lange, nur noch ein bisschen Anstrengung, dann sitze ich im Dom.

Der Körper vibriert, die Muskeln zittern, das Herz klopft schnell. Ich glaube es selbst nicht, obwohl man ständig in der Ruhe geht und sich auch nicht besonders fordert, ist der Körper in höchster Erregung und es dauert eine Viertelstunde bis er wieder ruhig wird. Aber diese Zeit des langsamen Zurückkommens aus der Bewegung in die Ruhe ist sehr intensiv. Da spürt man die Zweiteilung Körper – Geist besonders deutlich und man spürt auch, wie sie sich wieder abstimmen.

Ich war wohl über eine Stunde im Dom, hab wenig angeschaut aber viel gesehen und auf mich wirken lassen.

Ich frage mich manchmal, ob die Leute mehr von den Objekten haben, die sie kunstbeflissen und gestenreich durchwandern, als die, die sich einfach hinsetzen und sie ohne viel Gedanken auf sich wirken lassen.

Diese Kirchen sind ja nicht als Kunstmuseen gebaut worden, sondern als Andachtsräume, und Generationen lang waren sie es auch. Ich glaube, da ist uns viel verloren gegangen!

Ich sitze jetzt vor "La città vecchia", einem Restaurant nicht weit unterhalb des Domes. Und da auch eine Pension dazugehört, habe ich mich hier, entgegen der Recherchen und Empfehlungen von Elke, einquartiert. Meine Finanzkontrolleurin Geneviève bitte ich um Nachsicht. Ich hoffe, dass ich das jetzt rausgeschleuderte Geld auf den richtigen Jakobspfaden in Frankreich und Spanien wieder einsparen kann. Hier ist quasi Jakobsniemandsland, der Herr im Dompfarramt hatte noch nie vom Pilgerpass gehört, geschweige denn von Pilgerunterkünften. Und nach den von Elke angesprochenen Palottinerinnen wollte ich mit meinen schmerzenden Füßen nicht suchen und im Dom waren auch keine.

Ich hab am Nachmittag einen schönen Stadtspaziergang gemacht und viel gesehen und war auch nochmal im Dom und – hörte ein kleines Orgelkonzert!

Jetzt ist Altstadtfest und überall ist laute Musik. Und überall sind fröhliche junge Leute und alte, die dazwischen ganz verwundert rumstehen, so wie ich.

Euer Siegfried

27
Juni
2008

Runkel (26. Juni)

Geschrieben von Siegfried | Kommentare: 0

Es ist sieben Uhr, ich bin frisch geduscht und sitz jetzt "beim Thomas im Goethehof" hier in Runkel. Das ist ein Ort etwa vier Kilometer lahnabwärts von Villmar. Nach Limburg sind's noch um die zwölf Kilometer. Da hab ich einen leichten Tag morgen und viel Muße, die Stadt anzusehen.

Und möglicherweise bekomme ich auch noch eine günstige Unterkunft bei den Pallotinerinnen! Meine neue Freundin aus Bonn, Elke, hat nämlich auf der Mailbox angerufen und mir diesen Tipp gegeben. Sie ist mit ihrer Gruppe heute im Limburger Dom gewesen und hat sich kundig gemacht! – Da schaugt's, gell! (Für Nichtbayern: Das ist bayrisch!) Aber von Vorne.

Die wepsige Fliege von gestern Abend hab ich nicht erwischt, in der Nacht hat sie mich in Ruhe gelassen, oder ich hab's nicht gemerkt, aber in der Früh war sie wieder da. Einmal an der Nase, dann am Arm und bei der kleinsten Bewegung war sie weg. Sogar im Bad war sie dabei und hat mir vom Spiegel aus ins Auge geschaut. Mein Schlag mit dem Handtuch traf sie und sie lag mausetot am Boden. Da ich ein ordentlicher Mensch bin, wollte ich sie aufheben und genußvoll runterspülen, doch kaum bin ich mit den Fingern in ihre Nähe gekommen, war sie wieder weg. So erfolgsbeladen begann nun mein Tag.

Ich ging zum Frühstücksbüffet, und wen traf ich da? ELKE! Da wusste ich natürlich noch nicht, dass das Elke ist. Erst dachte ich, das wäre die etwas legere Dame vom Büffet, weil außer uns beiden niemand da war und sie sich auch am Büffet zu schaffen machte. Wir kamen ins Gespräch und nachher setzte sie sich und noch ein Herr zu mir an den Tisch.

Sie hat eine sehr ruhige und besinnliche Art, und als ich ihren Namen "Elke" hörte, fiel mir sofort ihre charaktermäßige Ähnlichkeit mit unserer Münchner Elke, der Freundin von Geneviève, auf: Sie ist auch zierlich aber etwas größer als die Münchnerin, und sie spricht den Köln-Bonnschen Singsang-Dialekt! Ein Genuss!

Sie hat in Erwägung gezogen, mich vielleich nächste Woche ein Stück über den Moselhöhenweg zu begleiten. Und sie wollte mir als Sonnenschutz eine fesche Mütze der Bäckerinnung mitgeben. Als ich das ablehnte, hätte sie mir auch gerne eine Botzeitdose geschenkt. Da ich unertags nichts esse, und auch der Rucksack schon voll ist, war's auch damit nichts, schließlich, das erste Mal in meiner Pilgerlaufbahn! Ein Fünf-Euro-Schein. Auch darauf musste ich natürlich verzichten, aber ich trage ein Andenken an Elke an meiner Hose: Einen Kugelschreiber aus Holz!

So schön also hatte der Tag begonnen, was konnte da noch schiefgehen!

Zunächst war aber heute ein Tag, an dem mir der Beginn des Laufens besonders schwer fiel. Die rechte Ferse schmerzt, obwohl ich gestern Abend noch mit der Sicherheitsnadel und unter großen Verrenkungen die vermuteten und erfühlten Wasserblasen zu perforieren versuchte. Und vorsichtshalber hatte ich auch noch ein gestern erworbenes Blasenpflaster draufgeklebt. Aber da gibt's offenbar noch eine, die ich nicht erwischt habe, und die jetzt schmerzt. Da ich unter Beobachtung von Elke stand, bemühte ich mich, das Hotel trotzdem elegant zu verlassen.

Und was erwartet mich unten beim großen klassizistischen Landtor? Eine Person winkt von Weitem. Jean-Pierre, er hatte in "la nature" übernachtet und war jetzt auch zum Radweg nach Villmar unterwegs. In der Freude der Wiederbegegnung tranken wir noch einen Espresso beim Italiener und runter gings zur Lahn.

Ich hatte mich ja schon entschlossen gehabt, den Radweg zu gehen statt den ausgewiesenen, mühsamen Pilgerweg über die Lahnhöhen. Er sowieso. Er hat mir später verraten, dass er immer abwägt zwischen Entfernung und Begehbarkeit und im Zweifel immer die kürzere Strecke – das ist in der Regel die Strasse – geht.

So sahen wir auch noch den Schiffstunnel, der die Lahnschleife abkürzt und an der schmalsten Stelle unter dem Berg durchführt. Ist schon Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut worden, verlor aber an Bedeutung, als die Schifffahrt auf der Lahn von der Eisenbahn abgelöst wurde.

Jean-Philipp musste schon kurz, nachdem wir uns warmgelaufen hatten, eine "Operation" durchführen, das heißt seine Zehen verarzten, die durch Reibung und Druck recht mitgenommen aussehen. Aber er macht das sehr fachmännisch mit Schere, Deinfektionsmittel und Pflaster. Vor dem Überziehen der Socken wird noch an einer Stelle des Fußes ein Schaumstoffstück sorgfältig eingelegt.

So, jetzt geht's wirklich los. Der Weg ist grade so breit, dass zwei nebeneinander gehen können, aber bei jedem Radler heißt's hintereinander, ist ziemlich anstrengend. Auch Jean-Philipp fällt auf, dass hier die Leute wieder mehr grüßen als in der Gegend, aus der wir kommen. Ihm fällt auch auf, dass es hier in Deutschland viele extrem dicke Menschen gibt.

In Aumenau machen wir ein wenig Pause, trinken ein gepflegtes Weißbier, Jean-Philipp isst dazu einen großen Teller Pommes-Frites, und weiter geht's.

Da ist der Radweg gesperrt. Auf der Karte sehen wir, dass das einen Umweg von mehreren Kilometern in bergiges Gelände bedeutet. Also gehen wir natürlich weiter. Und tatsächlich: Der Weg ist unpassierbar, er ist überschwemmt und voller Morast. Links geht steil der Hang hoch, rechts ist das Schotterbett der Bahn. Grade kommt auch noch ein Zug. Aber nun wissen wir: So schnell kommt keiner mehr, hoch auf die Schienen.

Vor Villmar trennen wir uns wieder. Ich suche eine Unterkunft, aber nach Auskunft einer Gruppe von Leuten gibt's hier nichts außer der Pension "Bär" im Gewerbegebiet, wo ich vor zehn Minuten vorbeigelaufen war. Und Gewerbegebiet ist nicht so mein Fall, wenn ich in einer schönen fremden Stadt bin. Also nahm ich den Rat an, in den nächsten Ort hierher (ca. vier Kilometer) weiterzugehen, und bin hier in der als gut und preisgünstig empfohlenen Gastsätte "Zum Thomas" gelandet, wo die italienische Mama mir sehr feine "Spaghetti bolognese" zubereitete.

Zehn Meter von der Terasse entfernt führt die Bahntrasse vorbei, und gerade fuhr ein mit Langholz beladener Güterzug vorbei. Ein Erlebnis! Öfter kommen rote Regionalzüge. Da alle sehr langsam fahren, ist nur wenig zu hören. Mehr hört man von einzelnen Motorrädern, deren Fahrer am gegenüber liegenden Berg mal so richtig "aufdrehen".

Ich denke fast immer – eigentlich jeden Tag mindestens einmal – an Euch! Wenn ich nicht gerade an was anderes denken muss!

Siegfried

26
Juni
2008

Jean-Pierre wieder getroffen (26. Juni)

Geschrieben von Siegfried | Kommentare: 0

Toujours etonnant ce chemin. J'ai retrouvé votre papa et bu une bonne munich bière. Le pèlerinage n'est pas tristesse mais fraternité. Peut être nous faisons conférence compostelle munich avec siegfried.

Je vous embrasse,
Jean-Pierre.

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